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Amazon verfügt über Marktmacht in Deutschland

Landgericht München I, Urteil vom 12.05.2021, Az. 37 O 32/21


Amazon verfügt über Marktmacht in Deutschland

Das Landgericht München I entschied am 12.05.2021, dass Amazon grundsätzlich über Marktmacht auf dem Teilmarkt Dienstleistungsangebote von Onlinemarktplätzen für Händler in Deutschland verfüge. Ausnahmeweise liege aber im speziellen Fall keine Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung durch die unbegründete Sperrung eines Kundenkontos vor.

Kontosperrung als Missbrauch der Marktmacht?
Klägerin war ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, Beklagte die Verkaufsplattform Amazon. Die Klägerin verfügte über ein Verkäuferkonto bei Amazon. Sie vertrieb darüber Nahrungsergänzungs- und Schönheitsmittel. Vertragliche Grundlage der Zusammenarbeit war der Amazon Services Europe Business Solutions Vertrag („ASE-Vertrag“); weiterhin galten die allgemeinen AGB von Amazon. Zu den verkauften Produkten können Käufer Kundenrezensionen abgeben. Dafür sieht Amazon auch zahlreiche Regelungen zum Verbot der Einflussnahme vor. Die Beklagte verdächtigte die Klägerin, für Kundenrezensionen zu zahlen. Kurze Zeit nach Vorbringen der Verdächtigungen deaktivierte die Beklagte das Klägerkonto vorübergehend, entfernte das Warenangebot und fror das noch bestehende Guthaben ein. Nähere Informationen zu den Anschuldigungen erfolgten nicht. Auf Nachfragen der Klägerin reagierte Amazon zunächst nicht. Später verwies eine andere Stelle lediglich auf die bereits bekannten Anschuldigungen. Die Klägerin war der Meinung, dass die Kontosperrung eine unbillige Behinderung darstelle. Denn Amazon verfüge über erhebliche Marktmacht. Im einstweiligen Verfügungsverfahren entschied das Gericht, das gesperrte Klägerkonto sei unverzüglich wieder freizugeben. Hiergegen legte die Beklagte Widerspruch ein.

Onlinemarktplatz für Händler als sachlich relevanter Markt
Das Landgericht München I befand, sachlich relevanter Markt sei der Markt für das Dienstleistungsangebot von Onlinemarktplätzen gegenüber Händlern. Zwar ermögliche die Beklagte als Vermittler die direkte Interaktion zweier Nutzerseiten, nämlich den Abschluss von Kaufverträge zwischen Händlern und Endkunden. Allerdings sei vorliegend allein auf den Markt für das Dienstleistungsangebot von Onlinemarktplätzen gegenüber Händlern abzustellen. Die Vermittlung von Kaufverträgen gegenüber dem Endverbraucher könne vernachlässigt werden. Denn bei Transaktionsplattformen wie der vorliegenden komme eine einheitliche Betrachtung nur in Betracht, wenn beide Marktseiten einen einheitlichen Bedarf haben und die Austauschmöglichkeiten nicht wesentlich voneinander abweichen. An einem solchen einheitlichen Bedarf fehle es vorliegend. Für Händler, die möglichst viele Kunden erreichen wollen, stelle die Beklagte einen Engpass dar. Für die Kunden wiederum sei die Beklagte eine Möglichkeit, ihre Nachfrage nach einem bestimmten Produkt zu befriedigen. Diese Möglichkeit sei nicht mit anderen Vertriebskanälen austauschbar. Denn es fehle an einem unmittelbaren Transaktionsabschluss. Auch fehle es normalerweise an einer Vermittlungsleistung. Der Händler werde von Kunden unmittelbar über seine eigene Webseite kontaktiert. Dies erfolge ohne Einschaltung von Drittunternehmen als Vermittler. Im Übrigen spreche auch gegen eine Austauschbarkeit, dass die Händler bei den Transaktionen zusätzliche Dienstleistungen der Beklagten in Anspruch nehmen können, wie z.B. eine (gekoppelten) Zahlungsabwicklung.

Deutschland als geografisch relevanter Markt
Als geografisch relevanten Markt erachtete das Landgericht das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Onlinevermittlungsdienstleistungen, die unter einer nationalen Domain (.de) angeboten werden, seien nicht mit solchen einer ausländischen Domain austauschbar. Es bestehe aufgrund des räumlichen Schwerpunkts ein räumlich abgrenzbarer Teilmarkt für Onlinevermittlungsdienstleistungen auf deutschem Gebiet. Zwar seien Online-Marktplätze per se weltweit abrufbar und somit auch internationalen Händlern zugänglich. Allerdings sei der Internetauftritt der Beklagten auf deutsche Sprache voreingestellt. Adressaten seien damit schwerpunktmäßig deutschsprachige Marktteilnehmer.

