Wettbewerbsverstoß durch Bildung eines Kartells
Der Europäische Gerichtshof hat über die verhängte Geldbuße der Kommission der Europäischen Gemeinschaften aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes durch Kartellbildung und damit einhergehender bilateraler Vereinbarungen zur Aufteilung des Marktes entschieden. Der von der Kommission festgestellte Verweis auf die Marktführerschaft „ist ein maßgebliches Kriterium zur Beurteilung der tatsächlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten, Wettbewerber in erheblichem Umfang zu schaden, aber kein Hinweis auf die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf den Markt.“
Rechtsmittelführerinnen sind die William Prym GmbH & Co. KG und die Prym Consumer GmbH & Co. KG. Verfahrensbeteiligte ist die Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Die Rechtsmittelführerinnen gehen gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vor und beantragen dessen Aufhebung. Das Gericht hat mit diesem erstinstanzlichen Urteil die Entscheidung der Verfahrensbeteiligten teilweise für nichtig erklärt.
Die Rechtsmittelführerinnen haben fünf Rechtmittelbegründungen gegen das streitgegenständliche Urteil eingelegt. Der Europäische Gerichtshof stellt fest:
1. Der Gerichtshof hat die Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerinnen zu sichern. Dieser Verteidigungsgrundsatz wird im Gemeinschaftsrecht im Bereich der Wettbewerbspolitik bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren angewendet.
1 b) Es handelt sich um ein Verfahren zur Anwendung von Art. 81 EG. Das Verwaltungsverfahren ist in zwei Abschnitte einzuteilen. Der erste Abschnitt behandelt die Untersuchung der Angelegenheit, die Grundlage zur Mitteilung der Beschwerdepunkte bildet. Der zweite Abschnitt behandelt das weitere Verwaltungsverfahren. Der erste Abschnitt ermöglicht es der Kommission, anhand ihrer Untersuchungen und der damit verbundenen Ergebnisse Stellung zum weiteren Verfahren zu nehmen. Im zweiten Abschnitt äußert sich die Kommission abschließend zu der gerügten und festgestellten Zuwiderhandlung der Rechtsmittelführerinnen.
2. Die Beschwerdepunkte erfolgen in Form einer Mitteilung, dessen rechtliche und tatsächliche Wertungen temporärer Natur sind, denen die anschließende Entscheidung nicht notwendigerweise folgen muss. Das anschließende Verfahren kann es notwendig machen, dass die Kommission nicht ausreichend begründete Beschwerdepunkte fallen lässt oder ihre Argumente in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht neu ordnet oder ergänzt.
3. Die Kommission ermittelt die „Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht“ nach verschiedenen Gesichtspunkten und berücksichtigt die besonderen Umstände des Verfahrens und der Rechtssache. Sie berücksichtigt die abschreckende Wirkung der verhängten Geldbuße und den Kontext. Es existiert keine abschließende Liste, deren Kriterien die Kommission zwingend zu berücksichtigen hat.
3 b) Die Größe des streitgegenständlichen Marktes ist bei der Beurteilung der „Schwere der Zuwiderhandlung“ und des zu verhängenden Bußgeldes ein relevanter Gesichtspunkt unter vielen. Auf keinen Fall ist er als obligatorisch anzusehen.
4. Die Kommission darf bei der Schwere des Vorwurfs der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft keinen Kausalzusammenhang zwischen der Umsetzung und Bildung des Kartells und dessen konkrete Auswirkungen auf die Wettbewerber und den Markt herstellen.
5. Die Geldbuße ist nach den Kriterien der Dauer der Zuwiderhandlungen festzulegen. Die Kommission muss ihrer Beurteilung alle wichtigen Tatsachen zugrunde legen, die sie im Rahmen ihrer Untersuchung berücksichtigen kann. Sie berücksichtigt das Verhalten der an der Kartellbildung und der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen, den Gewinn, den sie aus ihrer abgestimmten Verhaltensweise realisieren konnten, den Wert und die Größe der involvierten Waren sowie die Gefahr, die sich aus einer derartigen Zuwiderhandlung für die Ziele und Werte der Europäischen Gemeinschaft ergibt.
