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Gelöschter Facebook-Kommentar

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 04.08.2020, Az. 3 U 3641/19


Gelöschter Facebook-Kommentar

Das Oberlandesgericht Nürnberg entschied am 04.08.2020, dass bei einem sozialen Netzwerk die Einbeziehung neuer Nutzungsbedingungen durch Anklicken wirksam sei. Zudem komme es bei mehrdeutigen Äußerungen darauf an, ob auch ein verständiger Nutzer, der die Meinungsfreiheit anderer respektiere und grundsätzlich auch andere Deutungen in Erwägung ziehe, einen Beitrag als Hassrede verstehe.

Wann verletzt ein Kommentar die Nutzungsbedingungen?
Der Kläger war Nutzer von Facebook. Er hatte den Beitrag eines Dritten kommentiert, der ein Online-Video zeigte. In diesem war jemand mit Migrationshintergrund zu sehen, der es ablehnte, von einer weiblichen Polizistin kontrolliert zu werden, da sie eine Frau sei. Der Kommentar lautete wie folgt: „Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat… kein Respekt… keine Achtung unserer Gesetze… keine Achtung gegenüber Frauen… DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN… DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES… MORDEN … KLAUEN… RANDALIEREN… UND GANZ WICHTIG… NIE ARBEITEN“. Facebook löschte den Kommentar und sperrte den Kläger-Account für drei Tage. Es verwies insbesondere auf die geänderten Nutzungsbedingungen, die durch deren Ziffer 12 sog. Hassreden verbot. Hiergegen ging der Nutzer vor. Die Vorinstanz lehnte seine Anträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung sowie auf Freischaltung ab. Allerdings sah das Gericht einen Teil des Kommentars von der Meinungsfreiheit gedeckt. Gegen die Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.

Wirksame Zustimmung zu Nutzungsbedingungen
Das Oberlandesgericht Nürnberg befand, dass der Kläger wirksam den Nutzungsbedingungen von Facebook zugestimmt habe. Per Popup-Fenster habe die Beklagte allen Nutzern eine Mitteilung über die Änderung der Bedingungen angezeigt. Dies sei mit der Aufforderung verbunden gewesen, die „ich stimme zu“-Schaltfläche anzuklicken. Der Facebook-Dienst habe nur weiter genutzt werden können, wenn die Zustimmung erfolgte. Der Kläger habe die entsprechende Schaltfläche angeklickt und damit wirksam zugestimmt.

Änderungsvertrag und nicht AGB
Die Änderungsmitteilung sei als ein Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages anzusehen, so das Gericht. Ein durch Anklicken erfolgter Vertragsabschluss habe grundsätzlich individuellen Charakter. Dies gelte auch, wenn sich die Willenserklärungen aus vorformulierten Bestandteilen zusammensetze. Daher unterläge die Mitteilung auch keiner Inhaltskontrolle nach AGB-Recht. Dies gelte auch, wenn sie teilweise vorformuliert gewesen sei.

Gemeinschaftsstandards unterfallen Inhaltskontrolle
Das LG entschied, dass die Gemeinschaftsstandards, insbesondere die Regelungen zum Verbot der Hassrede, einer Inhaltskontrolle standhalten. Die Gemeinschaftsstandards seien nicht deswegen der Inhaltskontrolle entzogen, da sie keinen Teil der Leistungsbeschreibung bilden. Die von der Beklagten versprochene Leistung bestünden darin, umfassende Kommunikationsmöglichkeiten im Internet zur Verfügung zu stellen, um die Bildung von Gemeinschaften zu fördern. Somit gehöre zur Leistungsbeschreibung alles, was die Art und Weise der Kommunikationsformen betreffe wie z.B., ob Bilder übertragen werden können, mit welchen Personen eine Interaktion möglich ist und wer auf das eigene Profil zugreifen könne. Wie sich Nutzer innerhalb dieses Rahmens jedoch zu verhalten haben, gehöre dagegen nicht mehr zur Leistungsbeschreibung. Vielmehr stelle dies eine Einschränkungen des grundsätzlich eröffneten Leistungsangebots dar. Somit könne die Inhaltskontrolle herangezogen werden.

