Irreführende Alleinstellungswerbung: Verbrauchersicht maßgeblich
Ob die Bezeichnung des eigenen Unternehmens als „Marktführer“ in einer bestimmten Branche richtig oder falsch ist, bestimmt auch die Sichtweise des Verbrauchers, an den sich die werbende Äußerung richtet. Dies gilt ganz besonders für die Frage, welche Vergleiche angestellt werden müssen. Der auf Wettbewerbsrecht spezialisierte I. Senat am Bundesgerichtshof hat am 20.03.2012 in einem unter dem Aktenzeichen I ZR 202/10 geführten Revisionsrechtsstreit sein Urteil verkündet. Gestritten hatten der Marktverband „Intersport“ und das Einzelhandelsunternehmen „Karstadt“. Die Karstadt Warenhaus GmbH, in diesem Prozess als Beklagte beteiligt, hatte sich selbst in ihrem Internetauftritt unter anderem als „Marktführer in der Branche Sport“ bezeichnet. Die Klägerin organisiert die „Intersport-Gruppe“ in Deutschland und stellte fest, dass ihre Gruppe einen deutlich höheren Jahresumsatz in der Sportbranche erzielt als die selbsternannte Marktführerin Karstadt GmbH. Wegen einer angeblichen Falschaussage, die zur Täuschung der Verbraucher geeignet ist, ließ die Klägerin als Mitbewerberin im Bereich Einzelhandel mit Sportartikeln der Beklagten eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zustellen.
Die Beklagte wies die Abmahnung zurück und weigerte sich, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Ihrer Ansicht nach bestand keine Vergleichbarkeit zwischen ihrer Geschäftstätigkeit in der Sportbranche und der Tätigkeit der Klägerin. Als Verband betreibe die Klägerin selbst keinen Einzelhandel, sondern betreue nur die einzelnen, dem Verband angeschlossenen Sportartikelhändler. Alle Einnahmen der Einzelhändler zusammenzurechnen und der Beklagten als selbstständig tätiger Einzelhändlerin beim Vergleich entgegenzuhalten, sei nicht angebracht. Im direkten Vergleich der von den einzelnen Händlern erzielten Umsätze zeige sich, dass die Aussage der Beklagten zu ihrer Marktführerstellung gerechtfertigt sei. In erster Instanz gab das Landgericht München der Klage statt. Die daraufhin von der Beklagten beim Oberlandesgericht München eingereichte Berufung wurde zurückgewiesen. Gegen das Berufungsurteil legte die Beklagte Revision bei dem Bundesgerichtshof ein. Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zum Zwecke weiterer Tatsachenaufklärung zurück an das Berufungsgericht.
Im Gegensatz zu den Vorinstanzen gingen die Richter des I. Senats am Bundesgerichtshof nicht davon aus, dass die Behauptung der Beklagten, Marktführerin unter den Einzelhändlern für Sportartikel zu sein, sachlich falsch sein müsse. Schon bei der Überlegung, welche Konkurrenten in einen Vergleich, bei dem ein Alleinstellungsmerkmal gekürt werden soll, einzubeziehen sind, muss nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Empfängerhorizont des Verbrauchers berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht um den flüchtig vorbeischauenden Verbraucher und auch nicht um den mit allen Firmen und Anbietern der Branche intensiv vertrauten Spezialeinkäufer, sondern um den durchschnittlich informierten, durchschnittlich aufmerksamen Kunden. Diesem Kunden wird die Form, in der sich Einzelhändler aus der Sportbranche zu der Gemeinschaft „Intersport“ zusammengeschlossen haben, nicht vertraut sein. Zu den Vorgaben bei der Klägerin gehört es, dass die einzelnen Sportgeschäfte im eigenen Namen auftreten und die Bezeichnung „Intersport“ zusätzlich geführt wird. Der Verbraucher nimmt also die „Intersport“-Geschäfte trotz des gemeinsam verwendeten Logos nicht als Einheit wahr. Er wird sich deshalb möglicherweise keine Gedanken darüber machen, ob all diese zusammengeschlossenen Geschäfte mehr Umsatz machen könnten als „Karstadt Sport“.
Der Bundesgerichtshof billigt der Klägerin zwar zu, als Interessenvertreterin der unter dem Logo „Intersport“ zusammengefassten Einzelhändler wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend zu machen, ohne selbst Wettbewerber zu sein. Er hält es dann allerdings nicht für angebracht, die Einkünfte aller unter dem Dach der Klägerin organisierten Einzelhändler zusammenzuzählen, um daraus eine Marktführerstellung abzuleiten. Der durchschnittliche Verbraucher kennt die Organisationsstrukturen nicht, wenn er entscheidet, bei welchem Sporthändler er seinen Einkauf tätigen will. Ausschlaggebend sind für ihn die Erfahrung und die Breite des Sortiments. Von einem Marktführer in der Sportbranche erwartet der Kunde ein besonders breitgefächertes Angebot und erhöhte Sachkunde des Verkäufers. Außerdem erhofft er sich aufgrund großer Umsatzzahlen eine kundenfreundliche Preisgestaltung. Diese Vorstellungen der angesprochenen Zielgruppe müssen berücksichtigt werden, wenn festgestellt werden soll, ob die Aussage der Beklagten, Marktführer gegenüber den unter dem Logo der Klägerin organisierten Einzelhändler zu sein, eine wettbewerbswidrige, zur Täuschung geeignete Falschbehauptung darstellt.
BGH, Urteil vom 20.03.2012, Aktenzeichen I ZR 202/10