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Irreführung durch Bezeichnung als „Gütesiegel“

BGH, Urteil vom 04.07.2019, Az. I ZR 161/18


Irreführung durch Bezeichnung als „Gütesiegel“

Der BGH hat mit Urteil vom 04.07.2019, Az. I ZR 161/18 auf mehrere Kriterien für das rechtmäßige Bezeichnen eines Siegels als „Gütesiegel“ hingewiesen. So liege eine Irreführung durch die Bezeichnung als Gütesiegel nicht (mehr) vor, wenn sich das Verkehrsverständnis mit der Folge ändere, dass die beanstandete Angabe den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Ein Gütesiegel werde grundsätzlich vom Verkehr so verstanden, dass ein neutraler Dritter mit entsprechender Kompetenz die beworbene Ware nach objektiven und aussagekräftigen Kriterien auf die Erfüllung von Mindestanforderungen geprüft habe. Es stehe der Neutralität der Prüfeinrichtung nicht entgegen, wenn eine angemessene Gebühr für die Durchführung der Prüfung oder die Verleihung des Siegels gezahlt werden müsse.

Wettbewerbszentrale hielt „IVD – Das Gütesiegel“ für irreführend
Der Beklagte war ein Industrieverband, dessen Aufgabe die wissenschaftliche und fachtechnische Förderung und Weiterentwicklung von Kleb- und Dichtstoffen ist. Der Verband vergab ein Gütesiegel, das die Buchstaben „I“ und „D“ enthält – darunter steht „IVD – Das Gütesiegel“. Auf der Grundlage von selbst erstellten „IVD-Güterichtlinien“ wurde das Siegel für bestimmte Produkte vergeben. Die „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“ hielt es für irreführend, dass dieses Siegel als „Gütesiegel“ bezeichnet werde. Daher mahnte sie die Beklagte im März 2016 zunächst erfolglos ab und erhob sodann Klage. Sie beantragte, dem Beklagten die Verwendung des Begriffs „Gütesiegel“ für das beanstandete Siegel im geschäftlichen Verkehr zu verbieten. Das Landgericht wies die Klage ab, woraufhin die Klägerin Berufung einlegte.

BGH: Änderung des Verkehrsverständnisses lasse Wiederholungsgefahr entfallen
Während des laufenden Berufungsverfahrens hatte der beklagte Industrieverband im April 2018 das Siegel als Unionsgewährleistungsmarke angemeldet und eine Markensatzung vorgelegt. Nach erfolgloser Berufung wendete sich die Klägerin mit der Revision an den BGH. Dieser entschied, dass die Klage nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung abgewiesen werden könne. Der Annahme des Berufungsgerichts, das beanstandete Verhalten des beklagten Industrieverbands sei nicht irreführend, folgte der BGH nicht. Dazu führte er aus: eine „Irreführung“ liege vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimme. Nur wenn sich das Verkehrsverständnis mit der Folge ändere, dass die beanstandete Angabe den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, komme die Annahme einer Irreführung nicht (mehr) in Betracht. Ein Unterlassungsanspruch sei generell auf die Gefahr der Wiederholung gestützt. Nur wenn die Änderung des Verkehrsverständnisses noch vor der gerichtlichen Entscheidung über den Unterlassungsanspruch eintrete, entfalle die Wiederholungsgefahr.

BGH kritisierte die Annahmen des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht habe es versäumt festzustellen, ob die Voraussetzungen einer Irreführung nach diesen Maßgaben im Zeitpunkt der beanstandeten Handlung vorgelegen hatten. Dies sei zugunsten der Revision daher zu unterstellen. Das Berufungsgericht hatte lediglich angenommen, dass infolge einer Änderung des Verkehrsverständnisses jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Entscheidung keine Irreführung mehr vorgelegen habe. Dabei habe das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, ob der angesprochene Verkehrskreis die Siegel des Beklagten sowie die Vergabevoraussetzungen überhaupt gekannt hatte.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts seien „erfahrungswidrig“
Mit Blick auf die Einführung der Regelungen zur Gewährleistungsmarke in die Unionsmarkenverordnung und das Markengesetz sei das Berufungsgericht einfach davon ausgegangen, dass sich das Verkehrsverständnis geändert habe. Nach Ansicht des BGH widerspreche das der Erfahrung. Denn man könne nicht davon ausgehen, dass die Einführung des neuen Rechtsinstituts der „Gewährleistungsmarke“ die Verkehrsanschauung von Gütesiegeln in relativ kurzer Zeit maßgeblich geprägt habe. Die neuen Vorschriften der §§ 106a ff. seien schließlich erst mit Wirkung zum 14.01.2019 in das Markengesetz eingefügt worden.

