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BGH: Pflicht zur Übernahme sämtlicher Kosten bei Neulieferung

BGH, Urteil vom 21. 12. 2011, Az. VIII ZR 70/08


BGH: Pflicht zur Übernahme sämtlicher Kosten bei Neulieferung

Der Bundesgerichtshof hat für Recht erkannt: § 439 Abs. 1 Alt. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die dort aufgeführte Variante der Nacherfüllung „Lieferung einer mangelfreien Sache“ auch den Ausbau und Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst (BGH, Urteil vom 21. 12. 2011, Az. VIII ZR 70/08) .

Sachverhalt, Verfahrenshergang und europarechtlicher Hintergrund
Mit Urteil vom 21.12. hat der BGH eine grundsätzliche Entscheidung gefällt. Zur Verständnis dieses für die juristische Praxis und Ausbildung gleichermaßen bedeutsamen Urteils ist es unumgänglich, den Sachverhalt sowie den europarechtlichen Hintergrund, in welchen sich das Verfahren einfügt, zu kennen. Beides soll im Folgenden deshalb zunächst in der gebotenen Knappheit wiedergegeben werden.

Der Kläger des Verfahrens erwarb von der Beklagten, der Betreiberin eines Baustoffhandels, Bodenfliesen zu einem Gesamtpreis von 1.192 €. Nachdem er die Fliesen bereits aufwendig in seinem Wohnhaus verlegen ließ, fielen ihm einige Mängel an den Fliesen auf, deren Beseitigung unmöglich ist. Der Kläger machte deshalb gerichtlich einen Nacherfüllungsanspruch aus § 439 Abs. BGB gegen die Beklagte geltend. Er verlangte von dieser, die Lieferung neuer Fliesen nebst Tragung der Kosten für den Ausbau der mangelhaften Fliesen sowie den Einbau der neuen Fliesen. Insgesamt beliefen sich die hierfür nötigen Kosten auf 5.831 €. Das zunächst mit dem Fall betraute Landgericht gab der nur hinsichtlich einer vom Kläger nicht einmal geltend gemachten Minderung des Kaufpreises von 273 € statt. Bezüglich der anderen Punkte, insbesondere bezüglich der Kosten für den Aus- und Einbau wurde die Klage in erster Instanz abgewiesen (LG Kassel, Urteil vom 24.11.2006, Az. 4 O 1248/06). Das als Berufungsinstanz tätig gewordene Oberlandesgericht Frankfurt a. M. gab der Klage insofern statt, als dass die Beklagte nur zur Lieferung neuer Fliesen und Zahlung der Ausbaukosten verurteilt wurde. Die Kosten für den Einbau der neuen Fliesen sollte die Beklagte nach Ansicht des Oberlandesgerichts hingegen nicht tragen (OLG Frankfurt a. M., 14.02.2008, Az. 15 U 5/07). Als der Bundesgerichtshof im Wege der Revision angerufen wurde, legte dieser den Fall unter vorübergehender Aussetzung des Verfahrens dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Klärung einschlägiger europarechtlicher Fragen vor.

Hierdurch sollte geklärt werden, ob Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 der Kaufrechtsrichtlinie RL 1999/44 (EG) auch die Ausbaukosten der mangelhaften Sache umfasst. Außerdem sollte geklärt werden, ob die nationale Vorschrift des § 439 Abs. 3 BGB, die es Verkäufern erlaubt, die vom Käufer gewählte Nacherfüllungsform zu verweigern, wenn sie ihm unverhältnismäßig hohe Kosten abverlangt, mit der Richtlinie im Einklang steht. Der EuGH bejahte die erste Frage und führte aus, dass die fraglichen Art. Der Richtlinie dahingehend auszulegen sei, dass den Verkäufer im Zuge der Ersatzlieferung auch die Verpflichtung treffe, den Ausbau der mangelhaften Sache und den Wiedereinbau der Ersatzsache vorzunehmen oder die hierfür notwendigen Kosten zu tragen. Dies gelte unabhängig davon, ob im Kaufvertrag die Verpflichtung bestehe, das Verbrauchsgut einzubauen (EuGH, Urteil vom 16.06.2011, Az. C-65/09 und C-87/09).

§ 439 Abs. 1 BGB ist europarechtskonform über den Wortlaut hinaus auszulegen – Auszug aus den Gründen
Der BGH setzte die Vorgaben des EuGH in seinem eigenen Urteil folgerichtig um. Dementsprechend wurde der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es wurde entschieden, dass die nationale Rechtsvorschrift des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB richtlinienkonform auszulegen ist. Demgemäß umfasst die „Lieferung einer mangelfreien Sache“ auch den Ausbau und Abtransport der mangelfreien Kaufsache. Weiterhin sei das Verweigerungsrecht des Käufers nach § 439 Abs. 3 S. 3 BGB beim Verbrauchsgüterkauf einzuschränken, um den Vorgaben der Kaufrechtsrichtlinie Rechnung zu tragen. Der Senat lässt das Verweigerungsrecht nur zu, wenn nur eine Form der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Form der Nacherfüllung zu Recht verweigert.

BGH, Urteil vom 21. 12. 2011, Az. VIII ZR 70/08


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Kommentare (1)

  • Wolfgang Hirrle

    18 April 2016 um 12:34 |
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    wir haben einen Landschaftsgärtner beauftragt, unserer Terrasse anzulegen. Der Lieferant der Terrassenplatten konnte uns nach Reklamation der mangelhaften Terrassenplatten auch bei der 2. Ersatzlieferungn keinen einwandfreien Ersatz liefern, so dass er vom Vertrag zurückgetreten ist und wir neue Terrassenplatten bei einem anderen Anbieter bestellen müssen.
    Der Lieferant übernimmt Wechselkosten sowie die Materialkosten der alten Platten - jedoch nicht die Mehrkosten der neuen Platten.
    Meine Frage ist: Ist der alte Lieferant nach §439 Abs. 1 BGB. verpflichtet auch die Mehrkosten des neuen Anbieters zu übernehmen? Könnten wir dies mit unserer Rechtschutzversicherung im Notfall gerichtlich durchsetzen?
    Vielen Dank für einen zeitnahe Antwort.
    Mit freundlichen Grüßen, W . H.

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