Sperrige Ware muss nicht zurückgeschickt werden
Der Europäische Gerichtshof entschied mit Urteil vom 23.05.2019, dass es eine erhebliche Unannehmlichkeit darstelle, wenn Verbraucher große, sperrige Waren aufgrund von Mängeln aufwendig zum Verkäufer zurücktransportieren müssten. Daher hätten Verkäufer derartige mangelhafte Ware vor Ort zu reparieren oder selbst wieder abzuholen. Verweigern sie dies, sei dies ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten.
Wo ist eine mangelhafte gekaufte Sache zur Reparatur bereitzustellen?
Kläger war ein Verbraucher; der Beklagte betrieb einen Zelthandel. Im Jahr 2015 kaufte der Kläger per Telefonbestellung ein Partyzelt. Nach der Lieferung fielen ihm Mängel auf, weswegen er den Beklagten bat, das Zelt vor Ort zu reparieren. Der Beklagte weigerte dies. Er behauptete, es läge kein Mangel vor. Aufgrund dessen erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Zeltes. Das mit der Klage befasste Gericht setzte das Verfahren aus. Denn im Kaufvertrag war nicht geregelt, wer bei Mängeln für den Rücktransport verantwortlich sein sollte. Nach deutscher Rechtsprechung sei zwar der Verbraucher verpflichtet, dem Verkäufer die Ware zur Herstellung des mangelfreien Zustands an dessen Geschäftssitz bereitzustellen. Allerdings stelle die Organisation des Transportes aufgrund der Wareneigenschaft für den Verbraucher eine „erhebliche Unannehmlichkeit“ dar. Dies verstoße wiederum gegen europäisches Recht. Das Gericht wollte daher wissen, wie der Ort festzustellen sei, an dem die mangelhafte Ware angeboten werde müsse, um eine erforderliche Nachbesserung oder Ersatzlieferung zu ermöglichen.
Unentgeltliche Nachbesserung in angemessener Frist ohne erhebliche Unannehmlichkeit
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass ein Verbraucher grundsätzlich vom Verkäufer unentgeltliche Nachbesserungen der Ware oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung in angemessener Frist verlangen könne. Dies sei nur ausgeschlossen, wenn Nachbesserung bzw. Ersatzlieferung unmöglich oder unverhältnismäßig seien. Aus der Nachbesserung bzw. Ersatzlieferung dürfe zudem keine erhebliche Unannehmlichkeit für den Verbraucher resultieren. Dabei seien die Art der Ware sowie der Zweck, für den der Verbraucher die Ware benötige, zu berücksichtigen. Diese Erfordernisse seien Ausdruck für einen wirksamen Verbraucherschutz durch den Gesetzgeber.
Ort der Bereitstellung ist für „Unentgeltlichkeit“ irrelevant
Da die Nachbesserung unentgeltlich zu erfolgen habe, sei jede finanzielle Forderung des Verkäufers ausgeschlossen, urteilte das Gericht. Hierbei komme es nicht darauf an, an welchem Ort der Verbraucher die mangelhafte Ware bereitzustellen habe. Zwar könne der Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung oder Ersatzlieferung ablehnen, wenn diese unmöglich oder unverhältnismäßig sei, also beispielsweise unverhältnismäßige Kosten verursache. Allerdings nehmen die Kriterien für unverhältnismäßige Kosten Bezug auf den Wert der Ware, auf die Bedeutung der Vertragswidrigkeit und ob auf annehmbare Alternativen zurückgegriffen werden könne.
Einzelfallentscheidung, wann die Nachbesserung in angemessener Frist erfolgen könne
Der EuGH war der Meinung, dass die Herstellung des mangelfreien Zustandes innerhalb angemessener Frist je nach Ort der Bereitstellung unterschiedlich schnell ausfallen könne. Befinde sich die Ware in einem anderen Land, könne es erhebliche Zeit dauern, bis der Verkäufer eine Mängeluntersuchung durchführen könne. In einem solchen Fall könne eine schnellere Reparatur dadurch sichergestellt werden, dass die Ware dem Verkäufer an seinem Geschäftssitz bereitgestellt werde. Verfüge der Verkäufer jedoch über ein Kundendienst- oder ein Transportnetz an dem Ort, an dem sich die Ware befindet, könne der vertragsgemäße Zustand schneller hergestellt werden, wenn dies direkt vor Ort erfolge. Die Beurteilung sei regelmäßig eine Entscheidung des Einzelfalls.
Erhebliche Unannehmlichkeit durch Zurücksenden von sperrigen, zerbrechlichen oder schweren Gütern
Zudem habe die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen, so das Gericht weiter. Hierbei seien die Art der Ware sowie der Zweck, für den der Verbraucher die Ware benötigte, zu berücksichtigen. Daraus folge nicht, dass dem Verbraucher überhaupt keine Unannehmlichkeiten entstehen dürften. Ein gewisser Aufwand sei ihm durchaus zumutbar. Vielmehr dürfe der Verbraucher keine erheblichen Unannehmlichkeiten erleiden. Er dürfe aufgrund der Belastung nicht von der Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten werden. So könne der Versand in bestimmten Fällen sowohl wegen der Art der Ware, z. B. weil sie besonders schwer, sperrig oder zerbrechlich sei, eine erhebliche Unannehmlichkeit darstellen. Gleiches gelte für den Fall, dass für den Versand besonders komplexe Anforderungen zu beachten seien. In anderen Fällen könne bei sperrigen Gütern wiederum davon ausgegangen werden, dass – sollten sie weder einer besonderen Handhabung noch einer speziellen Transportweise bedürfen – die Beförderung zum Verkäufer keine erhebliche Unannehmlichkeit darstellt. Daher hänge die Frage, an welchem Ort der Verbraucher dem Verkäufer das im Fernabsatz erworbene Gut zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands bereitstellen müsse, von den Umständen des Einzelfalls ab.
Keine Verpflichtung, dem Verbraucher Vorschuss auf Transportkosten zu gewähren
Der Gerichtshof urteilte außerdem, dass das Recht des Verbrauchers auf „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands nicht die Verpflichtung des Verkäufers umfasse, einen Vorschuss auf die Transportkosten zu leisten. Dies gelte jedoch nur, wenn die Transportkosten für den Verbraucher keine Belastung darstellen, die ihn von der Geltendmachung seiner Rechte abhalten könnten. Grundsätzlich beinhalte der Begriff „unentgeltlich“ die zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands notwendigen Kosten, insbesondere Versand , Arbeits- und Materialkosten. Damit solle der Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen geschützt werden. Insoweit müsse das nationale Gericht bei der Prüfung, ob eine Belastung vorliegt, insbesondere die Höhe der Transportkosten, den Wert der Ware sowie die rechtlichen oder tatsächlichen Möglichkeiten zur Geltendmachung der Verbraucherrechte berücksichtigen.
Hinweis:
Zu beachten ist hierbei § 475 Abs. 6 BGB, der dem Verbraucher einen Vorschuss auf Versand- und Transportkosten im Falle der Nacherfüllung gewährt.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 23.05.2019, Az. C 52/18