Meinungsfreiheit nicht verletzt
Das LG urteilte, dass Ziffer 12 der Gemeinschaftsstandards zur sog. Hassrede nicht gegen die Meinungsfreiheit des Klägers verstoße. Die Regelung verfolge das legitime Ziel, eine fried- und respektvolle Diskussions- und Äußerungskultur zu gewährleisten. Mit Rücksicht auf andere Nutzer könne ein gewisses Diskussionsniveau vorgeben und damit sicherstellt werden, dass sich andere nicht beleidigt, übermäßig angegriffen oder sonst wie abgestoßen fühlen. Ein grundrechtlicher Schutz, andere zu diffamieren, bestehe demgegenüber nicht. Dadurch werde dem Einzelnen weder verwehrt, eine bestimmte Meinung zu haben oder diese zu äußern. Auch sei in den Gemeinschaftsstandards berücksichtigt, dass es in der öffentlichen Auseinandersetzung um politische oder gesellschaftliche Themen durchaus auch pointiert und drastisch zugehen könne. Sie nehme Meinungskundgaben, welche zwar auch als Ausgrenzung und Herabwürdigung von Personen oder Personengruppen verstanden werden können, von dem Verbot aus, wenn nicht die Ausgrenzung und Herabwürdigung im Vordergrund stehe, sondern die Äußerung zu politischen o.ä. Fragen.

Gleichbehandlung von allen  
Die Beklagte müsse allerdings gleichheitsrechtliche Vorgaben beachten, befand das Gericht. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte eine einzigartige Reichweite besitze und ihr derzeit eine Quasi-Monopolstellung zukomme. Daher sei sicherzustellen, dass Nutzer nicht wegen ihrer Meinung unterschiedlich behandelt und bestimmte Gruppen nicht ausgeschlossen oder sanktionieren werden. Dies setze voraus, dass sich die Beklagte bei einer Löschung auf sachliche, objektive und im Vorhinein nachvollziehbare Gründe stütze. Sie dürfe daher nicht politische Äußerungen generell untersagen, bestimmten Meinungen wegen ihres Inhalts entgegentreten oder in anderer Weise willkürlich handeln.

Eine von vielen Deutungen muss „Hassrede“ sein
Die Löschung eines Beitrags dürfe allerdings dann erfolgen, wenn eine von mehreren naheliegenden Deutungen die Merkmale der „Hassrede“ erfüllen, so das Landgericht. Für einen nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Nutzer müsse nach einer der Deutungsvarianten dieser Tatbestand gegeben gewesen sein. Dabei werde der Beklagten nicht in unzulässiger Weise ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Vielmehr werde darauf abgestellt, ob bei mehrdeutigen Äußerungen auch ein Nutzer, der die Meinungsfreiheit anderer respektiere und grundsätzlich auch andere Deutungen in Erwägung ziehe, einen Beitrag als Hassrede verstehe.

Teile des Kommentars als Hassrede gewertet
Das LG ordnete den Kommentar des Klägers teilweise als „Hassrede“ im Sinne der Gemeinschaftsstandards ein. Dies beziehe sich insbesondere auf den in Großbuchstaben verfassten Satz „Diese Goldstücke können nur … Morden… Klauen…Randalieren… und ganz wichtig… Nie arbeiten.“ Zwar sei der Kommentar allgemein formuliert. Allerdings beziehe er sich auf das Video, in dem eine Person, die dem äußeren Erscheinungsbild nach einen Migrationshintergrund aufweist, sich der Kontrolle durch eine Polizistin verweigert. Der Kommentar sei dahingehend zu verstehen, dass Personen, die sich so verhalten wie die in dem Video, nicht integrationsfähig und arbeitswillig seien und regelmäßig schwere Straftaten begehen. Diese Grundannahme werde auch durch die Formulierung „diese Leute“ noch unterstrichen. Hinzu komme, dass unklar bleibe, wer mit „Migrationshintergrund“ gemeint sei. Dies können diejenigen sein, die im Zuge der sog. Flüchtlingskrise nach Deutschland eingereist seien, diejenigen, die aus Furcht vor Verfolgung oder zum Zwecke der Arbeitsaufnahme eingereisten seien oder die, in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben und ggf. die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Eine Pauschalierung der Aussage oder Schlussfolgerung vom äußeren Erscheinungsbild auf die Zugehörigkeit zu der Personengruppe, die statistisch gesehen mehr kriminelle Handlungen begeht, lasse sich aber nicht ziehen.

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 04.08.2020, Az. 3 U 3641/19


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