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Unterlassungsgebot verpflichtet nicht zum Rückruf

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.09.2016, Az. 6 W 74/16


Unterlassungsgebot verpflichtet nicht zum Rückruf

Lässt sich aus einem Vertriebsverbot eine Rückrufpflicht ableiten? Nein, meint das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. mit Beschluss vom 19. September 2016 (Az. 6 W 74/16). Der Unterlassungspflichtige, dem der Vertrieb eines rechtsverletzenden Produkts gerichtlich verboten wurde, müsse die Ware nicht von Händlern zurückrufen, die außerhalb der eigenen Vertriebsstruktur stünden. Das Gericht stützt seine Meinung auf den Umstand, dass Rückrufansprüche durch diverse Spezialnormen geregelt sind. Dies impliziere, dass der Unterlassungstitel keine Obliegenheit zum Rückruf von Produkten enthalte. Die Frankfurter Richter widersprechen damit dem Bundesgerichtshof, der in seiner Entscheidung "Hot Sox" eine Rückrufpflicht des Unterlassungsschuldners annimmt (BGH, Urteil vom 19.11.2015, Az. I ZR 109/14).
 
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin vertrieb Wundversorgungsprodukte mit veränderter Verpackung und umgestaltetem Beipackzettel ohne Zustimmung der Markeninhaberin. Diese erwirkte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Landgericht Frankfurt a. M. eine Unterlassungsverfügung wegen Markenverstoßes. Auf Widerspruch der Antragsgegnerin bestätigte das Landgericht die Verfügung.
Die Antragsgegnerin nahm daraufhin die streitgegenständlichen Erzeugnisse aus ihrem Angebot. Bereits an Händler ausgelieferte Produkte rief sie jedoch nicht zurück, wie die Antragstellerin anhand eines Testkaufs bei der Großhändlerin B. herausfand. Die Markeninhaberin erkannte darin einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung und beantragte die Vollstreckung nach § 890 ZPO. Das Landgericht Frankfurt a. M. gab dem Antrag statt und verhängte ein Ordnungsgeld von 1.800 Euro. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin reagierte das Landgericht mit Nichtabhilfebeschluss.
In der Folge hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. mit der Sache zu befassen. Anders als die Vorinstanz wies es den Vollstreckungsantrag zurück.
 
Aus den Beschlussgründen
Das Oberlandesgericht führt aus, ein Unterlassungstitel verpflichte den Schuldner nicht nur zur Unterlassung von Verletzungshandlungen. Vielmehr sei der Unterlassungsschuldner darüber hinaus gehalten, alles Notwendige und Zumutbare zu unternehmen, um zukünftige Verstöße zu verhindern. Inwieweit der Rückruf bereits in den Handel gebrachter Produkte geboten sei, werde von der instanzgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Die einen Gerichte nähmen an, die Ware müsse auch von Großhändlern zurückgerufen werden, die nicht in die Vertriebsstruktur des Schuldners eingebunden seien. Andere Gerichte sähen den Unterlassungspflichtigen nicht in der Verantwortung, wenn unabhängige Dritte das verbotene Produkt weiterhin auslieferten.
Der Bundesgerichtshof vertritt in der Entscheidung "Hot Sox" die Auffassung, es obliege dem Unterlassungsschuldner, an den Groß- und Einzelhandel gelieferte Exemplare des rechtsverletzenden Produkts zurückzurufen (BGH, Urteil vom 19.11.2015, Az. I ZR 109/14, Rn. 35). Trotz des eindeutigen Wortlauts gehen die Frankfurter Richter davon aus, dass der Bundesgerichtshof die Streitfrage nicht abschließend geklärt hat. Im "Hot-Sox"-Fall sei es darum gegangen, ob dem Schuldner einer ungerechtfertigten Unterlassungsverfügung Schadensersatz für die Aufwendungen des Rückrufs zustehe. Der Bundesgerichtshof bejahe den Schadensersatzanspruch, weil der Unterlassungsschuldner angesichts der unklaren Rechtslage von einer Rückrufpflicht habe ausgehen dürfen. Daraus folge aber nicht, dass der Unterlassungstitel effektiv die Verpflichtung enthalte, Waren aus dem Handel zurückzurufen.
Das Oberlandesgericht ist überzeugt, dass sich das Unterlassungsgebot ausschließlich an den Schuldner richtet und keine Haftung für Rechtsverletzungen unabhängiger Dritter begründet. Einer Rückrufpflicht stehe entgegen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung von Art. 10 der Durchsetzungsrichtlinie (2004/48/EG) in verschiedenen Gesetzen (darunter in § 8 Abs. 1 UWG und § 18 Abs. 2 MarkenG) Rückruf- und Beseitigungsansprüche geschaffen habe. Der Sonderregelungen hätte es nach Ansicht des Senats nicht bedurft, wenn die Rückrufpflicht schon vom Unterlassungstitel erfasst ist.
Der Antragsgegnerin sei daher nicht vorzuwerfen, dass sie von der Großhändlerin B. nicht verlangt habe, die streitgegenständliche Ware aus dem Sortiment zu nehmen. Sie trage auch keine Verantwortung für das Verhalten der Firma B. Diese sei nicht Teil ihrer Vertriebsstruktur. Die Grossistin sei weder ihre Handelsvertreterin noch eine Vertragshändlerin oder Franchisenehmerin. Im Übrigen wiege die streitbegründende Markenverletzung - anders als beispielsweise eine Bedrohung der Volksgesundheit - nicht schwer genug, damit eine Rückrufpflicht ausnahmsweise dennoch als zumutbar erscheine.
 
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.09.2016, Az. 6 W 74/16


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