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Verselbstständigte Abmahntätigkeit ist rechtsmissbräuchlich

LG Hamburg, Urteil vom 07.02.2017, Az. 312 O 144/16


Verselbstständigte Abmahntätigkeit ist rechtsmissbräuchlich

Die Abmahntätigkeit eines Mitbewerbers, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu seiner operativen Geschäftstätigkeit steht, ist missbräuchlich. Dies hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 7. Februar 2017 (Az. 312 O 144/16) entschieden. Ein Unternehmen hatte im selben Jahr 50 Abmahnungen ausgesprochen und 14 Verfügungsverfahren angestrengt, obwohl es sich nahe an der Insolvenz befand. Aus dem Missverhältnis zwischen dem Kostenrisiko der Abmahntätigkeit und der finanziellen Lage des Unternehmens schließen die Hamburger Richter, dass die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche hauptsächlich der Gebührenerzielung diente. Ob das Unternehmen am Gebührenertrag seines Anwalts beteiligt war, halten sie nicht für relevant.
 
Sachverhalt
Die Beklagte vertreibt über ihren Online-Shop Medizinprodukte, darunter Desinfektionsmittel. Die Klägerin bietet auf ihrer Website neben anderen Artikeln Reinigungsmittel an. Im September 2015 ließ sie die Beklagte wegen verschiedener Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht anwaltlich abmahnen. Sie monierte etwa, dass die Beklagte nicht über die wesentlichen Produkteigenschaften informiere. Die Beklagte verweigerte die Abgabe einer Unterwerfungserklärung, worauf die Klägerin vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkte. Auf Widerspruch der Beklagten bestätigte das Landgericht seine Unterlassungsverfügung.
 
In der Folge erzwang die Beklagte ein Hauptsacheverfahren. Sie machte geltend, die Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich erfolgt. Die Klägerin habe im Jahr 2015 50 Abmahnungen ausgesprochen und 14 Verfügungsverfahren angestrengt. Ihre Abmahntätigkeit stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur eigentlichen Geschäftstätigkeit. Ende 2015 sei ihr Eigenkapital bis auf wenige Euro aufgezehrt gewesen. Außerdem habe sie einen Creditreform-Bonitätsindex von 600, was als Zahlungsausfall zu interpretieren sei.
 
Die Klägerin trat dem Vortrag der Beklagten mit dem Argument entgegen, auch wirtschaftlich schwachen Unternehmen stehe es zu, gegen Wettbewerbsverletzungen durch Mitbewerber vorzugehen. Sie gehe kein übermäßiges Kostenrisiko ein, da sie jeweils nur wenige Konkurrenten zur selben Zeit abmahnen lasse. Im Übrigen stellte sie unter Beweis, dass sie an den Gebühren ihres Rechtsanwalts nicht beteiligt sei.
 
Aus den Gründen
Das Landgericht Hamburg weist die Klage als rechtsmissbräuchlich zurück. Ein Missbrauch liege vor, wenn die Verfahrenseinleitung hauptsächlich aus sachfremden, nicht schutzwürdigen Interessen erfolge. Missbräuchlich seien Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 4 UWG insbesondere, wenn ein Gebührenerzielungsinteresse vorliege. Eine umfangreiche Abmahntätigkeit allein spreche indes noch nicht für ein missbräuchliches Vorgehen. Wenn viele Konkurrenten gleichzeitig Wettbewerbsverstöße begingen, müsse es einem Unternehmen möglich sein, gegen alle vorzugehen.
 
Ein Anhaltspunkt für einen Missbrauch liege vor, wenn ein ökonomisch denkender Unternehmer anstelle des Klägers kein wirtschaftliches Interesse an der Ahndung des Wettbewerbsverstoßes haben könne. Davon sei auszugehen, wenn die Abmahntätigkeit in keinem angemessenen Verhältnis zu seiner eigentlichen Geschäftstätigkeit stehe. Abzustellen sei auf das Ausmaß der operativen Tätigkeit des Abmahnenden in Bezug auf Produkte, mit denen er im Wettbewerb zum Abgemahnten stehe.
 
Die Hamburger Richter halten fest, die Darlegungs- und Beweislast für ein missbräuchliches Verhalten des Klägers liege beim Beklagten. Vorliegend habe die Beklagte substantiiert vorgetragen, weshalb sie annehme, dass sich die klägerische Abmahntätigkeit verselbstständigt habe. Damit sei es der Beklagten gelungen, die Vermutung der rechtmäßigen Geltendmachung des streitgegenständlichen Anspruchs zu erschüttern.
 
Es liege folglich an der Klägerin ihrerseits substantiiert Gründe vorzubringen, warum kein Rechtsmissbrauch vorliege. Sie habe jedoch die Ausführungen der Beklagten weder hinsichtlich der Zahl ihrer Abmahnungen noch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Lage bestritten. Die Aussage, sie habe sich um eine Minimierung des Kostenrisikos bemüht, sei angesichts der 50 Abmahnungen und 14 Eilverfahren bei ihrer finanziellen Situation zu pauschal.
 
Das Landgericht gelangt daher zur Auffassung, dass sich die Abmahntätigkeit der Klägerin gegenüber ihrer gewerblichen Tätigkeit verselbstständigt hat. Sie sei Kostenrisiken eingegangen, die ein ökonomisch denkender Unternehmer in ihrer Lage nicht eingehen würde. Abmahnung und Klage seien mithin hauptsächlich aus einem Gebührenerzielungsinteresse erfolgt, wobei es keine Rolle spiele, dass die Klägerin nicht am Gebührenertrag ihres Anwalts partizipiere.
 
LG Hamburg, Urteil vom 07.02.2017, Az. 312 O 144/16


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