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Daimler muss Berichte über Niedriglöhne dulden

LG Stuttgart, 11 O 15/14


Daimler muss Berichte über Niedriglöhne dulden

Der Südwestrundfunk (SWR) hatte landesweit eine Reportage ausgestrahlt, in welcher der besonders niedrige Stundenlohn sowie die Arbeitsumstände von Fließbandarbeitern gerügt wurden. Die Reportage trug den Titel „Hungerlohn am Fließband - Wie Tarife ausgehebelt werden". Ein wesentlicher Teil der Reportage beschäftigt sich auch mit der Daimler AG. Diese wollte sich nun gerichtlich gegen die erneute Ausstrahlung der Reportage wenden. Das Landgericht Stuttgart wies die Klage allerdings ab (LG Stuttgart, Urteil vom 09.10.2014, Az. 11 O 15/14).
 
Undercover im Einsatz – Sachverhalt und Kontext des Urteils
Ein für den SWR tätiger Journalist hatte sich bei einer Zeitarbeitsfirma beworben, welche u. a. Arbeitsstellen an die Daimler AG mit Sitz in Stuttgart vermittelt. Zweck dieser Scheinbewerbung des Journalisten war es, verdeckte Ermittlungen zu unternehmen. Nachdem die Bewerbung des Journalisten erfolgreich war, wurde dieser zunächst an ein weiteres Unternehmen weitergeleitet, welches mit der Daimler AG einen Vertrag über Logistik-Leistungen abgeschlossen hatte. Als Mitarbeiter dieses Drittunternehmens kam der Journalist dann bei der Daimler AG in Stuttgart-Untertürkheim zum Einsatz. Seine Aufgabe war es, Zylinderköpfe am Fließband zu verpacken.

Über die gesamte Dauer seiner Tätigkeit hinweg filmte der Journalist mit insgesamt vier versteckten Kameras seine Arbeit inklusive der Umgebung. Diese Aufnahmen bildeten einen wesentlichen Teil der am 13.05.2013 im ARD-Programm „Das Erste“ landesweit gesendeten Enthüllungsreportage. In dieser wurde Kritik an Lohn und Arbeitsbedingungen der Kollegen des Journalisten geäußert.

Die Daimler AG wollte eine erneute Ausstrahlung der Dokumentation gerichtlich unterbinden. Sie war der Ansicht, der SWR hätte die Sendung nicht ausstrahlen dürfen, weil das zugrundeliegende Bildmaterial auf rechtswidrige Art und Weise beschafft worden seien. Die Videos gäben damit rechtswidrige Verhaltensweisen wieder und verletzten die Daimler AG in ihrem Persönlichkeitsrecht.
Wichtige öffentliche Interessen überwiegen individuelle Verletzung des Hausrechts - Auszug aus den Gründen

Dieser Ansicht schlossen sich die Stuttgarter Richter nicht an. Sie wiesen die Klage der Daimler AG als zulässig aber unbegründet ab. Die Sendung konnte damit erneut im deutschlandweiten Fernsehen ausgestrahlt werden.

In der Urteilsbegründung arbeitete die zuständige Zivilkammer aus, dass die Herstellung des Videomaterials auf rechtswidrige Art und Weise erfolgte. Der Journalist, der sich nur zum Schein bei der Zeitarbeitsfirma beworben und sodann zur Arbeit bei Daimler vermittelt wurde, habe das Hausrecht des Unternehmens verletzt, indem er verdeckt Videoaufnahmen tätigte. Insoweit stimmten die Richterinnen und Richter also der Argumentation der Klägerin zu. Sie bewerteten die Rechtsverletzung allerdings anders. Denn die Verletzung des Hausrechts müsse die Daimler AG hinnehmen, weil die Dokumentation des SWR einem wichtigen öffentlichen Informationsinteresse diene, welches die Verletzung des Hausrechts überwiege.

Die Dokumentation hat – so das Landgericht – über den Einsatz von Arbeitern im Rahmen von Werkverträgen informiert, der dazu führen kann, dass diese aufgrund der besonders niedrigen Löhne ergänzende Leistungen aus öffentlicher Hand erhalten müssen. Diese Aufstockung der Löhne werde von der durchschnittlichen Bevölkerung als Missstand begriffen, was zum Entstehen eines öffentlichen Interesses an dieser Thematik führe. Dieses öffentliche Informationsbedürfnis überwiege die Verletzung des Hausrechts der Daimler AG, sodass deren Interessen im Ergebnis zurücktreten müssten. Für eine Ausstrahlung des Videomaterials spreche zudem die in Art. 5 des Grundgesetzes verbürgte Meinungs- und Rundfunkfreiheit.

Kommentar und Bewertung des Urteils
Die Argumentation des Landgerichts überzeugt. Dem Urteil ist zuzustimmen. Positiv ins Gewicht fällt insbesondere die Sensibilität des Gerichts für grundrechtlich geschützte Belange. Denn obwohl Zivilgerichte bei ihrer Rechtsprechung nur auf eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zurückgreifen können, sind Unterlassungsklagen im Presserecht besonders grundrechtssensibel. Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe eines jeden Gerichts, was die Stuttgarter Richterinnen und Richter zutreffend erkannten, indem sie das öffentliche Informationsinteresse als wichtigeres Rechtsgut als die Hausrechtsverletzung der Daimler AG ansahen. Eine anderslautende Entscheidung wäre wohl auch das Ende des investigativen Journalismus gewesen.

LG Stuttgart, Urteil vom 09.10.2014, Az. 11 O 15/14


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