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Bundesverfassungsgericht zur Haftung des Anschlussinhabers für unerlaubtes Filesharing

BVerfG, Beschluss vom 21.03.2012, I BvR 2365/11


Bundesverfassungsgericht zur Haftung des Anschlussinhabers für unerlaubtes Filesharing

Kommt es in einem Berufungsverfahren nach Ansicht der erkennenden Richter darauf an, ob der Inhaber eines Internetanschlusses im Familienkreis konkret darüber gesprochen hat, dass die Teilnahme an Filesharing-Börsen zu rechtswidrigen Verletzungen von Urheberrechten führen kann, ist diese Frage von so großer allgemeiner Bedeutung, dass das Berufungsgericht gegebenenfalls die Revision gegen seine Entscheidung zulassen muss. Im vorliegenden Fall hatte der volljährige Sohn der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers von dessen Internetanschluss aus an einer Tauschbörse teilgenommen und dabei in nicht unerheblichem Umfang Urheberrechte von Musikfirmen verletzt. Das Berufungsgericht entschied, dass der im Verfahren beklagte jetzige Beschwerdeführer gegen eine ihm als Anschlussinhaber obliegende, besondere Aufklärungspflicht verstoßen habe, weil er den tatsächlichen Nutzer nicht über die konkreten Gefahren der Teilnahme am Filesharing aufgeklärt habe. Tatsächlich stellte sich die Sachlage jedoch so dar, dass der Beschwerdeführer im Kreis seiner in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familie, zu der auch der Sohn der Lebensgefährtin gehörte, über die Gefahren des Filesharing gesprochen hatte. Dies wurde von der Gegenseite nicht bestritten, lag allerdings auch nahe, weil sich der Beschwerdeführer als Polizeibeamter mit Sondereinsatzgebiet Internetkriminalität besonders gut in der Materie auskannte.

Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde, über die das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 21.03.2012 zum Aktenzeichen I BvR 2365/11 entschied, war unter anderem die Tatsache, dass ihm das Berufungsgericht keinen rechtlichen Hinweis dazu erteilte, dass ihm eine Aufklärungspflicht auferlegt werden sollte. Der Beschwerdeführer war deshalb nicht davon ausgegangen, dass ein Vortrag zu häuslichen Gesprächen über die konkreten rechtlichen Gefahren des Filesharing notwendig gewesen wäre. Sein diesbezüglicher Vortrag in der 2. Instanz wurde vom Berufungsgericht als verspätet zurückgewiesen und bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Außerdem wurde die Revision gegen das Berufungsurteil nicht zugelassen. Der Beschwerdeführer sah sich in seinen grundgesetzlich garantierten Rechten auf ein faires Gerichtsverfahren beeinträchtigt. Die Nichtzulassung der Revision betrachtete er als Verstoß gegen Artikel 101 GG, das Recht jedes Bürgers auf den gesetzlich bestimmten Richter. Auch Artikel 103 GG, der den Anspruch auf rechtliches Gehör in einem gerichtlichen Verfahren garantiert, sei durch das Oberlandesgericht Köln verletzt worden.

Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von verfahrensrechtlichen Grundrechten gerügt hatte, wurde die Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht angenommen. Die Verfassungsrichter hoben das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Köln auf und verwiesen die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Zur Begründung ihrer Entscheidung wiesen die Verfassungsrichter darauf hin, dass sie aus den Urteilsgründen des Berufungsurteils nicht erkennen konnten, aus welchem Grund die Revision gegen das Urteil nicht zuzulassen gewesen wäre. Grundvoraussetzungen für die Zulassung der Revision hätten vorgelegen. Aufgrund der Bedeutung einer Entscheidung für eine Vielzahl ähnlicher Fälle und für die Entwicklung einer einheitlichen Rechtsprechungslinie wäre es naheliegend gewesen, die Revision zuzulassen und den Weg zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu ebnen.

Haftungsrechtliche Fragen der Benutzung eines häuslichen Internetanschlusses durch volljährige Familienmitglieder stehen aufgrund einer ständig steigenden Zahl von Filesharing-Abmahnungen, die für jeweils mit für den Betroffenen empfindlichen finanziellen Forderungen verbunden sind, im Fokus des öffentlichen Interesses. Obwohl schon BGH-Entscheidungen zu verschiedenen Konstellationen vorhanden sind, gibt es doch noch eine Vielzahl von Fällen mit abweichenden Voraussetzungen. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es darum, wie weit die Aufklärungspflichten eines Spezialisten für Internetkriminalität und Urheberrechtsverletzungen im eigenen Haushalt gehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidungsbegründung aufgezeigt, dass es bei der Beurteilung der Frage, inwieweit ein Internet-Anschlussinhaber als Störer für missbräuchliche Nutzung seines Anschlusses durch andere noch viel Raum für Entscheidungen des Bundesgerichtshofes gibt, weil die Oberlandesgerichte sich in der Bewertung verschiedener Rechtsfragen noch nicht einig sind. Solange jedoch nicht vorhergesagt werden kann, wie ein Senat des Bundesgerichtshofs in einem Revisionsverfahren entscheiden wird, hat die unterlegene Partei grundsätzlich ein Recht darauf, dass die Revision zugelassen wird, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Rechtsposition auch vor dem Bundesgerichtshof zu vertreten.

BVerfG, Beschluss vom 21.03.2012, I BvR 2365/11


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