Unzulässige Anwaltswerbung "im Einzelfall"
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil vom 10.07.2014 unter dem Az. I ZR 188/12 entschieden, dass ein Werbeverbot eines Anwalts nur bei einer konkreten Gefährdung im Einzelfall gerechtfertigt sei. Hierzu gehöre auch die Gefährdung von Verbraucherinteressen. Aus diesen Grundsätzen ergebe sich jedoch, dass ein Verbot im Einzelfall aus Form, Inhalt oder Mittel der Werbung resultieren müsse. Es reiche für ein Werbeverbot nicht aus, dass ein potenzieller Mandant angesprochen wird, dessen Beratungsbedarf dem Anwalt bekannt ist.
Die Parteien sind Rechtsanwälte im Bereich des Bankenrechts. Die Klägerin vertritt Kunden der C. GbR (im Weiteren: Fondsgesellschaft).
Im Sommer 2010 hatten die Beklagten an die C. ein Werbeschreiben wie folgt versandt:
"Dürfen wir Sie bezüglich ihrer Kapitalanlage bei der C. GbR kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten?
Wer wir sind und was wir tun:
Wir sind eine im Anlegerschutz seit vielen Jahren bundesweit tätige Anwaltskanzlei und vertreten Anleger, die ebenso wie Sie, Gesellschafter der C. GbR sind. Nachfolgend werden wir Ihnen unter Ziffer A zunächst wichtige Informationen über die C. GbR zukommen lassen, die Ihnen möglicherweise unbekannt sind. Unter Ziffer B möchten wir Sie um Informationen bitten, mit dem Ziel,
- für unsere Mandanten den sofortigen Ausstieg aus der Gesellschaft zu erreichen und
- Schadenersatz von den Vertriebsverantwortlichen, Initiatoren, usw.
zu fordern.
Sollten Sie bereits anwaltlich vertreten sein, geben Sie unser Schreiben bitte an Ihren Anwalt/Ihre Anwältin weiter. Eine Kontaktaufnahme ist zur gegenseitigen Weitergabe von Informationen und ggf. anwaltlicher Abstimmung ausdrücklich erwünscht.
A. Zu den Fakten:
Über 40 Risiken werden im Fondsprospekt genannt. Darunter das Totalverlustrisiko sowie das Risiko der persönlichen Haftung mit Ihrem Privatvermögen. Mit anderen Worten: Nicht nur das eingezahlte Geld kann verloren gehen. Darüber hinaus sind Sie unter Umständen zu weiteren Zahlungen verpflichtet, wenn die Gesellschaft Schulden hat. War Ihnen dies bekannt?
B. Zu unserer Vorgehensweise:
Wie wir erfahren haben, gibt es Bestrebungen, die Geschäftsführung des Fonds auszutauschen, mit dem Ziel der Abwicklung der Gesellschaft. Wir halten einen anderen Weg für richtig.
Warum:
Die Einberufung von Gesellschafterversammlungen, die Übernahme der Geschäftsführung usw. dauert viel zu lange, wobei Sie laufend weiter zahlen müssen. Der Ausgang der Abstimmung ist völlig ungewiss, insbesondere ist in keiner Weise klar, ob die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden.
Unsere Empfehlung ist daher folgende:
1. Rechts- und formwirksame Kündigung, Anfechtung und Widerruf der Beitrittserklärung mit ausführlicher rechtlicher Begründung gegenüber der Gesellschaft.
2. Ggf. sofortige Aufnahme von Vergleichsverhandlungen mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Gesellschaft.
3. Stellung von Schadenersatzansprüchen gegenüber den Verantwortlichen.
Um hier, für unsere Mandanten, weiterhin erfolgreich vorzugehen, benötigen wir weitere Informationen. Zu diesem Zweck haben wir einen Fragebogen beigefügt, mit der herzlichen Bitte, diesen ausgefüllt an uns zurückzusenden. Nach Auswertung der Fragebögen werden wir Sie dann mit weiteren Informationen versorgen, so dass Sie in der Lage sind Ihre unabhängige Entscheidung zu treffen. Bitte machen Sie sich die Mühe, den Fragebogen - Rückumschlag liegt bei - zurückzusenden. ...
Dem Schreiben war ein Fragebogen beigefügt, in dem Name und Kontaktdaten eingetragen werden konnten und folgende Fragen gestellt wurden:
1. War Ihnen bekannt, dass die Firma I. mit dem Vertrieb der Beteiligung beauftragt war?
2. Wann hat die Vermittlung stattgefunden (Datum)?
3. Wo hat die Vermittlung stattgefunden? (Privatwohnung, Arbeitsplatz, Büro des Vermittlers)
4. Wurden Sie auf die Risiken der Anlage hingewiesen?"
Nach Ansicht der Klägerin handelt es sich um eine unzulässige Werbung um Auftragserteilung, die als solche gegen die §§ 3 und 4 UWG in Verbindung mit § 43b der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verstoße.
Die Klägerin hat beantragt, es den Beklagten zu untersagen, Firmen in der beanstandeten Art und Weise anzuschreiben. Außerdem begehrt sie Erteilung von Auskunft und Abführung erzielter Gewinne.
Das Landgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht verurteilte die Beklagten zur Unterlassung und wies die Klage im Übrigen ab. Mit der Revision verfolgen die Beklagten den Antrag auf Klageabweisung weiter.
Der BGH gibt den Beklagten Recht. Das Berufungsgericht habe angenommen, dass der Klägerin der Anspruch aus den genannten Rechtsnormen zustehe und das Schreiben insbesondere gegen das Werbevebot nach § 43b BRAO verstoße. Im Sinne dieser Vorschrift sei es unzulässig, wenn der potenzielle Mandant einen dem Anwalt bekannten Beratungsbedarf habe und der Anwalt dies zum Anlass nehme, seine Leistungen anzubieten. Es müsse jedoch hinzukommen, dass der Umworbene sich in einer misslichen Lage befinde und der Rechtsanwalt dies in aufdringlicher Weise ausnutzen wolle. Im vorliegenden Fall liege eine solche Gefahr nach Ansicht des Berufungsgerichts auch vor. Die Wahlfreiheit des Adressaten sei durch das Schreiben beeinträchtigt. Ein verständiger Leser müsse aus der Darstellung des Totalverlustrisikos und des Risikos der Haftung den Eindruck gewinnen, es sei bereits ein hoher Schaden für ihn entstanden, der ohne Anwalt noch höher werden könne. Durch bewusst knappe Informationsauswahl und die wenig aussagekräftige Schilderung der Situation würden Ängste angefacht und die vom Beklagten angebotene Hilfe als alternativlos dargestellt.
Doch dieser Auffassung des Berufungsgerichts über das Schreiben des Beklagten vermag der BGH nicht zu teilen. Seiner Ansicht liege in dem Schreiben kein wettbewerbswidriges Verhalten. Denn gerade bei dem Vorliegen eines akuten Beratungsbedarfs könne bei dem Umworbenen ein Interesse an einer Warnung vor Risiken bestehen. Es seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen eine Beeinträchtigung der Wahlfreiheit geschlossen werden könnte.
Es sei auch nicht der Fall, dass die Darstellung Ängste schüren würde. Und das Hilfsangebot des Rechtsanwalts sei auch nicht als alternativlos dargestellt worden. Ferner sei das Schreiben auch sachlich und frei von belästigenden oder bedrängenden Elementen. Ebenso wenig seien Gesichtspunkte erkennbar, die mit der Würde und Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft in Missklang stünden.
BGH, Urteil vom 10.07.2014, Az. I ZR 188/12