Rechtsanwalt darf mit kostenloser Ersteinschätzung werben
Das Geschäft mit den Abmahnungen boomt - und zwar in beide Richtungen. Mit der Frage, ob eine Kanzlei damit werben darf, Abmahnopfern eine kostenlose Ersteinschätzung und Erstberatung anzubieten, beschäftigt sich das Urteil des LG Essen vom 10.10.2013 (Az. 4 O 226/13).
Der Beklagte, ein Rechtsanwalt aus Hamburg, warb auf seiner Homepage und mit Google-Anzeigen mit kostenlosen Ersteinschätzungen und Erstberatungen für Abmahnopfer. Die Klägerin, eine ebenfalls auf dem Gebiet des Filesharing tätige Kanzlei, sah darin einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Sie mahnte den Beklagten ab und verlangte sofortige Unterlassung. Der Beklagte reagierte jedoch nicht und warb weiterhin mit einer kostenlosen Ersteinschätzung.
Das LG Essen entschied nun, dass die Werbung des Beklagten weder wettbewerbsrechtlich noch gebührenrechtlich zu beanstanden sei.
Der Beklagte habe insbesondere nicht gegen Mindestpreisvorschriften verstoßen. Zwar sei es gemäß § 49 B I 1 BRAO nicht zulässig, niedrigere Gebühren zu vereinbaren oder zu verlangen, als vom Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorgesehen. Eine solche Mindestpreisvorschrift gebe es jedoch seit dem 01.07.2006 für schriftliche und mündliche Beratungen gerade nicht mehr. Die gesetzlichen Gebühren für eine Beratung seien abgeschafft worden mit der Folge, dass ein Rechtsanwalt nun eine Gebührenvereinbarung für eine außergerichtliche Beratung abschließen müsse. Werde eine solche Gebührenvereinbarung nicht abgeschlossen, so habe der Mandant gemäß § 34 I 2 RVG in Verbindung mit § 612 II BGB die übliche Vereinbarung zu bezahlen.
Dies gelte jedoch nur dann, wenn zwischen Rechtsanwalt und Mandant überhaupt keine Vergütungsvereinbarung getroffen worden sei. Werde dagegen eine Vergütungsvereinbarung getroffen, so bestehe - auch wenn die Gebührenvereinbarung wie vorliegend 0.- € betrage - kein gesetzlicher Anspruch auf die übliche Vergütung nach § 34 I 2 RVG in Verbindung mit § 612 II BGB. Somit stellt § 34 I 2 RVG in Verbindung mit § 612 II BGB nach Ansicht des LG Essen keine Mindestpreisvorschrift dar, die durch eine Gebührenvereinbarung unterschritten werden kann.
Ebenfalls keine Mindestpreisvorschrift stellt laut dem LG Essen die Vorschrift des § 4 I RVG dar, wonach in außergerichtlichen Angelegenheiten eine niedrigere als die gesetzliche Gebühr vereinbart werden kann. Diese Vorschrift setzt voraus, dass eine gesetzliche Gebühr besteht, was vorliegend nicht der Fall war.
Auch ein wettbewerbswidriges übertriebenes Anlocken gemäß § 4 Nr. 1 UWG vermochten die Richter in der Werbung des Beklagten nicht zu erkennen. Die Werbung sei erkennbar nicht darauf ausgerichtet, Mitkonkurrenten völlig zu verdrängen oder deren Existenz zu gefährden.
Dumpingpreise sind von der Preisgestaltungsfreiheit gedeckt
Der Beklagte habe die Klägerin als Mitbewerberin auch nicht gezielt behindert. Sofern nicht weitere besondere Umstände hinzuträten, sei es von der Preisgestaltungsfreiheit gedeckt, einzelne Mitbewerber preislich zu unterbieten und sogar Dumpingpreise anzubieten. Da sich viele Verbraucher ihren Rechtsanwalt auf Grund seines Rufs, ihrer Erfahrungen oder auch auf Grund Empfehlungen Dritter auswählten, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Werbung des Beklagten geeignet sei, andere Mitbewerber vom Markt zu verdrängen.
Die Entscheidung ist durchaus praxisnah und folgerichtig. Sie verkennt nicht, dass auch eine kostenlose Ersteinschätzung letztlich der Anbahnung einer kostenpflichtigen Beauftragung des Rechtsanwalts dient und sich der Mandant im Regelfall vor der Beauftragung einen ersten Eindruck von seinem Rechtsanwalt verschaffen will.
LG Essen, Urteil vom 10.10.2013, Az. 4 O 226/13