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Verdachtsberichterstattung im Online-Archiv

BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15


Verdachtsberichterstattung im Online-Archiv

Online-Archive von Nachrichtenportalen sind eine praktische Sache. Sie erlauben die Recherche vergangener Ereignisse. Manch einer möchte die Vergangenheit aber lieber vergessen, etwa wenn die Medien über einen Verdacht gegen ihn berichteten. Mit einem solchen Fall hatte sich der Bundesgerichtshof zu befassen (BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15). Er entschied, dass Nachrichtenportale Verdachtsmeldungen, die den Beschuldigten identifizieren, nicht im Archiv bereitstellen dürfen, wenn schon die ursprüngliche Publikation unzulässig war.

Unzulässig ist eine solche Verdachtsberichterstattung insbesondere, wenn der Verdacht nicht durch einen Mindestbestand an Beweistatsachen gestützt wird. Für den Verdacht spricht beispielsweise eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft, die den Beschuldigten beim Namen nennt. Diese entbindet die Medien allerdings nicht davon, vor der Namensnennung selbst eine umfassende Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorzunehmen.

Sachverhalt
Eine junge Frau reichte Strafanzeige ein, weil sie im Haus eines bekannten deutschen Fußballers nach Einflößung von K.-o.-Tropfen missbraucht worden sei. Die Staatsanwaltschaft nahm gegen den Fußballer ein Ermittlungsverfahren auf, stellte es aber mangels hinreichendem Tatverdacht wieder ein. Ein Nachrichtenportal berichtete in sechs Artikeln darüber. Dabei nannte es den vollen Namen des Fußballers und zeigte ihn im Bild. Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens blieben die Artikel im Online-Archiv weiterhin abrufbar. Das Nachrichtenportal ergänzte sie allerdings um die Notiz, es handle sich um eine Archivberichterstattung und das Ermittlungsverfahren sei eingestellt worden.

Der Fußballer störte sich an der fortbestehenden Verfügbarkeit der Artikel und reichte nach erfolgloser Abmahnung Unterlassungsklage ein. Das Landgericht Köln gab ihm recht und verbot dem Online-Portal, die Artikel weiterhin zu veröffentlichen, sofern der Kläger darin durch Namen oder Bild identifiziert werde. Auf Berufung der Portalbetreiberin wies das Oberlandesgericht Köln die Klage zurück. Dagegen legte der Fußballer Revision an den Bundesgerichtshof ein. Dieser hob den Entscheid mit Urteil vom 16. Februar 2016 auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Berufungsinstanz zurück.

Urteilsbegründung
Der Bundesgerichtshof wertet die Bereitstellung der streitgegenständlichen Artikel im Online-Archiv als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Dieses gelte jedoch nicht absolut, sondern bedürfe einer Abwägung gegen das Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit. Rechtswidrig sei der Eingriff ins Persönlichkeitsrecht des Klägers nur, wenn sein Schutzinteresse jenes der Beklagten überwiege.

Wesentlich in Bezug auf die Abwägung sei, ob die Artikel zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Publikation zulässig gewesen seien. Verdachtsberichterstattung begründe angesichts des schweren Eingriffs in die persönliche Ehre des Betroffenen eine besondere Sorgfaltspflicht der Medien. Die Richter sehen namentlich die Gefahr, dass die Verfahrenseinleitung in der Öffentlichkeit mit dem Schuldnachweis gleichgesetzt wird. Daher sei ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt der Verdachtsmeldung notwendig. Die Berichterstattung dürfe außerdem nicht vorverurteilend sein und dem Betroffenen sei vor Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Im Übrigen müsse es sich um einen gravierenden Vorgang handeln, dessen Meldung durch ein öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt sei.

Nach Ansicht des VI. Zivilsenats hat die Berufungsinstanz zu wenig geprüft, ob ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Wahrheitsgehalt des Verdachts gegen den Kläger vorgelegen habe. Allein die Tatsache, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, genüge nicht. Die Schwelle für die Aufnahme eines Ermittlungsverfahren sei tief. Schon bei Vorliegen einer grundlosen Strafanzeige müsse die Staatsanwaltschaft aktiv werden.

Vertrauen dürfe hingegen in die Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft gesetzt werden. Diese sei an die Grundrechte gebunden und auf Objektivität verpflichtet. Deshalb informiere sie über ein Ermittlungsverfahren erst mit Namen des Beschuldigten, wenn sich der Tatverdacht bis zu einem gewissen Grad erhärtet habe. Doch die Mitteilung der Staatsanwaltschaft befreie die Medien nicht davon, selbst abzuwägen, ob eine Identifikation des Beschuldigten nach den Regeln der Verdachtsberichterstattung gerechtfertigt sei.

Im Urteil Oberlandesgerichts vermisst der Bundesgerichtshof Ausführungen, ob sich die streitgegenständliche Berichterstattung auf eine amtliche Mitteilung der Staatsanwaltschaft stützt, die den Kläger beim Namen nennt. Für die Revisionsrichter bleibt damit ungeklärt, ob bei der ursprünglichen Publikation ein Mindestbestand an Beweistatsachen für den Verdacht gegen den Kläger vorhanden war. Folglich sei auch nicht zu beurteilen, ob die weitere Verfügbarkeit im Online-Archiv rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreife. Dies träfe auf jeden Fall zu, wenn schon die ursprüngliche Publikation unzulässig gewesen sei.

War die ursprüngliche Berichterstattung zulässig, heißt dies für den Bundesgerichtshof hingegen nicht automatisch, dass es die Verfügbarkeit im Online-Archiv ebenfalls ist. Auch in diesem Fall sei eine Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen vorzunehmen. Unter anderem komme es darauf an, wie schwer der Verdacht gegen den Kläger gewogen habe.

BGH, Urteil vom 16.02.2016, Az. VI ZR 367/15


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