Auch Käuferseite kann in Gesamtbetrachtung einfließen
Zudem könne eine ergänzende Betrachtung von der Käuferseite vorgenommen werden, so das Gericht weiter. Selbst wenn die Marktseiten grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten seien, sei eine solche Analyse vorliegend gerechtfertigt. Denn für die Händler seien in erster Linie diejenigen Portale als Vertriebsweg relevant, welche schwerpunktmäßig die Kundenzielgruppe erreichen. Nach Feststellung des Bundeskartellamts entfallen mehr als 95% des Gesamthandelsvolumens von der Beklagten-Webseite in Deutschland auf deutsche oder österreichische Kunden. Folglich werden die Waren in aller Regel an inländische Adressen ausgeliefert. Dies spreche für die Annahme eines nationalen deutschen Marktes. Zudem habe die Beklagte die durch das Bundeskartellamt veröffentlichten Zahlen zur Größe ihres Online-Marktplatzes sowie zu den teilnehmenden Händlern und Käufern nicht bestritten. Es handele sich dabei um eine allgemein zugängliche Information.

Marktbeherrschende Stellung von Amazon in Deutschland
Das Landgericht entschied, dass die Klägerin auf dem festgestellten und relevanten Teilmarkt marktbeherrschend sei. Das Bundeskartellamt habe festgestellt, dass deutlich mehr als 40 % des deutschen Onlinehandels über den Marktplatz der Beklagten abgewickelt werden. Der Beklagten komme aufgrund ihrer großen Bedeutung für Online-Händler die Rolle eines „gatekeeper“ für den Zugang zum Endverbrauchern zu. Wegen dieser sich auf den gesamten E-Commerce beziehenden Feststellung spreche viel dafür, dass die Marktanteile der Beklagten für den hier relevanten Teilbereich der Online-Marktplätze sogar noch größer seien. Dafür spreche auch die Feststellung des Bundeskartellamts, dass die deutsche Webseite der Beklagten die mit dem weltweit zweitgrößten Umsatz nach dem US-amerikanischen Angebot sei. 2018 seien mehr als 300 Mio. verschiedene Artikel angeboten und ca. 1,3 Mrd. Produkte verkauft worden. Ein weiteres Indiz sei, dass auch die EU-Kommission in einem Missbrauchsverfahren gegen den Mutterkonzern der Beklagten von einer marktbeherrschenden Stellung im Bereich der Marktplatz-Dienste in Frankreich und Deutschland ausgegangen sei.

Keine ausreichende Begründung zur Beendigung der Geschäftsbeziehung
Allerdings erkannte das LG keinen Marktmissbrauch. Zwar könne ein gesperrtes Händlerkonto ohne angemessene Begründung einen Marktmissbrauch darstellen. Vorliegend aber habe die Beklagte ihre Entscheidung aus sachlichen Gründen getroffen. Zwar erfülle sie nicht die Anforderungen an die Deaktivierung des Verkäuferkontos entsprechend der VO (EU) 2019/1150. Denn danach habe der Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten konkrete Tatsachen oder Umstände anzugeben, wenn er die Geschäftsbeziehung einseitig beenden wolle. Dieser Anforderung werde die Beklagte nicht gerecht. In ihrer Mitteilung werde zwar als Begründung angeführt, die Klägerin habe eventuell eine Vergütung für Kundenrezensionen angeboten bzw. Produktbewertungen manipuliert. Es seien aber keinerlei Angaben dazu vorhanden, welcher Sachverhalt konkret beanstandet werde. Durch die bloße Behauptung einer „eventuellen“ Pflichtverletzung sei die Klägerin nicht in die Lage versetzt, zu den Vorwürfen substantiiert Stellung zu nehmen und sich gegenüber dem Vorwurf zu verteidigen. Zwar verfolge die Beklagte mit der Sperrung ein berechtigtes Interesse, nämlich die effektive Bekämpfung von manipulierten Produktbewertungen. Gleichwohl entbinde dieses berechtigte Interesse nicht von einer einzelfallbezogenen Begründung.

Ausnahmsweise keine Begründungspflicht
Vorliegend sah das Gericht aber ausnahmsweise keine Pflicht zur Mitteilung konkreter Gründe. Denn das Klägerkonto sei bereits in der Vergangenheit wegen der gleichen Pflichtverletzung gesperrt worden. Bei wiederholten Verstößen des Nutzers gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen bestehe nach Art. 4 VO (EU) 2019/1150 eine Ausnahme von der Begründungspflicht. Die von der Beklagten mitgeteilten Begründung zum bereits in der Vergangenheit stattgefundenen Verstoß erfülle alle Voraussetzungen für eine Begründung. Damit sei eine (nochmalige) Begründung zur aktuellen Sperrung ausnahmsweise nicht erforderlich gewesen. Auf konkrete Tatsachen komme es zudem nicht an. Denn beiden Kontosperrungen hätten gleichgelagerte Pflichtverletzungen zugrunde gelegen, nämlich ein Verstoß gegen das Verbot gekaufter oder manipulierter Bewertungen.

Landgericht München I, Urteil vom 12.05.2021, Az. 37 O 32/21


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