Zum Rechtsmissbrauch durch überhöhten Gegenstandswert
Das Oberlandesgericht Celle beschloss am 31.05.2021, dass nicht zwangsläufig von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sei, wenn bei einer Abmahnung ein erhöhter Gegenstandswert angesetzt werde. Ausschlaggebend sei eine Abwägung der Gesamtumstände.
Wann ist eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich?
Kläger und Beklagte vertrieben Nahrungsergänzungsmittel. Die Beklagte warb mit gesundheitsbezogenen Angaben, sog. Health-Claims. Dies hielt der Kläger für unzulässig. Er mahnte daher die Beklagte ab, welche aber keine Unterlassungserklärung abgab. Bei der Abmahnung setzte der Kläger einen Gegenstandswert von 82.500 EUR für insgesamt 11 Verstöße gegen die Health-Claims-Verordnung (HCVO) an, also 7.500 EUR pro Verstoß. Dagegen richtete sich die Berufung der Beklagten, die dies für überhöht und damit rechtsmissbräuchlich erachtete.
Umfassende Würdigung der Gesamtumstände
Das Oberlandesgericht Celle konnte keinen Rechtsmissbrauch erkennen. Durch den neu eingefügten § 8 c Abs. 2 UWG solle die missbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen konkretisiert und für die Praxis besser handhabbar gemacht werden. Mit der Formulierung des Einleitungssatzes „ist im Zweifel anzunehmen“ werde klargestellt, dass eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände erforderlich sei. Werde eine der in § 8 c Abs. 2 UWG genannten Konstellationen erfüllt, komme dem lediglich eine Indizwirkung für einen möglichen Missbrauch zu. Der Abmahnende könne diese Indizien aber erschüttern.
Nachvollziehbare Erklärung
Vorliegend sah das OLG die Indizwirkung als nicht erschüttert an. Zwar sei der bei der Abmahnung in Ansatz gebrachte Gegenstandswert von 82.500 EUR überhöht. Allerdings habe der Kläger nachvollziehbar dargetan, welche Überlegungen er bei der Bemessung angestellt habe. Dabei sei er zutreffend davon ausgegangen, dass die einzelnen Werbeangaben jeweils gesonderte Unterlassungsansprüche begründen können. Daher könne auch eine Wertaddition vorgenommen werden.
Keine feststehenden Kriterien für Bemessung des Gegenstandswerts
Zwar könne es sich dabei teilweise um kerngleiche Verstöße handeln, so das Gericht weiter. Dies müsse bei der Bemessung des Gesamtwertes auch berücksichtigt werden. Allerdings sei diese Frage vorliegend nicht einfach zu beantworten. Denn die in Rede stehenden Aussagen bezögen sich auf unterschiedliche Bestandteile („Komponenten“) eines Eiweiß-Produkts. Für die Bemessung der Gegenstandswerte von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen existieren keine feststehenden Kriterien. Zudem seien auch in der Rechtsprechung im Einzelfall ganz erhebliche Unterschiede zu verzeichnen. Daher lägen für einen Rechtsmissbrauch keine ausreichenden Gründe vor.
Gleiche Nahrungsergänzungsmittel für gleiche Endverbraucherkreise
Das OLG erachte die Parteien auch als Mitbewerber. Dafür sei ein konkretes Wettbewerbsverhältnis erforderlich. Hiervon sei im Streitfall auszugehen. Es sei nicht in Abrede gestellt worden, dass die Klägerin gleichartige Nahrungsergänzungsmittel anbietet. Dieses Angebot richte sich auch an die gleichen Endverbraucherkreise. Das seien Personen, die - insbesondere bei sportlicher Betätigung - den Muskelaufbau fördern und Trainingseffekte verstärken wollen.
Internetapotheke ändert Einschätzung nicht
Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte eine Internetapotheke betreibt, so das Gericht weiter. Den angesprochenen Verbrauchern sei bewusst, dass Apotheken nicht nur Arzneimittel, sondern auch eine Vielzahl anderer Produkte, insbesondere aus dem Bereich der Nahrungsergänzungsmittel anbieten. Daher zögen Verbraucher, die im Zusammenhang mit einer sportlichen Betätigung Nahrungsergänzungsmittel einnehmen wollen, auch das Angebot einer Internetapotheke in Betracht. Darauf ziele die Werbung der Beklagten auch ersichtlich ab. Sie spreche mit der Werbung gezielt Sportler an, die ihre Trainingsleistung fördern bzw. mit „eiweiß power“ ihre Muskeln regenerieren, aufbauen und Muskelkater reduzieren wollen.
Verstoß gegen Health Claim-Verordnung
Das OLG schätzte auch sämtliche andere Werbeaussagen wie die Angabe „zur Förderung der Trainingsleistung“ als gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 10 HCVO ein. Dies suggeriere im maßgeblichen Kontext der konkreten Verletzungsform, dass das Mittel die positive gesundheitliche Wirkung von Sport-Training verstärke. Zwar sei dies lediglich eine nicht-spezifische gesundheitsbezogene Angabe. Allerdings sei diese unzulässig, weil ihr keine zulässige spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt sei.
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 31.05.2021, Az. 13 U 23/21