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Ungebraucht ist nicht gleich neu

Saarländisches OLG, Urteil vom 2. April 2014, Az. 1 U 11/13


Ungebraucht ist nicht gleich neu

Neuware zum Schnäppchenpreis – bei solch verlockenden Angeboten können viele Kunden kaum widerstehen. Gerade der Hinweis „neu“ ist ein wichtiges Kriterium für eine Kaufentscheidung. Doch wie lange ist ein Artikel neu, ab wann hat er als „alt“ zu gelten, auch wenn er ungebraucht ist? Verschafft sich derjenige, der einen schon vor Jahren hergestellten Artikel als „neu“ bewirbt, einen unlauteren Wettbewerbsvorteil? Über dieses Problem hatte im April 2014 das Saarländische Oberlandesgericht zu befinden. 

Der Fall: Ein Unternehmen hat zum Geschäftsgegenstand den Verkauf von Kraftfahrzeug-Ersatzteilen und vertreibt diese auch auf der Internetplattform Ebay. 2011 stellte es dort mehrere Radlager ein, die für bestimmte PKW-Typen Verwendung finden können, und gab in der Kategorie Artikelzustand die Eigenschaft „neu“ an. Die Angebotsbeschreibung enthält ein Foto der Produktverpackung, die sich der Zeit vor dem Jahr 1990 zuordnen lässt. Aus diesem Grund erhob ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen gegen diese Angebotsgestaltung Klage auf der Grundlage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und begehrte die Unterlassung von irreführenden Verkaufspraktiken. Insbesondere sollte die Beklagte sich verpflichten, Kugellager nicht mehr als „neu“ zum Verkauf anzubieten, wenn diese älter als fünf Jahre sind. Das Landgericht Saarbrücken gab erstinstanzlich der Klage weitgehend statt (Urteil vom 19.12.2012, mit Beschluss berichtigtes Urteil vom 27.12.2013, Az. 7 O 127/12). Gegen dieses Urteil legte die Beklagte beim Saarländischen Oberlandesgericht Berufung ein. 

Die Beklagte verwies vor allem darauf, dass die Hersteller für die Kugellager keine Haltbarkeitsdaten angeben würden, und schlussfolgert daraus, dass es keine Höchsthaltbarkeit gäbe. Zudem hätte die Klägerin nur aufgrund der Verpackung auf das Alter der angebotenen Kugellager geschlossen, sei aber den tatsächlichen Beweis, dass diese älter als fünf Jahre seien, schuldig geblieben. Die Klägerin argumentierte dagegen, dass die Kugellager auch bei einer ordnungsgemäßen Lagerung verharzen und korrodieren würden. 

Mit ihrem Urteil vom 2. April 2014 wies der erste Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts die Berufung zurück und bestätigte das vorinstanzliche Urteil (Az. 1 U 11/13). In der Urteilsbegründung findet sich auch eine Reihe von grundsätzlichen Erwägungen, die über den konkreten Fall hinaus von Bedeutung sind. Nach Ansicht des Senats ist der Herstellungszeitpunkt eines Produkts bei der Frage, ob es als „neu“ beworben und zum Verkauf angeboten werden kann, nicht allein von Bedeutung. Der BGH hatte bereits 1980 in Bezug auf Kraftfahrzeuge festgestellt, dass es bei der Beschreibung „fabrikneu“ nicht auf das Baujahr ankomme (BGH, Urteil vom 06.02.1980, AZ. VIII ZR 275/78). Dies sei, so der Senat, auch auf den konkreten Fall übertragbar, zumal für die Kugellager keine Herstellungsdaten angegeben würden. Laut einem anderen BGH-Urteil sichere ein Verkäufer mit der Verwendung des Attributs „neu“ einem Kunden stillschweigend zu, dass die Ware die Eigenschaft der Fabrikneuheit aufweise (BGH, Urteil vom 05.04.1995, Az. I ZR 59/93). Das Saarländische OLG sieht nun drei wesentliche Kriterien, durch die sich ein fabrikneues Produkt auszeichnet: 1. Es ist unbenutzt; 2. Es hat durch Lagerung keinen Schaden genommen; 3. Es wird zum Verkaufszeitpunkt noch in der gleichen Ausstattung hergestellt. 

Im konkreten Fall waren die Kugellager unstreitig ungebraucht. Fraglich sei aber, so der Senat, ob sie noch immer wie vor über zwanzig Jahren hergestellt würden. Zwar würden noch heute Kugellager auch für ältere Fahrzeugtypen produziert, doch könne daraus nicht mit hinreichender Sicherheit gefolgert werden, dass die heutigen Kugellager nicht technisch anders und besser seien als die von der Beklagten angebotenen. Ein technisch verändert hergestelltes Kugellager dürfe aber nach Auffassung des Senats nicht mehr als „neu“ bezeichnet werden, wie bereits der BGH in einem ähnlichen Fall geurteilt hatte (Urteil vom 23.06.1983, Az. I ZR 109/81). Allerdings ging der Senat der Frage, ob entsprechende Kugellager heute in technische veränderter Form hergestellt würden, nicht weiter nach, da für seine Entscheidung das Kriterium möglicher Lagerungsschäden ausschlaggebend war. 

Laut OLG darf ein Kugellager nicht als „neu“ bezeichnet werden, wenn es durch die Lagerung tatsächlich Schaden genommen hat oder möglichen Lagerungsschäden aufgrund des Alters der Kugellager eine „wertbemessende Bedeutung“ zugebilligt werden kann. Der Senat verwies dabei erneut auf die Analogie zu einem kompletten Kraftfahrzeug. Der BGH hatte hierzu entschieden, dass ein PKW zwölf Monate nach der Herstellung nicht mehr „neu“ sei, da Materialermüdung, Oxydation und andere physikalische Veränderungen in der Zwischenzeit den Fahrzeugzustand verschlechtert haben können (BGH, Urteil vom 15.10.2003, Az. VIII ZR 227/02).

Bei den Kugellagern lassen sich dem Senat zufolge Lagerungsschäden nicht mit Sicherheit ausschließen. Sie könnten daher unbesehen nicht wie tatsächlich neue Kugellager verwendet werden. Die Wahrscheinlichkeit von Lagerungsschäden steige vielmehr mit längerer Lagerungsdauer. Angesichts einer Lagerung von rund 20 Jahren müsse ein Käufer die Lager daher auf ihre Verwendungsfähigkeit überprüfen. Zudem würden heute Kugellager-Hersteller eine Aufbewahrungszeit zwischen drei und fünf Jahren festlegen. Schließlich bedeute das Fehlen einer Höchstaufbewahrungsgrenze bei den von der Beklagten angebotenen Kugellagern nicht, dass sie unbefristet aufbewahrt werden könnten. Deshalb kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass im konkreten Fall die Verwendung des Attributs „neu“ tatsächlich irreführend ist. 

Saarländisches OLG, Urteil vom 2. April 2014, Az. 1 U 11/13 


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