Überwachungskamera in Wohnungseigentumsanlage ist unzulässig
Das Amtsgericht München entschied mit Urteil vom 28.02.2019, Az.: 484 C 18186/18 WEG, dass das Installieren einer Überwachungskamera auf dem Balkon einer Wohnungseigentumsanlage unzulässig sei, wenn die Möglichkeit besteht, dass Nachbarn auf den Kameraaufnahmen erfasst werden. Denn allein die Möglichkeit stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Nachbarn dar.
Großer Abstand bei geringer Aufnahme-Reichweite – Attrappe?
Zwei Sondereigentümer von Wohnungen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) stritten um die Installation einer Überwachungskamera. Der Beklagte brachte die Kamera am 10.07.2018 auf dem Balkon der ihm gehörenden Wohnung an und richtete sie auf die Gemeinschaftsflächen des Gemeinschaftsgartens des WEG-Anwesens aus. In der späteren Gerichtsverhandlung gab er an, dass die Kamera ein Bild macht, wenn sich etwas bewegt. Aufnahmen seien allerdings nur in einer Entfernung von 3 Metern möglich. Vom Balkon des Beklagten bis zum Gemeinschaftsgarten liegt eine Entfernung von ca. 15 Metern. Die Kamera ist so am Balkon des Beklagten befestigt, dass der Abstand bis zum Boden 10 Meter beträgt. Am 08.08.2018 demontierte er die Überwachungskamera wieder.
Überwachungskamera zur Abschreckung vor Einbrüchen
Der Kläger verlangte vom Beklagten die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, was der Beklagte ablehnte. Der Beklagte argumentierte gegenüber der WEG-Hausverwaltung, dass in der vergangenen Zeit einige Einbrüche im Haus und in der Nachbarschaft stattgefunden hätten. Die Polizei hätte ihm den Rat gegeben, dass auch Abschreckungsmethoden, wie das Anbringen einer „WildCam“, Einbrüche vermeiden könnten. Obwohl der Beklagte bei der WEG-Hausverwaltung den Antrag stellte, dass bei der nächsten Eigentümerversammlung über die Anbringung einer Überwachungskamera Beschluss gefasst wird, setzte die Hausverwaltung das Thema nicht auf die Tagesordnung der nächsten Versammlung. Obwohl der Beklagte die Kamera bereits im August 2018 deinstallierte, erhob der Kläger Klage auf Unterlassung der zukünftigen Überwachung der Gemeinschaftsflächen, vor allem des Treppenhauses und des Hausflurs. Er begründete dies damit, dass weiterhin die Gefahr bestehe, dass der Beklagte erneut technische Überwachungsgeräte anbringt. Aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts werde die Wiederholungsgefahr vermutet. Der Beklagte sei sogar zur Beseitigung verpflichtet, wenn es sich nur um eine Kamera-Attrappe handelt.
Besondere Verhältnisse innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft
Das Amtsgericht München gab dem Kläger Recht. Er könne die Unterlassung der Überwachung des Gemeinschaftseigentums durch eine Kameraanlage verlangen. Die Eigentümer der WEG seien einander nach dem Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht in besonderem Maße verpflichtet, auch wenn danach das Gebrauchsrecht des (Sonder-) Eigentümers die Installation einer Videokamera prinzipiell umfasse. Das gelte jedoch nur, wenn die Kamera dann ausschließlich auf Bereiche ausgerichtet ist, die dem Sondereigentum des Beklagten gehören. Und auch dann kann ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gegeben sein, wenn die übrigen Eigentümer eine Überwachung objektiv ernsthaft zu befürchten haben. Die WildCam des Beklagten erfasste vorliegend jedenfalls auch das Gemeinschaftseigentum der WEG, weshalb in jedem Fall eine unzulässige Beeinträchtigung vorgelegen habe.