Klarstellung der Voraussetzungen für das Entfallen der „Wiederholungsgefahr“
Zudem habe das Berufungsgericht zu Unrecht festgestellt, dass durch das nachträgliche Verhalten des Beklagten die Wiederholungsgefahr entfallen sei. Denn die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr entfalle grundsätzlich nur dann, wenn der Schuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgebe, ein rechtskräftiger Unterlassungstitel in der Hauptsache ergangen sei oder nach Erlass eines Verbotstitels im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Abschlusserklärung erfolgt sei. Eine nachträgliche Verhaltensänderung des Beklagten führe nicht zum Entfallen der Wiederholungsgefahr, solange nicht jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten beseitigt sei.

Wiederholungsgefahr sei immer noch gegeben
Der Umstand, dass der Beklagte erst im Berufungsverfahren eine Satzung für die (erst im Berufungsverfahren angemeldete, noch nicht eingetragene) Unionsgewährleistungsmarke vorgelegt habe, konnte zum Zeitpunkt der Siegelvergabe vorher noch nicht maßgeblich sein. Dieses Handeln des Beklagten sei ein „nachträgliches tatsächliches Verhalten“, das die Wiederholungsgefahr nicht entfallen lasse. Das Urteil des Berufungsgerichts sei daher aufzuheben und die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Vergabe von Gütesiegeln nur bei Neutralität, Kompetenz & sachgerechten Kriterien
Abschließend wies der BGH auf Folgendes hin: das Berufungsgericht müsse prüfen, ob die Bezeichnung des Siegels als „Gütesiegel“ im April 2016 irreführend gewesen sei. Die Bezeichnung eines Siegels als „Gütesiegel“ komme als „zur Täuschung geeignete Angabe über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung“ im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Nr. 1 UWG in Betracht. Ein Gütesiegel werde vom Verkehr so verstanden, dass ein neutraler Dritter mit entsprechender Kompetenz die damit versehene Ware nach objektiven und aussagekräftigen Kriterien auf die Erfüllung von Mindestanforderungen geprüft habe. Aus der Sicht des Verkehrs biete ein solches Zeichen die Gewähr, dass ein mit ihm gekennzeichnetes Produkt bestimmte, für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehene Eigenschaften aufweise. Um dieser Güteerwartung gerecht zu werden, sei eine kontinuierliche Überwachung der Verwendung des Gütesiegels durch die verleihende Stelle erforderlich.

Zahlung einer Gebühr stehe der Neutralität der Prüfeinrichtung nicht entgegen
Eine Prüfeinrichtung müsse zudem über hinreichende Neutralität verfügen. Dazu sei die Vornahme der Qualitätsprüfung und die Vergabe- und Überwachungspraxis zu betrachten. Das Berufungsgericht habe zu prüfen, ob das Prüfungsinstitut, das der Beklagte beauftragt hatte, seine Prüfungen neutral durchführe. Auch die Siegelvergabe und Überwachung müsse neutral erfolgen. Die Zahlung einer angemessenen Gebühr für die Durchführung der Prüfung oder die Verleihung des Siegels sei unschädlich für die Neutralität der Einrichtung. Ein Gütesiegel sei jedenfalls irreführend, wenn es verliehen werde, ohne dass eine kompetente und an objektive und aussagekräftige Kriterien orientierte Prüfung erfolgt sei. Zur Bestimmung des Verfahrens müsse nicht zwingend eine staatliche Stelle oder eine fachkundige Institution beteiligt werden, obwohl dies die Findung geeigneter Prüfkriterien begünstige. Z. B. könne im Einzelfall auch auf anerkannte technische Standards oder Normierungen Bezug genommen werden, um sachgerechte Kriterien festzulegen.

BGH, Urteil vom 04.07.2019, Az. I ZR 161/18


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