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Unterlassungspflicht kann auch aktives Handeln bedeuten

BGH, Beschluss vom 11.10.2017, Az. I ZB 96/16


Unterlassungspflicht kann auch aktives Handeln bedeuten

Der Bundesgerichtshof statuierte mit einem Beschluss vom 11.10.2017, Az. I ZB 96/16 erneut, dass ein Unterlassungstitel bezüglich des Vertriebs von Produkten nicht nur gebietet, dass solche künftig nicht mehr in den Verkehr gebracht werden. Vielmehr könne hiervon auch der Rückruf von bereits an Händler verkaufte Waren oder zumindest die Aufforderung an diese, den Weiterverkauf vorläufig einzustellen, umfasst sein.

Veränderung von Produktverpackungen
Die Schuldnerin vertreibt in Deutschland Produkte zur Wunderversorgung unter der Marke „U.“
Es kam ihrerseits durch das Aufbringen von Klebeetiketten zu Verpackungsveränderungen hinsichtlich der Produkte. Die auf diese Art und Weise veränderten Verpackungen ohne Nennung der Markeninhaberin wurden anschließend mit „UR.“ oder „U./T.“ gekennzeichnet von ihr in den Verkehr gebracht. Infolgedessen wurde vom Landgericht Frankfurt am Main mit Entscheidung vom 06.06.2016, Az. 3-10 O 126/15 eine einstweilige Verfügung gegen die Schuldnerin erlassen. Danach habe sie es zu unterlassen, die besagten Veränderungen vorzunehmen und die verfälschten Verpackungen in den Verkehr zu bringen oder zu bewerben.

Ist Weiterverkauf durch Händler ein Verstoß gegen die Verfügung?
Die Gläubigerin rügte im Folgenden eine Zuwiderhandlung gegen die gerichtliche Entscheidung. Sie hatte nach Erlass der Verfügung einen Testkauf veranlasst, wobei ein Großhändler von der Schuldnerin bezogene Produkte mit der beschriebenen Kennzeichnung auslieferte. Damit verstoße die Schuldnerin nach Ansicht der Gläubigerin gegen das ihr auferlegte Verbot. Auf Antrag setzte das Landgericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.800 € gegen die Schuldnerin gemäß § 890 Abs. 1 ZPO fest. Hiergegen erhob diese jedoch sofortige Beschwerde.

Zuwiderhandlung von Oberlandesgericht verneint
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach sich in seiner Entscheidung vom 19.09.2016,
Az. 6 W 74/16 für die Schuldnerin aus. Es sei davon auszugehen, dass diese die fraglichen Produkte nach Zustellung der einstweiligen Verfügung nicht weiter in den Verkehr gebracht hat. Vielmehr habe der besagte Großhändler die Produkte schon im Vorfeld ausgeliefert bekommen. Es treffe die Schuldnerin über den eigenen Vertriebsstopp hinaus aber keine Verpflichtung, bereits an einen unabhängig von ihr agierenden Händler übergebene Ware vom Verkauf zurückzurufen. Das ausgesprochene Unterlassungsgebot mache sie nicht zum Garanten dafür, dass im Weiteren von Dritten keine Rechtsverstöße begangen werden. Ein Ordnungsgeld falle also nicht an. Die Gläubigerin reichte jedoch in der Absicht der Wiederherstellung des ursprünglichen Beschlusses die in der Entscheidung zugelassene Rechtsbeschwerde ein, weshalb es zu dem vorliegenden Verfahren kam.

Bundesgerichtshof gab Rechtsbeschwerde statt
Der Bundesgerichtshof gab der Rechtsbeschwerde statt. Die Schuldnerin habe insgesamt gegen die ihr in der einstweiligen Verfügung auferlegte Unterlassungsverpflichtung verstoßen, da sie keine Maßnahmen ergriffen habe, um den Weitervertrieb der von ihr vor der Zustellung der Verfügung an Großhändler ausgelieferten verfälschten Produkte zu unterbinden.

Erfordert „Unterlassen“ auch ein aktives Handeln?
Für die Entscheidung maßgeblich war die Frage, ob das in dem Unterlassungstitel enthaltene Verbot den Schuldner nur zum Unterlassen weiterer Vertriebshandlungen verpflichtete oder aber, ob von ihm auch aktiv Maßnahmen vorzunehmen waren, die den Weitervertrieb der rechtsverletzend aufgemachten Produkte verhinderten. Stelle man alleine auf die Bedeutung des Begriffs „Unterlassen“ ab, käme man zu dem Schluss, dass der Wortsinn lediglich mit sich bringe, dass künftig nichts weiter unternommen werden soll. Man solle also aufhören etwas Bestimmtes zu tun. Allerdings müsse der Umfang der Terminologie nach der Auffassung des Gerichts in der vorliegenden Situation abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch im Wege der Auslegung ermittelt werden. Aufschluss könne dabei der Tenor der Entscheidung bieten. Daneben seien aber womöglich auch die Entscheidungsgründe sowie die Antrags- oder Klagebegründung und der Parteivortrag miteinzubeziehen.

