Mögliche Irreführung bei Garantiewerbung mit 36 Monaten
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main urteilte am 11.11.2021, dass die Angabe „36 Monate Garantie" irreführend sei, wenn nicht darüber aufgeklärt werde, dass der Werbende nicht über die volle Laufzeit Garantiegeber ist, sondern zunächst jemand anderes.
Muss über unterschiedliche Garantiegeber informiert werden?
Antragsteller war ein Wettbewerbsverein. Die Antragsgegnerin betrieb eine Internetplattform, über die Gewerbetreibende generalüberholte gebrauchte Elektronikgeräte anbieten und erwerben konnten. Im Zusammenhang mit ihren Warenangeboten warb sie mit einer Garantie von 36 Monaten. Die „X Garantiebedingungen“ der Antragsgegnerin sahen vor, dass ihre Garantie nach Ablauf der 24-monatigen gesetzlichen Gewährleistungspflicht des Verkäufers für 12 Monate gilt. Auf der Website wurde unter dem "Hilfe-Center" ausgeführt, der Kunde profitiere neben der gesetzlichen Händlergewährleistung von 12 Monaten (...) von einer Zusatzgarantie von 24 Monaten. In den AGB der Antragsgegnerin befand sich zudem eine Klausel, wonach sie für alle über die Plattform erworbenen Produkte eine zusätzliche Garantie von höchstens 24 Monaten übernehme. Der Antragsteller erachtete dies als irreführend. Die Vorinstanz gab zunächst seiner einstweiligen Verfügung auf Unterlassung statt. Dagegen legte die Antragsgegnerin erfolgreich Widerspruch ein. Hiergegen richtete sich wiederum die Berufung des Antragstellers.
Zu langes Warten lässt Eilbedürftigkeit entfallen
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main entschied, die Eilbedürftigkeit in Wettbewerbssachen bedürfe in der Regel keiner besonderen Darlegung. Dies liege an der (Dringlichkeits-)Vermutung in § 12 Abs. 1 UWG. Allerdings entfalle die Eilbedürftigkeit, wenn der Antragsteller längere Zeit untätig bleibt, obwohl ihm die Verletzungshandlung bekannt gewesen sei. Zwar gebe es für zu langes Warten keine starren Fristen. An einem Zeitraum von sechs Wochen könne sich aber eine Beurteilung grob orientieren.
Keine Unkenntnis, wenn sich Umstände der Rechtsverletzung aufdrängen
Daraus ergebe sich allerdings keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht, so das Gericht. Es komme daher nicht darauf an, ob der Antragsteller bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Wettbewerbsverstoß erkennen konnte. Jedoch könne er sich nicht auf Unkenntnis berufen, wenn sich die Rechtsverletzung aufgrund konkreter Umstände nach der Lebenserfahrung geradezu aufdränge und der Antragsteller bewusst die Augen davor verschließt.
Weiträumige Verbreitung spricht gegen Dringlichkeit
Das Oberlandesgericht war der Ansicht, es widerlege jedoch die Dringlichkeitsvermutung nicht, wenn das angegriffene Geschäftsmodell bereits einige Monate am Markt gewesen sei. Auch ändere es nichts, wenn das Geschäftsmodell in einer Presseveröffentlichung erwähnt werde. Wenn allerdings die Veröffentlichung derart verbreitet sei, dass der Antragsteller als Verband nahezu zwangsläufig davon Kenntnis erlange, könne der Fall durchaus anders liegen.
Garantie nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistungspflicht
Das OLG befand, die Angabe „36 Monate Garantie“ sei irreführend. Ein Durchschnittsverbraucher verbinde mit der Angabe, die Antragsgegnerin gewähre auf das gekaufte Produkt ein selbstständiges Garantieversprechen mit einer Dauer von 36 Monaten. Dies entspreche jedoch nicht den Tatsachen. Die Antragsgegnerin gewähre nach dem Wortlaut ihrer „X Garantiebedingungen“ nur eine Garantie, die an die gesetzliche Gewährleistungsfrist des Verkäufers anknüpfe. Je nach vertraglicher Gestaltung laufe die von der Antragsgegnerin gewährte Garantie damit 24 oder 12 Monate, und zwar erst nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistungsfrist.
Zwei unterschiedliche Garantiegeber
Die Werbeangabe „36 Monate Garantie“ sei auch deshalb unzutreffend, weil die Antragsgegnerin nicht über die volle Laufzeit Garantiegeberin sei, so das Gericht. Vielmehr sei dies zunächst der Verkäufer. Die Pauschalangabe „36 Monate Garantie“ erwecke aber den Eindruck, es geben nur einen Garantiegeber. Zudem werde der Kunde davon abgehalten, einen möglichen Garantieanspruch geltend zu machen. Denn wenn er zunächst im Vertrauen auf die plakativen Werbeangaben die Plattform nutzt und ein (defektes) Produkt kauft, werde er nach näherer Befassung mit den „X Garantiebedingungen“ möglicherweise den Eindruck gewinnen, es bestünde doch kein „Garantieanspruch“ innerhalb der ersten 12 oder 24 Monate.
Irreführung beeinflusst die Kaufentscheidung
Das OLG entschied, die Irreführung sei auch geeignet, geschäftliche Entscheidungen der Verbraucher zu beeinflussen. Zum einen könne es für Verbraucher von Bedeutung sein, ob nur die gesetzlichen Gewährleistungsrechte oder ein selbstständiges Garantieversprechen besteht. Zum anderen könne für den Kaufentschluss auch von Bedeutung sein, ob die Inanspruchnahme der Garantie unkompliziert sei und auch klar sei, wer Garantiegeber ist. Dies sei aber gerade nicht der Fall, wenn in den ersten 12 bzw. 24 Monaten Garantieansprüche nur gegenüber dem Verkäufer bestünden. Es helfe auch nicht, wenn die Kontaktaufnahme und Abwicklung weiterhin über die Plattform ablaufe. Die verschiedenen Garantiegeber für verschiedene Zeiträume erschweren die Abwicklung bei eventuellen Mängeln rechtlich und tatsächlich. Der Käufer könne sich nicht auf die Solvenz und Kulanz der Antragsgegnerin als Betreiberin einer großen Plattform verlassen. Vielmehr müsse er das Risiko einer Insolvenz oder einer nicht praktikablen, nicht zeitnahen Abwicklung durch den jeweiligen Verkäufer eingehen. Es sei daher davon auszugehen, dass Verbraucher bei zutreffender Aufklärung über die „zusammengesetzte“ Garantie möglicherweise eine andere geschäftliche Entscheidung treffen und von der Nutzung der Plattform absehen.
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 11.11.2021, Az. 6 U 121/21