Zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung
Das Oberlandesgericht Hamm entschied am 20.04.2021, dass eine vermutete Dringlichkeit im einstweiligen Verfügungsverfahren durch eine zögerliche Prozessführung widerlegt werden könne. Hierfür sei eine Gesamtbetrachtung des prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten. Grundsätzlich müsse der Verfügungskläger das Verfahren nicht nur binnen Monatsfrist nach Kenntnis vom Verstoß einleiten. Vielmehr müsse er es gerade auch beschleunigt weiterbetreiben.
Widerlegt eine zögerliche Prozessführung die Dringlichkeit?
Die Klägerin nahm die Beklagte wegen eines Wettbewerbsverstoßes auf Unterlassung im Rahmen einer einstweiligen Verfügung in Anspruch. Im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung erschien niemand für die Beklagte. Der Termin wurde daher um einen Monat vertagt, da sich eine ordnungsgemäße Ladung nicht feststellen ließ. Im Laufe der nächsten Wochen kam es aus gesundheitlichen Gründen und Terminkollisionen immer wieder zu neuerlichen Verlegungsanträgen, diesmal durch den Prozessvertreter der Klägerin. Schlussendlich gab die Vorinstanz dem Verfügungsantrag statt. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mehrfach die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Es sei aber zu berücksichtigen, dass sie zum allerersten Termin erschienen sei. Damit habe die Partei ihr Interesse an einer Maßnahme des Eilrechtsschutzes sowie an der Dringlichkeit unterstrichen Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten.
Vermutete Dringlichkeit
Das Oberlandesgericht Hamm entschied, es fehle bereits an der erforderlichen Dringlichkeit. Die Dringlichkeit werde zwar gemäß § 12 UWG vermutet. Diese Vermutung könne jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) widerlegt werden. Dies sei der Fall, wenn der Antragsteller/Kläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gebe, dass es „ihm nicht eilig ist“. Dies könne insbesondere auch während des bereits laufenden Verfahrens durch zögerliche Prozessführung geschehen.
Gesamtbetracht erforderlich
Zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung sei eine Gesamtbetrachtung des prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten, so das Gericht. Grundsätzlich müsse der Antragsteller/Verfügungskläger das Verfügungsverfahren nicht nur binnen Monatsfrist nach Kenntnis vom Verstoß einleiten. Vielmehr müsse er es gerade auch beschleunigt weiterbetreiben. Er habe alles in seiner Macht Stehende zu tun, um einen baldigen Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zu erreichen.
Erste Verschiebung unbeachtlich
Das OLG befand, bereits die erste Terminsvertagung habe eine nicht unerhebliche Verzögerung mit sich gebracht. Zwar sei diese Verlegung unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie und der geltenden Hygieneregeln noch objektive und unbeachtlich. Denn schließlich habe die erste Verschiebung auf überraschend aufgetretene gesundheitliche Probleme beim Klägervertreter beruht. In der Kürze der Zeit sei kein anderer in der Lage gewesen, sich in den Sach-und Streitstand einzuarbeiten und den Termin wahrzunehmen.
Zweite Verschiebung auch unbeachtlich
Gleiches ließ das Gericht auch für die zweite Terminsverlegung gelten. Auch diese habe auf gesundheitlichen Gründen wegen andauernder grippeähnlicher Symptomen beruht. Den Termin wahrzunehmen, sei daher nicht anzuraten gewesen. Allerdings habe die Vorinstanz bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur für einen kurzen Zeitraum und insbesondere nicht für den Terminstag selbst gilt. Dies habe Anlass zu Bedenken gegeben. Trotzdem sei danach wiederum eine neuerliche Verlegung beantragt worden. Aufgrund dessen sei es für die Zukunft geboten, jegliche weitere Verzögerung zu vermeiden.
Weitere Verlegungen nicht mehr geboten
Die nachfolgende Terminsverlegung wegen Terminkollision erachtete das OLG jedoch als nicht mehr geboten und daher als beachtlich. Die Klägerin habe zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen müssen, dass sich das Verfahren erneut um mindestens eine weitere Woche verzögert. Zwischen Beantragung der Verlegung und dem Terminstag selbst haben nur wenige Tage gelegen. Es sei daher nicht mehr mit einer grundsätzlich ebenfalls möglichen Termin-Vorverlegung zu rechnen gewesen. Zum anderen sei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgrund der vorangegangenen Terminierungen bekannt gewesen, dass die Kammer regelmäßig nur mittwochs tage. Es sei ihm daher bewusst gewesen, was eine weitere Verlegung bedeute.
Zögerliche Prozessführung
Das Gericht entschied, es liege keine Dringlichkeit mehr vor. Die Klägerin habe eine weitere Verfahrensverzögerung in Ansehung des Umstandes billigend in Kauf genommen, dass sie ein Eilverfahren führe. Sie habe durch ihr Prozessverhalten zu erkennen gegeben, dass es „ihr nicht (mehr) eilig“ sei. Dies trotz des Umstandes, dass sie nach wie vor ungesichert gewesen sei. Die Klägerin habe keinen Weg gesucht und gewählt, um eine abermalige Terminsverlegung für die Zukunft zu verhindern. Insbesondere habe sie die erneute Verlegung nicht nur aus Gründen beantragt, die unausweichlich seien. Im Zweifel sei es gerechtfertigt gewesen, einen Terminsvertreter entweder zum vorliegenden oder zum kollidierenden Terminen zu senden.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 20.04.2021, Az. 4 U 14/21