Überwachung durch WildCam muss ernsthaft zu befürchten sein
Der Streit der Parteien über die Aufnahme-Reichweite der streitgegenständlichen Kamera sei unerheblich. Die Rechtsprechung sehe es regelmäßig schon als ausreichend an, wenn durch die Installation der Kamera selbst ein unzulässiger Überwachungsdruck aufgebaut wird. Das sei hier allein schon deshalb gegeben, weil für die übrigen Bewohner des Hauses nicht ersichtlich sei, ob und wann die Kamera tatsächlich aufnimmt. Ob die WildCam also nur in drei Metern Reichweite Aufnahmen macht, der Gemeinschaftsgarten aber fünfzehn Meter entfernt ist, spiele daher eine untergeordnete Rolle. Ausschlaggebend sei, ob die Betroffenen eine Überwachung „objektiv ernsthaft“ befürchten müssten. Dies sei der Fall, wenn die Überwachung aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint. Die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung reiche allerdings nicht aus. Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, dass die WildCam aktiv gewesen sei und Bilder anfertigen konnte, seien die Umstände hier konkret genug. Der Kläger selbst konnte nicht erkennen, ob die Kamera nur in drei Metern Reichweite Bilder aufnehme. Objektiv gesehen bestehe darum die Möglichkeit, dass die Kamera auch den Gemeinschaftsgarten aufnehme und die Bewohner dadurch eine Überwachung befürchten müssten. Diese Befürchtung sei nachvollziehbar und verständlich. Diese Möglichkeit der dauernden Beobachtung sei eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung, die einen „nicht hinzunehmenden Nachteil“ im Sinne des § 13 Nr. 1 WEG darstelle.
Überwachungskamera diente nicht einmal dem Gemeinschaftsinteresse
Das Amtsgericht München führte weiter aus, dass der Beklagte seinerseits kein schutzwürdiges, überwiegendes Interesse an der Kamerainstallation habe. Sein Interesse betreffe ausschließlich den Schutz seines Sondereigentums – hierfür überwache er aber das Gemeinschaftseigentum. Nach der Rechtsprechung des BGH könne Gemeinschaftseigentum nur überwacht werden, wenn ein berechtigtes Überwachungsinteresse der Gemeinschaft das Interesse des einzelnen Wohnungseigentümers (und von Dritten), überwiegt. Außerdem müsse die Überwachung so gestaltet sein, dass die Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes berücksichtigt werden und dem Schutzbedürfnis des Einzelnen inhaltlich und formell ausreichend Rechnung getragen wird. Bei der Installation des Beklagten habe es schon an dem Gemeinschaftsinteresse gefehlt. Die Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes seien auch nicht erfüllt, da die Möglichkeit der Aufzeichnung des Gemeinschaftsgartens gegeben ist. Der Vortrag des Beklagten, es hätte vermehrt Einbrüche gegeben, reiche nicht als „berechtigtes Interesse für konkret festgelegte Zwecke“ im Sinne des § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG aus.
Schutz des Persönlichkeitsrechts wichtiger als Schutz des Eigentums?
Die Überwachungsmaßnahme des Beklagten sei auch noch aus einem anderen Grund unzulässig. Der Beklagte habe die Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts berücksichtigen und einen Beschluss der WEG hierzu abwarten müssen. Die Aufzeichnung in einer Wohnungseigentumsanlage könne nur zulässig sein, wenn ein berechtigtes und konkret verbindlich festzulegendes Gemeinschaftsinteresse das Interesse des einzelnen überwiegen würde. Das sei hier eben nicht der Fall gewesen, da der Beklagte die Maßnahme nur aus Eigeninteresse getroffen habe. Dem Beklagten sei zwar zuzugestehen, dass sein Interesse an einer Abschreckung von Einbrechern nachvollziehbar sei und ein erhöhtes Sicherheitsinteresse bestehen möge. Aus den bereits ausführlich besprochenen Gründen berechtige dies den Beklagten aber nicht zur Installation einer WildCam. Das grundsätzlich berechtigte Interesse des Beklagten, sein Eigentum vor Beeinträchtigung durch Diebstahl zu schützen, tritt hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zurück. Die Installation einer Überwachungskamera, die auch Gemeinschaftseigentum erfasst, sei hier unverhältnismäßig. Eine Wiederholungsgefahr sei allein dadurch gegeben, dass der Beklagte die Absicht weiterer Überwachungsmaßnahmen angekündigt hatte. Das Amtsgericht München verurteilte den Beklagten daher zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung mit dem Inhalt, es zu unterlassen, die Gemeinschaftsflächen der WEG mit technischen Geräten zu überwachen.
AG München, Urteil vom 28.02.2019, Az.: 484 C 18186/18 WEG
von Jacqueline Dischler, LL.M.