Richtlinie 2005/29/EG - Unlautere Geschäftspraktiken
Eine gesetzliche Krankenkasse (hier: BKK) ist als "Gewerbetreibender" im Sinne der EU-Richtlinie 2005/29/EG zu qualifizieren. Das führt dazu, dass auch Körperschaften des öffentlichen Rechts dem sich aus der Richtlinie ergebenden Verbot irreführender Praktiken unterliegen. Das entschied der Europäische Gerichtshof in einem Vorlageverfahren durch sein Urteil vom 03.10.2013 (Az. C-59/12).
Die BKK hatte auf ihrer Webseite einen Text veröffentlicht, in dem sie vor dem Wechsel zu einer anderen Krankenkasse warnte, da diese Zusatzbeiträge veröffentlichen konnte. Die Wettbewerbszentrale hielt es für wettbewerbswidrig, dass die Krankenkasse das bei einer Beitragserhöhung entstehende Sonderkündigungsrecht verschwieg. Daher nahm sie die BKK auf Unterlassung in Anspruch. Diese entfernte den Text zwar von ihrer Webseite, verweigerte jedoch eine Übernahme der vorgerichtlichen Kosten. Dies begründete sie damit, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht als "Gewerbetreibender" im Sinne des Wettbewerbsrechts zu qualifizieren sei. Die Vorschriften seien also nicht auf sie anwendbar. Da das wettbewerbsrechtliche Verbot irreführender Praktiken auf eine europäische Richtlinie zurückging, legte der Bundesgerichtshof den Fall dem europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Der EuGH entschied - wenig überraschend - im Sinne des Verbraucherschutz. Auch eine Körperschaft öffentlichen Rechts sei als "Gewerbetreibender" zu verstehen. Es sei unerheblich, dass eine Körperschaft nach deutschem Recht zum öffentlichen Sektor gehöre und daher dem Wortlaut nach nicht als Gewerbetreibender verstanden werden könne. Im Rahmen des Europarechts komme es in erster Linie auf eine europaweit einheitliche Anwendung an, weshalb auf nationale Unterschiede nur in sehr begrenzter Weise Rücksicht genommen werden könne. Der Unionsgesetzgeber habe den Begriff des "Gewerbetreibenden" weit definiert und weder Einrichtungen, die eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllen, noch öffentlich-rechtliche Einrichtungen herausnehmen wollen. Die Bestimmungen der Richtlinie seien zudem im Wesentlichen aus der Perspektive eines Verbrauchers konzipiert worden, der sich einem in zahlreicher Hinsicht überlegenen Vertragspartner gegenübersieht. Zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus sei es daher zwingend, auch im Sinne des Gemeinwohls tätig werdende juristische Personen des öffentlichen Rechts als "Gewerbetreibender" zu verstehen. Auch die BKK traf somit das Verbot unlauterer, irreführender Äußerungen. Die Abmahnung der Wettbewerbszentrale war somit berechtigt.
Das Urteil des EuGH reiht sich in eine lange Liste äußerst verbraucherfreundlicher Entscheidungen ein.
Aus europäischer Perspektive gibt es zwischen einer unternehmensartig agierenden Körperschaft des öffentlichen Rechts hinsichtlich potentiell unlauterer Verhaltensweisen keine Unterschiede zu "klassischen" Unternehmen des Zivilrechts. Das ist auch praxisgerecht, da insbesondere Versicherungen sonst einen kaum zu rechtfertigenden Sonderstatus im Wettbewerbsrecht hätten. Dennoch ist die Formulierung der Richtlinie denkbar unglücklich, da ein "Gewerbetreibender" aus deutscher Sicht nunmal etwas vollkommen anderes ist als eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Eine höhere Genauigkeit bei der Formulierung der Richtlinien wäre daher äußerst wünschenswert.
Die Entscheidung ist auch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV werden meistens nur von den Gerichten der unteren Instanzen durchgeführt. Zwischen den obersten deutschen Gerichten und dem EuGH besteht jedoch seit langem ein Machtkampf um die Deutungshoheit, weshalb im europarechtlich gefärbten Bereich häufig ohne Vorlage beim EuGH entschieden wird. Die Tatsache, dass sich der BGH zu einem Vorlageverfahren entschlossen hat, ist eines von vielen Indizien, dass zumindest der Bundesgerichtshof die Stellung des EuGH nunmehr anerkennt.
EuGH, Urteil vom 03.10.2013, Az. C-59/12