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Unverhältnismäßigkeit von DSGVO-Auskunftsbegehren bei Personenverkehr-Überwachung

Amtsgericht Pankow, Urteil vom 27.03.2022, Az. 4 C 199/21


Unverhältnismäßigkeit von DSGVO-Auskunftsbegehren bei Personenverkehr-Überwachung

Gemäß Art. 82 Abs. 1  der Datenschutzgrundverordnung kann eine Person Schadensersatz für Schäden verlangen, die wegen eines Vorstoßes gegen die Verordnung entstanden sind. Die Weigerung eines Verkehrsunternehmens, einem Fahrgast Auskunft über die für 48 Stunden aufgezeichneten Aufnahmen einer Sicherheitskamera zu erteilen, verstößt weder gegen das Auskunftsrecht des Fahrgastes gemäß Artikel 15 Abs. 1 DSGVO, noch gegen das Recht aus Art. 18 Abs. 1 lit. c DSGVO einer von Datenverarbeitung betroffenen Person, vom Verantwortlichen zu verlangen, die Löschung zu unterlassen. Dies hat das Amtsgericht Pankow mit Urteil vom 27.03.2022 klargestellt.

Hintergrund
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Personenbeförderungsunternehmen. In einigen ihrer Züge findet eine Videoaufzeichnung der Zuginnenräume bei Fahrbetrieb statt. Diese Aufzeichnungen werden 48 Stunden gespeichert. Der Kläger teilte der Beklagten mit E-Mail vom 27.04.2021 mit, dass er gegen 14:18 Uhr am Bahnhof Schönhauser Allee in eine S-Bahn der Beklagten eingestiegen sei und hat diese um Herausgabe der ihn betreffenden Videoinformationen gebeten. Er forderte die Beklagte zugleich auf, die ihn betreffenden Daten nicht zu löschen. Nichtsdestotrotz löschte die Beklagte die Daten innerhalb der Löschungsfrist von 48 Stunden und lehnte mit Schreiben vom 3.05.2021 die begehrte Auskunft gegenüber dem Kläger ab. Der Kläger ist der Auffassung gewesen, durch das erfasst werden von der Kamera liege ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung vor, welcher ein Schmerzensgeld begründe. Deshalb begehrte er, die Beklagte zur Zahlung von einem Schmerzensgeld in Höhe von 350 € sowie Zinsen zu verurteilen. Im Ergebnis war ein Schmerzensgeldanspruch durch das Gericht allerdings abgelehnt worden.

Unverhältnismäßigkeit des Auskunftsbegehrens unterliegt strengen Maßstäben
Offenbleiben konnte, ob der Kläger zu der von ihm behaupteten Zeit in der S-Bahn der Beklagten mitgefahren ist. Hinsichtlich des hierauf basierenden Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DSGVO war der Beklagten das Erfüllen dieses Anspruchs schon aufgrund unverhältnismäßigen Aufwands gemäß § 275 Abs. 2 BGB nicht zumutbar. Wegen des Ausnahmecharakters von § 275 Abs. 2 BGB sowie der zentralen Bedeutung des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 DSGVO sind an die Unverhältnismäßigkeit eines Auskunftsbegehrens strenge Maßstäbe zu stellen. Ein Verweigerungsrecht besteht insbesondere nur bei grobem Missverhältnis zwischen Aufwand und Leistungsinteresse.

Kein ausreichendes Transparenzinteresse bei Kenntnis von Überwachung
Vorliegend war das Transparenzinteresse des Klägers äußerst gering, sodass ein grobes Missverhältnis im konkreten Fall angenommen worden ist. Entscheidend war für die Richter, dass sich der Kläger des Ob, Wie und Was der Datenverarbeitung bewusst war. Dieser wusste genau, dass und in welchem Umfang personenbezogene Daten erhoben werden. Normzweck des Art. 15 DSGVO ist allerdings gerade das Bewusstwerden über die Datenverarbeitung. Dieses Bewusstsein war vorliegend weitestgehend gegeben.

