Fristwahrung trotz unzuständigem Gericht
Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob eine Berufung zu einem unzuständigen Gericht aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung fristwahrend war. Klägerin war die Betreiberin einer Plattform, über die Musiktitel digital vertrieben werden können. Der Beklagte, ein Sänger, hatte einen Titel in das Internetportal der Klägerin eingestellt. Diesen Titel hatte die Klägerin in eine von ihr erstellte und veröffentlichte Kompilation mit aufgenommen. Nach einer Abmahnung durch den Beklagten, weil sie seinen Musiktitel rechtswidrig verbreitet habe, verklagte die Klägerin ihn beim Amtsgericht Koblenz wegen einer Verletzung ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf Ersatz der für die Zurückweisung der Ansprüche angefallenen Anwaltskosten. Das Amtsgericht Koblenz wies die Klage ab. Zusammen mit dem schriftlichen Urteil wurde der Klägerin eine Rechtsmittelbelehrung erteilt, in der es hieß, eine etwaige Berufung gegen das Urteil sei beim Landgericht Koblenz einzulegen. Die Klägerin focht das amtsgerichtliche Urteil fristgemäß an und richtete ihre Berufung entsprechend der Rechtsmittelbelehrung an das Landgericht Koblenz. Diesem gegenüber gab sie auch die Berufungsbegründung ab. In der Folge erhielt sie vom Vorsitzenden der dortigen Berufungskammer den schriftlichen Hinweis, dass es in der Angelegenheit um eine Urheberrechtsstreitsache gehe und daher nach § 6 ZivilZustV für Rheinland-Pfalz das Landgericht Frankenthal in zweiter Instanz zuständig sei. Die Klägerin ließ durch ihre Prozessbevollmächtigten vortragen, es liege keine Urheberrechtsstreitsache vor, sondern es gehe um Schadenersatz wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Hilfsweise beantragte sie, den Rechtsstreit an das Landgericht Frankenthal zu verweisen und - ebenfalls hilfsweise - hinsichtlich der versäumten Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Landgericht Koblenz erklärte sich daraufhin für funktionell nicht zuständig und verwies die Sache an das Landgericht Frankenthal. Dieses wiederum verwarf die Berufung der Klägerin als unzulässig und wies auch den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Gegen den Beschluss legte die Klägerin mit Erfolg Rechtsbeschwerde zum BGH ein. Der BGH hat die Einschätzung des Landgerichts Koblenz geteilt, es gehe um eine Urheberrechtsstreitsache im Sinne des § 104 Satz 1 UrhG. Die Klägerin selbst habe ihre Klage darauf gestützt, dass die Aufnahme des Musiktitels in die Kompilation und die Veröffentlichung urheberrechtskonform gewesen seien und der Beklagte sie rechtswidrig abgemahnt habe. Für die Berufung sei daher nicht das Landgericht Koblenz, sondern gemäß § 105 Abs. 1 UrhG in Verbindung mit § 6 ZivilZustV RP das Landgericht Frankenthal funktionell zuständig. Dennoch hat nach Auffassung des BGH die Klägerin die Fristen zur Einlegung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil und zur Berufungsbegründung durch ihre entsprechenden Schriftsätze an das Landgericht Koblenz gewahrt. Der BGH hat dies damit begründet, die gesetzliche Regelung der Zuständigkeit für die Berufung in Urheberrechtsstreitsachen sei nicht eindeutig. Die Abgrenzung, ob eine Urheberrechtsstreitsache vorliege, könne problematisch sein und bei den Parteien zu Zweifeln darüber führen, bei welchem Gericht sie Berufung einlegen müssen. In diesem Fall dürften sie sich auf die Richtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung, die ihnen das erstinstanzliche Gericht erteilt habe, verlassen. Es gelte das Gebot der Rechtsmittelklarheit, d.h. der Rechtsuchende müsse zweifelsfrei erkennen können, welches Rechtsmittel ihm zur Verfügung stehe und wie er in zulässiger Weise davon Gebrauch machen könne. Im vorliegenden Fall habe es Abgrenzungsschwierigkeien gegeben: Während die Klägerin vom Amtsgericht Koblenz die Einschätzung erhalten habe, es handele sich nicht um eine Urheberrechtsstreitsache, und dementsprechend falsch über das zuständige Berufungsgericht belehrt worden sei, habe ihr das Landgericht Koblenz in seinem Hinweis wiederum mitgeteilt, es liege eine Urheberrechtsstreitsache vor. Unter diesen Umständen sei für die Klägerin nicht mit der gebotenen Klarheit erkennbar gewesen, wo sie ihre Berufung haben einlegen müssen. Die Anbringung zweier Berufungen bei zwei unterschiedlichen Gerichten, von denen eine unzulässig gewesen wäre, habe von ihr nicht verlangt werden können.
BGH, Beschluss v. 22.03.2016, Az.: I ZB 44/15