Heilmittelwerbung mit veralteter Fachinformation
Wirbt ein pharmazeutisches Unternehmen mit wissenschaftlichen Aussagen eines Artikels aus einer medizinischen Fachzeitschrift für sein Produkt, so steht einem Konkurrenten hierzu nicht unbedingt ein Unterlassungsanspruch zu, sofern er keine anders lautenden Studien vorlegen kann. Es reicht also nicht aus, eine vorgelegte Studie als unrichtig zu bezeichnen ohne eine adäquate Gegenstudie benennen zu können.
In vorliegendem Fall hatte ein Unternehmen für sein Produkt mit einer Zusammenfassung einer Studie zur Wirksamkeit seines und eines Konkurrenzmittels geworben, die in einer anerkannten medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht worden war. In diesem Artikel wurde formuliert, dass „Ergebnisse vergleichender Studien ... auf eine Äquipotenz (hinweisen) ..., wenn sie in einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden.“ Es wurde in der Zusammenfassung also aus einer vorgenommenen Studie der Schluss gezogen, dass diese darauf hinweisen würde, dass die Wirksamkeit der beiden Konkurrenzmedikamente vergleichbar sein könnte. Gegen die Werbung mit diesem Hinweis auf die Vergleichbarkeit wendete sich der Mitbewerber.
Das Gericht führt hierzu aus, dass vorliegend keine irreführende Werbung zu erkennen sei, da die Formulierung „klinische Studien weisen darauf hin“ für den verständigen Leser nicht etwa als die Bestätigung eines wissenschaftlichen Nachweises zu verstehen sei, sondern lediglich als ein Hinweis auf die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Nachweises (vgl. OLG Hamburg, Az. 3 U 77/06).
An die Werbung im medizinischen Bereich würden erhöhte Maßstäbe gesetzt (vgl. OLG Hamburg, a.a.O.), sie seien aber zulässig, wenn sie „gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen“ (vgl. BGH, Az. I ZR 86/69); eine abweichende Meinung müsse vom Antragsgegner belegt werden können.
Grundlage für die Zulassung als Medikament durch die Zulassungsbehörde seien eben auch die zum Zeitpunkt der Zulassung bekannten wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Diese könnten allerdings angegriffen werden, wenn sich erst nach der Zulassung neuere und anders lautende Ergebnisse belegen ließen (vgl. BGH, Az. I ZR 62/11).
Vorliegend lägen allerdings solche Belege nicht vor. Auch sei über die Zulässigkeit von vergleichenden Aussagen zur Wirksamkeit bzw. Dosierung bereits zuvor wissenschaftlich diskutiert worden, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die Zulassungsbehörde hierüber informiert gewesen sei.
Auch Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes (der Zulassung des Medikamentes) nach § 44 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) seien nicht erkennbar, da hierfür ein „besonders schwerwiegender Fehler“ zu erkennen sein müsse. Dieser sei aber selbst dann nicht gegeben, wenn sich eine Fehlerhaftigkeit in der wissenschaftlichen Einschätzung erkennen ließe.
Da die beanstandete Studie zwischenzeitlich durch eine neuere wissenschaftliche Veröffentlichung ersetzt worden sei, wäre auch die aktuell werblich genutzte Formulierung nicht als irreführend anzusehen. Da der Mitbewerber glaubhaft machen könne, er würde ausschließlich die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse und Aussagen nutzen, könne weder von einer Erstbegehungs- noch von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden (vgl. BGH, I ZR 218/86 und I ZR 106/99).
In der Praxis bedeutet dies, dass die Werbung mit wissenschaftlichen Aussagen in der Medizin sowohl aktuell als auch nachprüfbar sein muss. Für eine Beanstandung reicht es dabei nicht aus, ohne Gegenstudien zu argumentieren. Vielmehr obliegt es dem Mitbewerber entsprechende aussagekräftige Studien vorzulegen. Weiterhin lässt dieses Urteil ausdrücklich auch solche Studien und wissenschaftliche Zusammenfassungen zu, die vergleichende Schlüsse über die Wirksamkeit und Dosierung ziehen. Dabei dürfen Gegenargumente nicht aus Studien gezogen werden, die mit anderen Vergleichen (z.B. abweichende Dosierungen oder Behandlungsfelder) zu anderen Ergebnissen kommen. Schließlich macht das Urteil klar, dass eine Irreführung auch von der Sichtweise des Kunden abhängig ist, dieser bei einem „Hinweis“ auf eine Wirksamkeit folglich nicht automatisch auch die wissenschaftliche Bestätigung erwarte.
OLG Hamburg, Urteil vom 30.01.2014, Az. 3 U 133/12