48 Stunden Speicherung ist dem Fahrgast zumutbar
Im vorliegenden Fall der Personenbeförderung ist die Datenverarbeitung durch die Beklagte von vornherein auf 48 Stunden zeitlich und örtlich auf die Züge der Beklagten begrenzt. Damit ist der Sachverhalt gerade nicht einer Situation vergleichbar, bei der sich ein Auskunftsbegehrender einen Überblick über verarbeitete personenbezogene Daten verschaffen will, die gegebenenfalls länger in der Vergangenheit zurückgelegen haben oder Daten zu unterschiedlichen Anlässen verarbeitet werden. Demnach ist es dem Kläger und jedem anderen Dritten auch zumutbar gewesen, sich innerhalb des kurzen Zeitraums von 48 Stunden zu erinnern, wann eine Dienstleistung der Beklagten in Anspruch genommen wurde und wann entsprechend eine Verarbeitung personenbezogener Daten stattgefunden hat. Insofern war der vom Kläger beanstandete Kontrollverlust auch nicht erkennbar, denn wie dieser selbst darlegt hat, wurde er von der Beklagten über sämtliche von Art. 15 Abs 1 lit. a-h DSGVO erfassten Aspekte der Datenverarbeitung, einschließlich Verarbeitungszweck, Dauer der Verarbeitung und Beschwerderecht informiert. Insoweit war der Normzweck von Art. 15 DSGVO, der Vergewisserung über „Existenz, Zwecke, Absichten und Rechtsfolgen“ der Datenverarbeitung, erfüllt.

Zu großer Ressourcenaufwand für Auskunft erforderlich
Demgegenüber hat die Beklagte substantiiert darlegen können, dass die Erfüllung des Auskunftsanspruchs durch Verhinderung der automatischen Löschung und anschließender Auskunft an den Kläger einen erheblichen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft bedeute. Dass ein solcher Aufwand einem Auskunftsbegehren entgegenstehen kann, ist europarechtlich anerkannt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.10.2016, Az. C 582/14). Für die Beklagte wären erhebliche Ressourcen zur Identifizierung von Personen nötig und auch die datenschutzgerechte Entnahme der Kassetten wäre aufgrund von Anreisezeiten zu den Zügen sowie Sicherheitsvorkehrungen aufwendig. Zum anderen würde die Auskunft erfordern, dass die Beklagte ihre Betriebsvereinbarung mit Hinblick auf die Auswertung der Speicherkassetten anpasst und diese selbst auswertet, bzw. Dritte hiermit beauftragt. Eine Anpassung dieser Prozesse, zum Beispiel durch die Anschaffung einer Software, bedeutet jedoch einen erheblichen Aufwand. Darüber hinaus würde dies erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken auslösen. Im Ergebnis hat die Beklagte insoweit darlegen können, dass Ihre dezentralisierten Verarbeitungsprozesse gerade dem Datenschutz dienen.

Längere Speicherung würde Rechte Dritter berühren
Wäre die Beklagte zu einer längeren Speicherung aufgrund des Verlangens des Klägers verpflichtet, würden allerdings auch die durch Art. 15 Abs. 4 DSGVO geschützten Interessen Dritter betroffen sein. Diese Drittbetroffenheit war auch im Rahmen der Prüfung des Äquivalenzinteresses von Kläger und Beklagter zu berücksichtigen. Selbst wenn das Unkenntlichmachen von Dritten technisch möglich wäre, würde diese regelmäßig nicht zuverlässig innerhalb von 48 Stunden, gegebenenfalls in sogar noch kürzeren Zeiträumen zu leisten sein. Demzufolge würden bei einer längeren Speicherung nach einem Auskunftsersuchen die Datenschutzrechte von Dritten beeinträchtigt werden. Insofern würde mit den entgegenstehenden Rechten Dritter bei einem Auskunftsbegehren die Gefahr bestehen, dass ein zentrales normatives datenschutzrechtliches Anliegen unterlaufen wird. Aufgrund dessen sowie mit Blick auf den erheblichen Ressourcenaufwand der Beklagten hat das Interesse der begrenzten Erkenntnisgewinnung des Klägers zurücktreten müssen.

Auch kein Anspruch aus Art. 18 Abs. 1 lit. c DSGVO
Aus denselben Gründen hat das Unterlassen der Beklagten, die automatische Löschung zu verhindern, auch nicht Art. 18 Abs. 1 lit. c DSGVO verletzt. Nach diesem kann eine von einer Datenverarbeitung betroffene Person vom Verantwortlichen verlangen, die Löschung zu unterlassen, wenn sie die verarbeitenden Daten zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt. Wie bereits dargelegt, ist das Vergewisserungsinteresse des Klägers an der Videoaufzeichnung gering. In gleichem Maße greifen die Art. 15 DSGVO betreffenden Bedenken durch.


Amtsgericht Pankow, Urteil vom 27.03.2022, Az. 4 C 199/21


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