Öffentliches Zugänglichmachen bei Direkteingabe der URL
Das Landgericht Berlin hat ein erstes Urteil zum Thema Leistungsschutzrecht für Presseverleger gefällt. Die Richter haben entschieden, dass öffentliches Zugänglichmachen von Text- oder Webseitenausschnitten (§§ 19, 87 UrhG) auch dann vorliegt, wenn dritte Personen ausschließlich über die Eingabe der Ziel-URL außerhalb der gängigen Suchfunktionen Zugang zu der streitgegenständlichen Datei erhalten. Es kommt dabei ausschließlich auf die Wahrscheinlichkeit der Realisierung und der bloßen Bereitstellung der Datei auf einem Server an. Es kommt nicht auf die lebensnahe Realität an, sondern auf die abstrakte Möglichkeit, dass dritte Nutzer die in diesem Rechtsstreit zum Screenshot führende Ziel-URL in ihren Browser eingeben könnten. Dass diese URL-Adresse und damit die Datei ausschließlich dem Empfänger passwortgeschützt zur Verfügung gestellt wurde, für Dritte jedoch an keiner Stelle ein Link abrufbar und somit faktisch nicht auffindbar war, spielte für die Richter keine Rolle.
Verfahrensbeteiligte sind eine Medienagentur, die mit ihrer Webseite Text- und Grafikinhalte bereithält und sich als „Wissensportal, Suchmaschine und Community“ bezeichnet und eine Fotoagentur, die gleichfalls Webseiten betreibt. Die Betreiberin der Medienagentur hatte vor diesem Verfahren ein Lichtbild, an dem die Fotoagentur die Urheberrechte besitzt, unberechtigt für ihre Webseiten adaptiert. Wegen unberechtigter Nutzung eines Lichtbildes, an dem ihr die ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte zustehen, mahnte die Fotoagentur die Betreiberin der Medienagentur ab und forderte sie im Wege der Linzenzanalogie zu einer Zahlung von 240,75 EUR auf. Vor dem Verfahren wählte die Fotoagentur den unbürokratischen Weg und schickte der Rechtsverletzerin per E-Mail eine Aufforderung, die entsprechende Nachlizenzgebühr zu zahlen. Über ein bereitgestelltes Online-Tool der Fotoagentur konnte die Rechtsverletzerin als Empfängerin zu der dokumentierten Rechtsverletzung gelangen. Dieses Online-Tool bestand aus einer passwortgeschützten URL, über die die Fotoagentur die Rechtsverletzung mit einem Screenshot dokumentierte. Mit diesem Screenshot waren das streitgegenständliche Foto und einige Textausschnitte aus der Webseite der Rechtsverletzerin abgebildet. Anstatt auf den Vorschlag der Fotoagentur zur Vermeidung eines kostspieligen Rechtsstreits einzugehen und die Nachlizenz zu zahlen, nahm die Rechtsverletzerin die Fotoagentur nun ihrerseits aufgrund einer behaupteten Urheberrechtsverletzung gerichtlich in Anspruch. Die Medienagentur als ursprüngliche Rechtsverletzerin behauptet, die Dokumentation, die die Urheberrechtsverletzung an dem entsprechenden Foto dokumentiert, beinhalte zusätzlich Textausschnitte aus ihrer eigenen Webseite, an denen ihr das ausschließliche Nutzungs- und Verwertungsrecht zustehe. Die Fotoagentur habe Teile dieser Textinhalte entsprechend dem Urheberrecht unrechtmäßig der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Zunächst nahm die Betreiberin der Medienagentur die Fotoagentur vor dem Landgericht Berlin aufgrund der geltend gemachten Urheberrechte an den im Screenshot abgebildeten Textausschnitten in Anspruch, nachdem die Fotoagentur sich geweigert hatte, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Das LG Berlin wies den Antrag auf einstweilige Verfügung zurück, während die nächste Instanz diese nach Widerspruch bestätigte. Die URL-Adresse mit dem Screenshot, der die ursprüngliche Rechtsverletzung an dem urheberrechtsgeschützten Foto dokumentiert, war ausschließlich für die Empfängerin passwortgeschützt auf einer Webseite abrufbar, jedoch an keiner anderen Stelle verlinkt oder durch eine Suchmaschine auffindbar. Für Dritte war der URL-Link praktisch unauffindbar. Dieser Einwand der Verfügungsbeklagten (Fotoagentur) reichte den Richtern als Gegenargumentation nicht aus. Alleine die unwahrscheinliche Möglichkeit einer Abrufbarkeit reicht aus, um der Medienagentur als Verfügungsklägerin nun ihrerseits in einem überraschenden Rollentausch Unterlassungsansprüche an die Verfahrensgegnerin (Fotoagentur) wegen Urheberrechtsverletzung an den besagten Textpassagen zuzusprechen. Nach dem Leistungsschutzrecht handelt es sich bei den streitgegenständlichen Textpassagen um eine verlegerische Leistung, die es gilt, vor dem systematischen Zugriff der Anbieter von Suchmaschinen zu schützen. Das Vorgehen der Medienagentur gegen die Fotoagentur ist formal richtig und nicht rechtsmissbräuchlich. Dennoch sehen Rechtsexperten dieses Urteil kritisch. Auch wenn sich diese atypische und ungewöhnliche Konstellation so auf diese Weise nicht oft wiederholen dürfte, sehen sie dieses Urteil als „Retourkutsche ohne erkennbares Rechtsschutzbedürfnis“ an, die mit dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden nicht viel gemeinsam hat.
Sogenannte Textschnipsel und Snippets genießen durch das Urhebergesetz keinen originären Werksschutz. Das Leistungsschutzgesetz wurde im August 2013 entgegen großer Kritik auf Druck der Verlage eingeführt. Es wurde nicht nur zum Schutz verlegerischer Leistungen konzipiert, sondern auch, um den Seitenaufruf der Verlage und den damit verbundenen Gewinn durch Werbung zu erhöhen. Das Gesetz ist aufgrund der Marktmacht des Suchmaschinenanbieters Google auch als „lex google“ bekannt. Dieses Urteil werfe kein gutes Licht auf das Leistungsschutzrecht, so ein Anwalt. Offensichtlich gehe es der Verfügungsklägerin in diesem Rechtsstreit nicht um den vom Gesetz ins Visier genommenen systematischen Zugriff durch Suchmaschinenbetreiber auf die Webseiten. Auch sei der durch Werbung erzielte Gewinn durch die Abbildung des Screenshots nicht in Gefahr gewesen. Es liegt nahe, dass es der Verfügungsklägerin mehr um eine Retourkutsche bezüglich der Schadensersatzforderungen wegen der Übernahme des geschützten Lichtbildes geht als um den Schutz ihrer kreativen verlegerischen Leistung und Ausbeutung durch Dritte.
Die Entscheidung des LG Berlin könnte sich aufgrund der Schrankenbestimmung gemäß § 87 UrhG als zweifelhaft herausstellen. Demzufolge ist die Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder einzelner Teile hiervon, wie in diesem Fall die streitgegenständlichen Textpassagen, zulässig. Voraussetzung für diese Zulässigkeit ist, dass die entsprechenden Textpassagen nicht von gewerblichen Anbietern von Suchmaschinen oder Diensten, die diese Inhalte professionell aufbereiten, erfolgt. Es stellt sich die Frage, ob die Richter die beklagte Fotoagentur als einen solchen gewerblichen Anbieter eingestuft hat oder ob sie die Gesetzgebung der Schrankenbestimmung schlicht übersehen hat.
LG Berlin, Urteil vom 06.01.2015, Az. 15 O 412/14