Die Rechtmittelführerinnen wenden sich gegen das erstinstanzliche Urteil, da sie ihre Rechte angesichts der Umsetzung der Verfahrensleitlinien durch die Kommission verletzt sehen. Der Europäische Gerichtshof ist der Rechtsprechung der Kommission und des Gerichts erster Instanz mit einer Einschränkung gefolgt.
Den Rechtsmittelführerinnen wird vorgeworfen, mit den beiden britischen Unternehmen Coats Holding und Entaco Group Ltd an der Umsetzung eines Kartells und den damit zwingend einhergehenden abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Kurzwaren beteiligt gewesen zu sein. Diese Feststellung der Kommission beruht auf mehreren schriftlichen Vereinbarungen, die formal bilateral sind, in der Praxis jedoch dreiseitige Vereinbarungen darstellen. Unter Einhaltung der zuvor genannten Verfahrensgrundsätze stufte die Kommission die Schwere der Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ ein und segmentierte das Verfahren in zwei Abschnitte für „Nadeln“ und „Verschlüsse“. Sie verhängte ein Bußgeld in Höhe von 20 Millionen Euro. Den Zeitraum der Zuwiderhandlung gab sie mit fünf Jahren und drei Monaten an und erhöhte das Bußgeld auf 30 Millionen Euro. Die Rechtsmittelführerinnen begehrten mit ihrer Klage, die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie betroffen seien.
Der Europäische Gerichtshof hat die Vorinstanz lediglich in der Umsetzung des dritten Rechtsmittelgrundsatzes eingeschränkt und festgestellt, es habe „eine Verletzung bei der Begründungspflicht in Bezug auf die Größe des relevanten Marktes“ gegeben. Dennoch könne der berechtigte Einspruch der Rechtmittelführerinnen nicht zu der begehrten Nichtigkeitserklärung des gesamten Urteils führen und laufe daher ins Leere. Die Rechtsmittelinstanz bestätigt die horizontalen Preisabsprachen und die Marktaufteilung zwischen den Rechtmittelführerinnen und der beteiligten britischen Unternehmen. Die Umsetzung dieses Kartells könne alleine aufgrund seiner Durchführung als besonders schwerer Verstoß eingestuft werden. Die Vereinbarung zwischen den am Verfahren beteiligten Unternehmen hatte eine wettbewerbswidrige Ausrichtung, daher sind konkrete Auswirkungen der streitgegenständlichen Zuwiderhandlung für die Einstufung „besonders schwer“ nicht erforderlich. Die Kommission ist folglich in der Lage, den Ausgangsbetrag des verhängten Bußgeldes um 10 Prozent zu erhöhen. Das Gericht erster Instanz hat lediglich die Einschränkung gemacht, die Kommission könne sich in ihrer Begründung nicht ohne weiteres darauf beschränken, die Umsetzung eines Kartells zu vermuten. Die Rechtmittelführerinnen können sich nicht auf die begehrten mildernden Umstände berufen. Nach der ständigen Rechtsprechung werden mildernde Umstände nur dann zugebilligt, wenn die involvierten Unternehmen die von ihr begangene Zuwiderhandlung aufgrund des Eingreifens der Kommission beendet haben. Die Rechtmittelführerinnen haben ihr wettbewerbswidriges Verhalten jedoch vor Beginn des Verfahrens auf eigenen Entschluss aus wirtschaftlichen Gründen beendet. Ihre Entscheidung wurde vorsätzlich im Rahmen einer Wirtschaftsstrategie gefasst. Diese vorzeitige Kündigung der dreiseitigen Vereinbarungen wurde von der Kommission in ihrer Begründungsfindung berücksichtigt. Folglich können sich die Rechtsmittelführerinnen nicht auf eine Herabsetzung des Bußgeldbetrages unter Berücksichtigung mildernder Umstände berufen.
Da alle fünf Rechtsmittelgrundsätze durch den Europäischen Gerichtshof zurückgewiesen wurden, die Urteilsfindung der Erstinstanz vollumfänglich bestätigt wurde und lediglich eine teilweise Nichtigkeit des dritten Rechtsmittelgrundsatzes festgestellt wurde, haben die Rechtsmittelführerinnen die Kosten des Verfahrens zu tragen.
EuGH, Urteil vom 03.09.2009, Az. C-534/07 P