Fristversäumnis aufgrund von Organisationsverschulden
Der Bundesgerichtshof (BHG) hatte über eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG) zu entscheiden, mit dem der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen worden war. Die Beklagte beziehungsweise der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt hatte die Frist zur Begründung der von ihr eingelegten Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil versäumt.
Zeitgleich mit dem Berufungsantrag hatte die Beklagte beantragt, die Frist für die schriftliche Begründung der Berufung bis zum 23. Januar 2014 zu verlängern. Das OLG gewährte eine Fristverlängerung lediglich bis zum 21. Januar 2014 und versandte die diesbezügliche Verfügung formlos an die Beklagte. Diese beantragte am 22. Januar 2014 eine erneute Fristverlängerung bis zum 27. Januar 2014. Das OLG wies den Antrag mit dem Hinweis zurück, dass er nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellt worden sei. Die Beklagte trug vor, die richterliche Verfügung hinsichtlich der Fristverlängerung bis zum 21. Januar 2014 nicht erhalten zu haben.
Der BGH wies die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück: Der Rechtsanwalt der Beklagten habe das Versäumnis der Frist zur Berufungsbegründung zu verantworten. Er sei verpflichtet gewesen das mutmaßliche Ende der Frist im Fristenkalender einzutragen, um sicherzustellen, dass das tatsächliche und nicht ein hypothetisches Fristende berücksichtigt wurde. Der BGH hatte bereits in einem Beschluss aus dem Jahre 2001 entschieden, dass das mutmaßliche Ende einer Berufungsbegründungsfrist alsbald nach Absendung der Berufungsschrift im Fristenkalender notiert werden müsse.
Einschub betreffend mutmaßliches Fristende: Die Frist zur Begründung einer Berufung beträgt zwei Monate ab Zustellung des Urteils. Vorliegend erfolgte die Zustellung am 21. Oktober 2014, sodass das OLG einen Aufschub von genau einem Monat gewährt hatte, was durchaus üblich ist. Für die Verlängerung bis zu einem Monat ist nämlich die Einwilligung des Gegners nicht erforderlich.
Die Beklagte hatte das OLG neun Tage nach dem ursprünglich gestellten Antrag auf Fristverlängerung nochmals gebeten, über diesen zu entscheiden; daraufhin erfolgte keine Reaktion seitens des Gerichts. Der Beklagten lag also keine schriftliche Bestätigung des von ihr gewünschten und beantragten Fristendes vor.
[...] Geht keine gerichtliche Mitteilung ein, muss sich der Prozessbevollmächtigte, der eine Fristverlängerung beantragt hat, rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist - gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht - Gewissheit verschaffen. Die Nachfrage bei Gericht ist organisatorisch sicherzustellen. [...]
Die mangelhafte Führung der Handakte - hier in elektronischer Form - durch den Prozessbevollmächtigten habe dazu geführt, dass er bei der Vorlage der Akten übersehen habe, dass es sich bei der vermerkten Berufungsbegründungsfrist nur um eine hypothetische Frist gehandelt habe.
[...] Dass und welche Vorkehrungen der Prozessbevollmächtigte der Beklagten getroffen hat, um eine Fristversäumnis zu vermeiden, hat die Beklagte nicht dargelegt. Es fehlt insbesondere an einer organisatorischen Anweisung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten dahin, dass vor Ablauf der beantragten Fristverlängerung durch entsprechende Nachfrage bei Gericht das wirkliche Fristende in Erfahrung gebracht und in der Handakte vermerkt wird. [...]
Mit anderen Worten, der Rechtsanwalt hatte es versäumt, sich über das wirkliche Ende der Fristverlängerung Klarheit zu verschaffen und somit das Fristversäumnis herbeigeführt. Dies wäre nach Ansicht des BGH durch bessere organisatorische Vorkehrungen vermeidbar gewesen. Dieses Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.
Auch der Vortrag der Beklagten, es habe sich bei der verspätet begründeten Berufung um eine sogenannte Anschlussberufung gehandelt, führte hier ins Leere. Die Klägerin hatte ebenfalls Berufung eingelegt und diese fristgerecht begründet. Die Berufungsbegründung der Beklagten ging innerhalb der ihr gesetzten Frist zur Berufungserwiderung ein. Der BGH ließ offen, ob die Umdeutung der Berufung in eine Anschlussberufung hier zum Erfolg geführt hätte, da die Klägerin ihr Rechtsmittel im August 2014 zurückgenommen hatte.
BGH, Beschluss vom 16.10.2014, Az. VII ZB 15/14