Geltendmachung von im Innenverhältnis nicht entstandenen Abmahnkosten kein Betrug
Durch einen Beschluss vom 14.05.2013 haben die Richter des dritten Strafsenats am Oberlandesgericht Köln zum Aktenzeichen III-1 RVs 67/13 ein Urteil des Landgerichts Aachen in der Revisionsinstanz aufgehoben. Ein Online-Händler und ein Rechtsanwalt waren wegen Betruges in insgesamt 190 Fällen zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Sie hatten in gegenseitiger Übereinstimmung Mitbewerber im Internethandel wegen angeblicher wettbewerbsrechtlicher Verstöße abgemahnt, um Gebühren- und Schadensersatzzahlungen zu vereinnahmen.
Die beiden Angeklagten hatten ihren Plan gefasst, nachdem der Angeklagte zu 1) im Rahmen seiner Tätigkeit als Online-Händler selbst eine Abmahnung erhalten hatte. Er nahm die Hilfe des Angeklagten zu 2), des Rechtsanwalts, in Anspruch. Die Gebührennote des Angeklagten zu 2) in Höhe von 3.500,00 € überforderte den Angeklagte zu 1) wirtschaftlich. Der Rechtsanwalt machte ihm daraufhin den Vorschlag, ihn dabei zu unterstützen, weitere Mitbewerber im Internethandel durch Übersenden von Abmahnungen zur Zahlung von Gebühren zu veranlassen. Das Wettbewerbsrecht in Deutschland bestimmt, dass ein Rechtsanwalt nicht im eigenen Namen sondern nur im Namen eines Mitbewerbers des Abgemahnten tätig werden darf.
Die beiden Angeklagten vereinbarten eine interne Aufteilung der durch die konkrete Abmahntätigkeit erzielten Einnahmen und suchten passende Online-Händler, zu deren Warenangebot Schuhe gehörten, per Suchmaschine im Netz heraus. Unstreitig ist, dass die Abmahnungen einer rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten hätten und dass die Streitwerte jeweils sehr hoch angesetzt waren. Die Gebührenforderungen des Angeklagten zu 2) fielen entsprechend hoch aus.
Beim Landgericht Aachen wurden die Angeklagten beide zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Strafe für den Angeklagten zu 1) belief sich auf 1 Jahr und 6 Monate und wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Beklagte zu 2) dagegen wurde zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zusätzlich wurde gegen den Rechtsanwalt ein befristetes Berufsverbot ausgesprochen.
Die gegen das Urteil eingereichte Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch beider Angeklagter.
Die erkennenden Richter des Strafsenats beim OLG Köln stützen ihre Entscheidung auf wortgetreue Auslegung des § 263 StGB. Das Erregen einer Täuschung setzt immer das Vorspiegeln einer falschen Tatsache oder das Unterdrücken einer wahren Tatsache voraus. Ohne Tatsachenbehauptung oder –vertuschung könne es folglich keine für den Tatbestand des Betruges relevante Täuschungshandlung geben.
Im vorliegenden Fall hatte das Landgericht Aachen die vom Beklagten zu 2) verbreitete Angabe darüber, dass der Beklagte zu 1) in „großem Umfang“ mit Schuhen im Internet handelt, für täuschungsrelevant gehalten. Tatsächlich habe der Angeklagte zu 1), wie dem Angeklagten zu 2) aus der vorherigen Zusammenarbeit bekannt war, nur im kleinen Umfang und mit geringem wirtschaftlichen Erfolgt Handel getrieben. Die Angabe über den Umfang des Handels diente dem Beklagten zu 2) als Anhaltspunkt für die Festsetzung hoher Streitwerte, die ihn in die Lage versetzten, hohe Anwaltsgebühren zu berechnen. Den Richtern des Oberlandesgerichts Köln fehlte hier der Tatsachengehalt. Die Einschätzung des Handelsumfangs bezeichneten sie in ihrer Urteilsbegrünung als reine Wertung ohne Tatsachenkern.
Auch die von der Vorinstanz ebenfalls als tatbestandserfüllende Täuschung bewertete unrichtige Angabe, dass der der Abmahnung zugrundeliegende wettbewerbsrechtliche Anspruch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gegeben sei, wertete der Strafsenat beim Oberlandesgericht Köln nicht als Täuschungshandlung. Da zwischen den Parteien eines Rechtsstreits über die Verletzung von wettbewerbsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich kein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe, ist davon auszugehen, dass der Adressat sich nicht durch unzutreffende Angaben täuschen lässt sondern den Inhalt eines solchen Schreibens kritisch wertet. Das gilt auch und gerade, wenn das Schreiben von einem „Abmahnanwalt“ stammt. Das rechtsmissbräuchliche Geltend machen von Forderungen und anwaltlichen Gebührenforderungen als solches soll deshalb noch nicht den strafrechtlich relevanten Tatbestand des Betruges erfüllen. Auch in Anbetracht der umfangreichen Berichterstattung im Internet und in den Medien ist es nicht wahrscheinlich, dass ein rechtsmissbräuchlich versandtes Abmahnschreiben beim Adressaten tatsächlich einen Irrtum auslöst, der ihn veranlasst, ohne weitere Nachprüfung eine vermögensschädigende Zahlung zu veranlassen.
Da der Strafsenat des OLG Köln bereits das Vorliegen einer Täuschungshandlung verneint, wurde die Tatsache, dass der Angeklagte zu 1) mit dem Angeklagten zu 2) intern vereinbart hatte, dass dieser im Innenverhältnis keine Rechtsanwaltsgebühren gegen ihn geltend macht, wenn der Abgemahnte zu einer Zahlung nicht in der Lage ist, keiner strafrechtlichen Bewertung mehr unterzogen.
OLG Köln, Beschluss vom 14.05.2013, Aktenzeichen III-1 RVs 67/13