Unterlassen verpflichtet auch zur Beseitigung des Störungszustandes
In früheren Entscheidungen kam der Bundesgerichtshof bereits zu dem Schluss, dass bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, der die Handlung verbietende Unterlassungstitel regelmäßig dahingehend auszulegen ist, dass er neben der Unterlassung solcher Handlungen auch zur Vornahme von Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet (vgl. Urteil vom 19.11.2015 - I ZR 109/14 – Hot Sox; Urteil vom 29.09.2016 - I ZB 34/15 – Rückruf von RESCUE-Produkten; Urteil vom 04.05.2017 - I ZR 208/15 – Luftentfeuchter). Insbesondere obliege dem Vertreiber hiernach der Rückruf von bereits an Groß- und Einzelhändler gelieferten Produkten. Entscheidend sei hingegen nicht, dass das Urteil insgesamt ausdrücklich kundtut, dass der Unterlassungsschuldner auch zu einem positiven Tun verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2007 – I ZB 58/06). Entgegen dem Vorbringen der Schuldnerin verstoße diese Einschätzung auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Dies könne damit begründet werden, dass dieser Grundsatz für Verfahren der Unterlassungsvollstreckung keine Anwendung finde.

Vornahme des Möglichen und Zumutbaren
Insgesamt komme es aber darauf an, ob der Schuldner überhaupt rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten Dritter hat (vgl. Urteil vom 04.05.2017 - I ZR 208/15 – Luftentfeuchter). Von ihm könne nur das gefordert werden, was für ihn im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren liege. Beispielsweise müsse er keine Maßnahmen unternehmen, die zur Unterbindung der Verletzungen nichts dazutun. Überdies seien nur verhältnismäßige Maßnahmen zu erbringen. Ein Erfolg des Rückrufs könne vom Schuldner ebenso nicht verlangt werden. Er sei aber sehr wohl dazu angehalten, mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit die Rückerlangung der Artikel zu versuchen.

Spezialgesetzliche Vorschriften schließen Auslegung nicht aus
Insgesamt stünden dieser Auslegung der Unterlassungspflicht entgegen der Meinung des Beschwerdegerichts auch keine Ansprüche auf Beseitigung und Rückruf aus spezialgesetzlichen Vorschriften entgegen. Für letztere kommen beispielsweise § 98 Abs. 2 UrhG, § 18 Abs. 2 MarkenG, § 43 Abs. 2 DesignG oder § 140a Abs. 3 PatG in Betracht. Die Ansprüche stehen aufgrund ihrer inhaltlichen Differenzierung vielmehr nebeneinander. Während die spezialgesetzlichen normierten Rückrufansprüche einen abstrakten und weiteren Schutz hervorrufen, diene die Weiterfassung des Unterlassungstitels stets allein dem Schutz vor konkret drohenden weiteren Verletzungshandlungen. Der Gläubiger könne insgesamt also wählen, ob er nur einen Anspruch oder bei entsprechender Bejahung beide Ansprüche geltend machen möchte.

Wird Hauptsache durch Rückruf vorweggenommen?
Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob die Besonderheiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht verhindern, dass aus einer Unterlassungspflicht zugleich eine Verpflichtung zum Rückruf abgeleitet wird. Dieses Verfahren kennzeichne sich schließlich dadurch, dass es die Hauptsache nicht vorwegnehmen darf. Dies könnte aber der Fall sein, wenn die streitigen Produkte bereits von der Schuldnerin zurückgerufen worden sind und somit ein endgültiger Umstand zu befürchten ist.
Allerdings liege nach Ansicht des Gerichts eine unzulässige Vorwegnahme dann nicht vor, wenn der Schuldner die von ihm vertriebenen Waren aufgrund der Verfügung nicht bei seinen Abnehmern zurückrufen muss, sondern er diese lediglich aufzufordern hat, die erhaltenen Artikel vorläufig bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung nicht weiter zu verkaufen. Dieses Verhalten sei ihm auch zuzumuten, schließlich bestehe eine solche Nebenpflicht schon infolge des geschlossenen Kaufvertrages.

Erfolgte Maßnahmen der Schuldnerin nicht ausreichend
Der Umstand, dass die Schuldnerin vorliegend nicht gänzlich untätig geblieben ist und die Produkte immerhin aus dem Vertrieb genommen hat, reiche nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf ihre Pflicht jedoch nicht aus. Zu beachten sei nämlich auch, dass deren Abnehmer nichts von der Verfügung wussten und die Waren mithin nicht selbstständig aus dem Verkauf nehmen konnten. Insgesamt könne aufgrund der aufgezeigten Maßstäbe davon ausgegangen werden, dass die Schuldnerin gegen das ihr auferlegte Verbot der einstweiligen Verfügung verstoßen hat.

Rückverweis an das Beschwerdegericht
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs führt zu einer Zurückverweisung an das Oberlandesgericht. Dieses hat das Geschehen unter Berücksichtigung der höchstrichterlich angeführten Aspekte noch einmal neu zu beurteilen. Aufgrund der getroffenen Feststellungen des Bundesgerichtshofs ist es wenig wahrscheinlich, dass das Beschwerdegericht an seiner bisherigen Entscheidung festhalten wird. Die Schuldnerin kann sich deshalb wohl auf die Verhängung eines Ordnungsgeldes einstellen, lediglich über dessen Höhe lässt sich noch streiten. Insgesamt bestätigte das Gericht mit diesem Beschluss seine früheren Entscheidungen (vgl. oben).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.10.2017, Az. I ZB 96/16

von Sabrina Schmidbaur


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