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Irreführende Geschäftspraxis und berufliche Sorgfalt


Irreführende Geschäftspraxis und berufliche Sorgfalt

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Entscheidung festgehalten, dass beim Vorliegen von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht im Sinne der Art. 5 bis 9 der Richtlinie 2005/29/EG nicht mehr geprüft werden muss, ob auch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht des Gewerbetreibenden vorliegt.

In Art. 5 bis 9 der Richtlinie werden irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken präzisiert sowie auf Verstöße gegen die im Anhang I dieser Richtlinie aufgestellten 31 Geschäftspraktiken, die immer als unlauter angesehen werden müssen, ohne dass es einer Einzelfallprüfung bedarf, verwiesen.

Im vorliegenden Falle befasst sich der EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs Österreichs zu der Frage, ob beim Vorliegen einer irreführenden Werbung unlauterer Wettbewerb gegeben sei, obwohl der Beklagte seiner Sorgfaltspflicht, wie sie in der Richtlinie 2005/29/EG vorgesehen ist, nachgekommen ist.

Hintergrund war die Klage eines Mitbewerbers, der die Bewerbung von Hotelunterkünften im Rahmen von Skigruppenreisen als „exklusiv“ bezeichnete, mithin behauptete, man könne die beworbenen Destinationen ausschließlich über ihn buchen. Das beklagte Dienstleistungsunternehmen war dabei seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen, da es im Vorfeld nicht nur Exklusivverträge mit den entsprechenden Hotels abgeschlossen hatte, sondern auch noch genau geprüft hatte, dass keine anderen Reisegruppen (aus Kapazitätsgründen) diese Destinationen belegen konnten. In der Folge hatten die Hoteliers jedoch gegen die geschlossenen Exklusivverträge verstoßen, in dem sie die Zimmerkontingente erneut an einen Mitbewerber vergaben. Dieser hatte daraufhin gegen die Werbung geklagt, welche die Buchungsmöglichkeit der besagten Hotels als „exklusiv“ bezeichnete.

In den Vorinstanzen hatte die Beklagte Recht bekommen, da ihr keine Sorgfaltspflichtverletzung nachgewiesen werden konnte. Der Oberste Gerichtshof Österreichs wollte vom EuGH jedoch geprüft bekommen, ob beim objektiven Vorliegen einer irreführenden Werbung überhaupt die Einhaltung oder Verletzung der Sorgfaltspflicht des Gewerbetreibenden geprüft werden müsse, da an der entsprechende Stelle in der Richtlinie ein „und“ zwischen die Sorgfaltspflichtverletzung und die irreführende bzw. aggressive Handlung eingefügt sei.

Diese Frage verneinte der EuGH mit Verweis auf seine einschlägigen Urteile, die belegen, dass es dem Gesetzgeber in der Richtlinie 2005/29/EG um einen möglichst effektiven Schutz vor unlauterem Wettbewerb im Hinblick auf die Verbraucher angekommen sei. Weiterhin führt er aus, dass die explizite Wortwahl in der Richtlinie unmissverständlich darauf hinweise, dass eine irreführende bzw. aggressive Geschäftspraxis oder ein Verstoß gegen die im Anhang I der Richtlinie genannten Praktiken alleine ausreichen, um eine unlautere Geschäftshandlung zu erkennen. Auf die Prüfung der Einhaltung der Sorgfaltspflicht komme es dann also auch in der Einzelfallprüfung nicht mehr an. Der EuGH hebt ausdrücklich hervor, dass es bei der Einschätzung einer irreführenden oder aggressiven Geschäftspraxis „wesentlich“ auf die „Sicht des Verbrauchers“ ankomme, da sich die Werbung an ihn wende. Die berufliche Sorgfalt hingegen falle in den Bereich des Unternehmens und sei daher beim Vorliegen einer objektiv erkennbaren unlauteren Handlung im Sinne der Art. 5 bis 9 der Richtlinie unerheblich.

Festzuhalten bleibt also, dass es beim Vorliegen einer irreführenden Werbung, die so objektiv erkannt werden kann, unerheblich ist, ob ein Unternehmen zuvor seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist oder nicht. Alleine der Tatbestand der unlauteren Handlung (dies sind irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken sowie die im Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG genannten Praktiken) reicht für das Verbot der Handlung aus. Maßgeblich ist hierbei die Sicht des Verbrauchers, nicht des Unternehmens oder der Mitbewerber.

Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Unternehmen insbesondere auf die Exklusivität der Waren- oder Dienstleistungsmerkmale zu jedem Zeitpunkt der Geschäftsanbahnung und –abwicklung incl. der dazugehörigen Werbung zu achten hat, die Merkmale also wirklich als exklusiv bezeichnet werden können. Die Tatsache ausschließlicher und unbefristet laufender Verträge mit anderen Unternehmen (z.B. Hotels, Produktionsunternehmen), die diese Exklusivität begründen sollen, muss daher im Geschäftsverkehr mit den Kunden zu jeder Zeit gewährleisten sein. Das Urteil betrifft Unionsrecht und hat daher Gültigkeit für alle Verbrauchergeschäfte in der EU.

EuGH, Urteil vom 19.09.2013, Az. C-435/11


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