Irreführung durch unsachliche Zurückweisung eines Kundenanspruchs
Wer versucht, Regressansprüche von Kunden dadurch abzuschütteln, dass er die aktuelle Rechtsprechung falsch darstellt, handelt wettbewerbswidrig, wenn die Rechtslage zweifelsfrei und eindeutig geklärt ist. Wenn eine Fluggesellschaft bereits wusste oder wissen musste, dass der EUGH die Voraussetzungen, unter denen Kunden Schadensersatz für Flugverspätungen beanspruchen können, abschließend geklärt hat, kann der Hinweis auf eine mögliche, andere rechtliche Beurteilung eine unerlaubte, weil auf Täuschung ausgerichtete Wettbewerbshandlung darstellen. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. hat am 17.11.2011 zum Aktenzeichen 6 U 126/11 ein Urteil in einem wettbewerbsrechtlichen Berufungsverfahren verkündet. Verklagt worden war eine Fluggesellschaft, die die von einem Fluggast geltend gemachte Schadensersatzforderung schriftlich zurückgewiesen hat. In ihrem Schreiben wies die Beklagte zwar darauf hin, dass nach aktueller Rechtlage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung derartige Ansprüche als rechtmäßig erkannt worden waren, erklärte aber auch, dass sie diese Rechtsprechung nicht als richtig ansehe. Wenn der Fluggast seinen geltend gemachten Anspruch aufrechterhalten wolle, werde sie es auf ein Klageverfahren ankommen lassen, um ihrer Rechtsauffassung Gehör zu verschaffen.
Der zurückgewiesene Anspruchsteller wandte sich an die Klägerin, die der Beklagten eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zustellen ließ, weil diese versucht habe, den Fluggast über den tatsächlichen Stand der Rechtsprechung in Fragen der Verspätungsentschädigung zu täuschen. Er sollte durch den Hinweis auf ein mögliches Klageverfahren davon abgehalten werden, seinen Anspruch auf Schadensersatz weiter aufrechtzuerhalten. Dieses Verhalten stelle einen Verstoß gegen § 5 Absatz 1 Nr. 7 UWG dar und berechtige deshalb Mitbewerber dazu, einem Unterlassungsanspruch geltend zu machen. Die Beklagte widersprach der Abmahnung und wies darauf hin, dass sie den Stand der Rechtsprechung keineswegs falsch wiedergegeben hatte. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass sie die letzte zu ihren Ungunsten ergangene Entscheidung noch nicht als endgültig bindend ansehe. Das sei zu der Zeit, als das streitgegenständliche Ablehnungsschreiben aufgesetzt worden sei, nicht rechtsmissbräuchlich gewesen. Da die Fluggastrechte durch europäisches Recht geregelt sind, hielt es die Beklagte für zulässig, auch noch die Entscheidung über eine vom EUGH zu entscheidende Vorlage des „High Court of Justice“ in London und weitere Vorlagen anderer Obergerichte europäischer Staaten abzuwarten, die Fragen der Vereinbarkeit von bisherigen internationalen Abkommen und Europarecht zum Inhalt hatten. Eine endgültige Klärung stand noch aus. Die Klägerin reichte mit dem Ziel, die Beklagte zur Unterlassung verurteilen zu lassen, Klage bei dem Landgericht Frankfurt a.M. ein. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ein.
Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. wies die Berufung ab und bestätigte das in erster Instanz gefällte Urteil. Die Richter des hauptsächlich mit Wettbewerbsrecht befassten 6.Senats am Oberlandesgericht wiesen zunächst darauf hin, dass eine falsche Darstellung von Gerichtsentscheidungen gegenüber Kunden, die Regressansprüche geltend machen, durchaus eine wettbewerbswidrige Handlung gemäß § 5 Absatz 1 Nr. 7 UWG darstellen kann. Der Vorteil einer Täuschung von Anspruchsstellern liege in solchen Fällen darin, dass Kunden mit weniger gesicherter juristischer Vorbildung, die ohne die Hilfe eines Rechtsanwalts Forderungen formuliert haben, davon abgeschreckt werden, ihre möglicherweise berechtigten Ansprüche weiter zu verfolgen. Gegenüber Mitbewerbern, die nicht täuschen, sondern sich ehrlich mit dem Stand der Rechtsprechung auseinandersetzen, haben diejenigen, die die Rechtslage falsch darstellen, einen direkten, wirtschaftlichen Vorteil, wenn Ansprüche nicht weiter verfolgt werden. Voraussetzung dafür, dass rechtliche Ausführungen als irreführend und damit wettbewerbswidrig einzustufen wären, ist, dass vorsätzlich etwas Falsches behauptet worden wäre. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts war hier der Argumentation der Beklagten zu folgen, dass diese trotz einer gegenteiligen Entscheidung von BGH und EUGH noch die Überzeugung vertreten hätten, dass auch anders entschieden werden könnte. Dies gestanden die Richter der Beklagten zumindest zu dem Zeitpunkt zu, als das streitgegenständliche Ablehnungsschreiben verfasst worden war. Dass sich die rechtliche Situation durch neue Entscheidungen nochmals verändert hatte, bevor es zur mündlichen Verhandlung kam, könne der Beklagten nicht angelastet werden.
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 17.11.2011, Aktenzeichen 6 U 126/11