Urheberschutz für DIN-Normen
Das Landgericht Hamburg entschied im März 2015, dass auch der Text einer DIN-Norm urheberrechtlich geschützt sein kann. Sobald dem Urheber eines Textes ein ausreichender Spielraum für kreativen Ausdruck zur Verfügung steht und er davon auch Gebrauch macht, sind die Anforderungen an eine persönliche geistige Schöpfung erfüllt. Dies gilt auch für technische Texte und Normen, sofern es sich dabei nicht nur um eine reine Aufzählung technischer Fakten handelt.
Im verhandelten Fall hatte der Betreiber einer Webseite, eine Nonprofit-Organisation, die eine Webseite mit vor allem englischsprachigen Gesetzes- und Normentexten betreibt, auch die vollständigen Texte einiger DIN-EN-Normen veröffentlicht. Von den vier veröffentlichten DIN-EN-Normen wurden zwei in englischer und zwei sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache veröffentlicht. Da der europäische Normungsprozess in englischer Sprache erfolgt, handelt es sich bei den englischen Versionen um die Originaltexte, bei den deutschen Versionen um Übersetzungen. Auf den deutschsprachigen DIN-EN-Normen – beispielsweise auf den vom Beklagten Webseitenbetreiber veröffentlichten Normen für Rennräder und Schnuller – ist folgender Hinweis abgedruckt:
„© DIN Deutsches Institut für Normung e.V. – Jede Art der Vervielfältigung auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung des DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin gestattet.“
Entsprechend sind auch die englischen Originalversionen gekennzeichnet. In Deutschland lassen sich sämtliche DIN-Normen unentgeltlich in 109 über ganz Deutschland verteilte sogenannte Normauslegestellen einsehen.
Geklagt hatte der Rechteinhaber, also das Deutsche Institut für Normung, das beantragte, dem Beklagten die Verbreitung der DIN-Normen zu untersagen. Der Kläger begründete seinen Antrag mit der Feststellung, dass es sich bei den Texten der DIN-Normen nicht nur um rein technische Beschreibungen von Sachverhalten, sondern um ihre verständliche Beschreibung handele. Die Texte würden einem umfangreichen Prozess der Prüfung und Verbesserung unterzogen und verfügten daher über eine individuelle Schöpfungshöhe. Deshalb sei die ungenehmigte Verbreitung der Texte auf der Webseite des Beklagten eine Urheberrechtsverletzung, die ihm zu untersagen sei.
Der Beklagte bestritt, dass der Kläger überhaupt zu seiner Klage legitimiert sei, denn er sei nicht Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte an den DIN-Normen. Vor allem aber war der Beklagte der Ansicht, dass mit den DIN-Normen kein urheberrechtlich geschütztes Werk vorliege. Die Texte seien nur eine „Zusammenstellung technischer Festlegungen“, es fehle ihnen jede Individualität. Die Texte seien zudem sehr einfach strukturiert und wiesen große Ähnlichkeit beispielsweise mit Kochrezepten auf. Ein Spielraum für Individualität sei nicht erkennbar.
Das Landgericht Hamburg gab dem Kläger weitgehend Recht. Zwar seien nach § 5 Abs. 1 UrhG Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlasse und Bekanntmachungen sowie Entscheidungen und amtliche verfasste Leitsätze zu Entscheidungen vom urheberrechtlichen Schutz ausgenommen, dies gelte aber nicht für private Normwerke wie die DIN-Normen. Eine individuelle Schöpfung im Sinne des Urheberrechts sei dann gegeben, wenn der Urheber einen hinreichenden Spielraum für kreatives Schaffen hatte und er von diesem Spielraum auch Gebrauch gemacht hat. Dabei ist nach allgemeiner Rechtsprechung, auf die sich das LG Hamburg in seinem Urteil beruft, keine besondere Qualität des sprachlichen Ausdrucks oder ein Überragen des alltäglichen Sprachschaffens nötig. Gliederung und Inhalt der DIN-Normen sei zwar stark durch für die Normung bestehende Regelungen und durch den Stand der normierten Technik bestimmt, trotzdem werde ein komplexer Sachverhalt verständlich zusammengefasst und vermittelt. Der Gestaltungsspielraum, der dabei vorhanden sei, werde genutzt, weshalb es sich nicht nur um eine Aneinanderreihung reiner Fakten handele.
Auch den technischen Zeichnungen in den DIN-Normen kommt nach Ansicht des Gerichts ein urheberrechtlicher Schutz zu, denn sie erfordern eine Abstrahierung von realen Gegebenheiten und damit eine schöpferische Leistung ihres Urhebers. Des Weiteren stellte das Gericht fest, dass der Kläger legitimiert sei, die Klage zu führen. Der Beklagte habe nicht glaubhaft machen können, weshalb der auf den DIN-Normen angegebene Urheber nicht auch Inhaber der Nutzungsrechte und damit klageberechtigt sein solle.
LG Hamburg, Urteil v. 31.03.2015, Az. 308 O 206/13