Rechtsanwälte dürfen keine Schockwerbung betreiben
Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, (BGH) hatte darüber zu entscheiden, in welcher Form anwaltliche Werbung zulässig ist.
Der klagende Rechtsanwalt beabsichtigte, zu Werbezwecken Tassen mit Darstellungen bedrucken zu lassen, die Opfer einer Straftat zeigen; die Tassen sollten auch mit den Kontaktdaten der Kanzlei versehen und als sogenannte Schockwerbung eingesetzt werden. Der Kläger bat die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer, die Beklagte, um eine Beurteilung der berufsrechtlichen Zulässigkeit von drei Motiven. Es handelte sich um folgende Darstellungen:
[...] Der erste Aufdruck enthält eine mit diagonal verlaufenden roten Linien durchgestrichene fotografische Abbildung. Sie zeigt eine Frau, die ein auf ihren Knien liegendes, ersichtlich schreiendes Mädchen mit einem Gegenstand auf das nackte Gesäß schlägt. Neben dem Bild ist aufgedruckt: “Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1631 Abs. 2 BGB)”. Der zweite - zeichnerische - Abbildungsabdruck stellt einen eine Pfeife rauchenden Mann dar, der einer auf seinen Knien liegenden erwachsenen Frau mit einem Gegenstand auf das entblößte Gesäß schlägt. Daneben findet sich der Text: “Wurden Sie Opfer einer Straftat?”. Der dritte Aufdruck setzt sich zusammen aus einer fotografischen Abbildung einer jungen Frau, die sich erkennbar aus Verzweiflung den Mündungslauf einer Schusswaffe unter das Kinn hält, und der daneben angebrachten Textzeile “Nicht verzagen, R. fragen”. [...]
Die Beklagte erließ zwei schriftliche Hinweise, nach denen die beabsichtigte Werbemaßnahme nicht mit dem anwaltlichen Berufsrecht und dem Wettbewerbsrecht vereinbar und daher zu unterlassen sei. Gegen die Bescheide, welche eine Rechtsmittelbelehrung enthielten und dem Kläger förmlich zugestellt wurden, erhob dieser beim Anwaltsgerichtshof Hamm (AnwGH) Klage, welche als unzulässig zurückgewiesen wurde.
Das erstinstanzliche Urteil stellte darauf ab, dass die angegriffenen Bescheide keine anfechtbaren Verwaltungsakte darstellten. Solche lägen erst vor, wenn der Kläger entgegen den streitgegenständlichen Hinweisen die von ihm beabsichtigten Werbemaßnahmen tatsächlich durchführe und die Beklagte diese Maßnahmen sodann missbillige beziehungsweise den Kläger zur Unterlassung auffordere.
Der Kläger legte gegen die Entscheidung Berufung ein. Der BGH wich insofern von der Rechtsauffassung des AnwGH ab, als er die Anfechtungsklage für statthaft und zulässig erklärte. In der Sache sei sie allerdings unbegründet.
Die Bescheide seien nicht nur präventive Hinweise ohne Regelungscharakter, sondern Verwaltungsakte. Grundsätzlich seien präventive Auskünfte von Rechtsanwaltskammern nicht anfechtbar: Da sie sich auf ein künftiges Verhalten des Rechtsanwalts bezögen, stellten sie keine Schuld fest und griffen daher auch nicht in die Rechte des Erklärungsempfängers ein. Hier ließen die Bescheide jedoch erkennen, dass die Beklagte bei einem Verstoß gegen das Verbot ohne Weiteres ein Verfahren einleiten werde, und auch der Form nach lägen hoheitliche Verwaltungsmaßnahmen vor.
Die Klage sei aber unbegründet. Der BGH führte aus, dass die rechtmäßigen Bescheide den Kläger weder in seiner Meinungs- noch Berufsfreiheit beschränkten, da es ihm trotz der Hinweise freigestellt war, die Werbemaßnahme durchzuführen. Diese sei aber mit dem berufsrechtlichen Gebot sachlicher und berufsbezogener Unterrichtung nicht vereinbar.
[...] Die Grenzen zulässiger Werbung sind jedoch überschritten, wenn die Werbung darauf abzielt, gerade durch ihre reißerische und/oder sexualisierende Ausgestaltung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen, mit der Folge, dass ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbar ist. [...]
Das Gericht ging auf die einzelnen Darstellungen ein und stellte zum Beispiel bezüglich der Suizidversuch-Szene (Aufdruck 3) fest:
[...] Durch die fotografisch dargestellte äußerste Verzweiflung eines Menschen in Verbindung mit dem genannten Reim wird vielmehr eine umfassende Hilfe in allen denkbaren Lebenslagen suggeriert, die der Kläger kaum zu leisten imstande wäre. Ein Zusammenhang mit anwaltlicher Betätigung kann allenfalls in loser Assoziation hergestellt werden und wäre in der Sache verzerrt. [...]
Insgesamt ist also Werbung, die karikierende, reißerische und sexualisierte Darstellungen verwendet, geeignet, das Rechtsschutzbedürfnis des potenziellen Adressatenkreises abzuwerten und die Seriosität des Anwaltsstandes in Zweifel zu ziehen.
BGH, Urteil vom 27.10.2014, Az. AnwZ (Brfg) 67/13