Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung
Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass betreffend die Berechnung von Entgelten zur Nutzung von Kabelkanälen keine marktbeherrschende und damit wettbewerbswidrige Stellung der Telekom vorliegt. Die Ansprüche der Klägerin, einer Kabelanbieterin, wegen angeblich überhöhter Entgelte werden verneint. Die von der Telekom geforderten Preise sind nicht auf eine marktbeherrschende Stellung, sondern auf vertragliche Vereinbarungen zurückzuführen. Aus diesem Grund ist die Telekom nicht verpflichtet, die Vertragspreise auf Wunsch der Klägerin anzupassen. Die Vertragspreise der Telekom gehen auf eine vorangegangene Unternehmensübernahme zurück.
Die Parteien streiten über die kartellrechtliche Zulassung von Entgeltforderungen durch die Beklagte (Telekom) für die Nutzung von Kabelkanälen durch die Klägerin (Kabelanbieterin). Die Klägerin betreibt Breitbandkabelnetze, durch die sie ihren Kunden Telekommunikationsdienstleistungen und Internettelefonie anbietet. Die Beklagte betreibt deutschlandweit ein flächendeckendes Telekommunikationsnetz, mit dem sie ihren Kunden die gleichen Dienstleistungen wie die Klägerin anbietet. Das Breitbandkabelgeschäft wurde ursprünglich von der Rechtsvorgängerin der Beklagten betrieben. Im Zuge von Regionalisierungs-, Auslagerungs- und Verkaufsmaßnahmen erwarb die Klägerin einen Teil des Unternehmens. Die Eigentumsrechte an den Kabelkanälen verblieben jedoch bei dem Unternehmen. Die Klägerin hatte zuvor für den Erwerb der Unternehmensanteile eine eigene Investorengruppe gegründet. Das Gericht stellt fest, dass sich die von den Parteien im Jahr 2003 getroffene Preisvereinbarung auf den kompletten Unternehmenskauf bezieht und nicht in einen kaufrechtlichen und einen mietrechtlichen Teil aufzuspalten ist. Der Verzicht auf die Mitveräußerung der Kabelkanäle beruht auf sachlichen und technischen Gründen.
Der Senat der Berufungsinstanz wertet die Rechtsangelegenheit wie folgt:
Der Erwerbsvorgang ist einheitlich zu betrachten und verbietet es, bereits die Unternehmensübernahme in einen Markt für die Vermietung von Kabelkanälen, aus denen die Klägerin jetzt ihre Ansprüche gegen die Beklagte herleitet, und einen zweiten Markt für Unternehmensbeteiligungen aufzuspalten. So sind die Preise der Beklagten alleine aufgrund der Unternehmensübernahme und nicht einer marktbeherrschenden Stellung zustande gekommen. Die Nach § 19 GWB reicht es nicht aus, wenn die markbeherrschende Stellung erst durch Abschluss des jeweiligen Geschäftes entsteht, da es an der Kausalität zwischen der Forderung nach rechtwidrig überhöhten Preisen und der Marktbeherrschung fehlt. Daher ist es in diesem Rechtsstreit unerheblich, ob die vereinbarten Preise zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und der Unternehmensübernahme rechtskonform waren oder nicht.
Der Senat erkennt keine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Alleinstellung der Beklagten, indem sie sich weigert, den Forderungen auf eine Preisanpassung der Klägerin nachzukommen. Laut der regelmäßigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist das Verhalten eines Marktbeherrschers nicht wettbewerbswidrig und rechtsmissbräuchlich, wenn er eine sachliche Rechtfertigung nachweist. Der Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda” spricht für das Verhalten der Beklagten. Dieser Rechtsgrundsatz gehört zu den unabdingbaren Grundstrukturen des Vertragsrechts, gemäß dem eine Partei nicht berechtigt ist, sich grundlos und einseitig von ihren vertraglichen Verpflichtungen zu lösen. Im Fall langfristiger Verträge kann nach einiger Zeit das Bedürfnis einer Vertragsänderung auftreten, um die Situation an die sich verändernden Umstände anzupassen. Dabei zielen die Vertragsparteien entweder auf die Anpassung des Marktpreises oder die Erhaltung des Äquivalenzverhältnisses ab. Die Parteien haben diesen Punkten Rechnung getragen, indem ihr Vertrag im Fall von Kostensteigerungen oder einer Änderung des Leistungsumfanges eine Anpassung der Vergütung vorsieht. Die Richter sehen eine Möglichkeit zur Erfüllung der rechtsstreitigen Ansprüche der Beklagten nur im Fall einer schwerwiegenden Leistungsstörung gemäß § 313 BGB, infolge dessen das Äquivalenzverhältnis aufgrund eines unvorhergesehen Ereignisses nicht mehr aufrecht zu erhalten ist und eine Vertragsanpassung daher zwingend notwendig ist. Gerade diese Störung macht die Klägerin jedoch nicht geltend, sondern fordert ausschließlich einseitig eine Vertragsänderung auf der Grundlage einer Preisanpassung zu ihren Gunsten. Die Klägerin trägt nach privatrechtlichen Grundsätzen das Risiko der Preisentwicklung, wobei das Risiko der Entwertung der Sachleistung grundsätzlich der Sachleistungsgläubiger zu vertreten hat. Eine Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB kommt nicht infrage, da es sich um eine vertragliche Individualvereinbarung handelt. In Sachen Marktpreisentwicklungen wird dieser Paragraf nur in Monopolsituationen im Bereich der Daseinsvorsorge angewendet. Da eine Vertragsänderung nach dem Prinzip der schwerwiegenden Äquivalenzstörung ausscheidet, müssten kartellrechtliche Gesichtspunkte die zivilrechtliche Wertung überlagen. Da diese jedoch nicht ersichtlich sind, kommen die Richter zu keinem Entschluss, der zugunsten der Klägerin spricht.
Abschließend wertet der Senat die Übernahme der Regionalgesellschaften und den Vertragsabschluss über das Breitbandgeschäft als einheitlichen Erwerbsvorgang, der zugunsten der Beklagten spricht. Es sei lebensfremd und daher auszuschließen, dass die Investorengruppe bei der Unternehmensübernahme mit ihrer Rentabilitätsprüfung einen Teil der Gesamtkosten nicht berücksichtigt habe. Vor diesem Hintergrund kommt die geforderte Vertragsanpassung zugunsten der Klägerin in Form einer Preisreduzierung für die Nutzung der Kabelkanäle einer nachträglichen Kaufpreisreduzierung gleich. Da die Prozessparteien Wettbewerber sind, fällt die Klägerin nicht ohne Weiteres unter den Schutzzweck des § 19 GWB (Ausbeutungsmissbrauch). Hier agieren zwei wirtschaftlich gleichwertige Unternehmen als Wettbewerber auf dem Markt. Daher erscheint das Festhalten an dem vereinbarten Preis durch die Beklagte nicht unbillig, da sie keine marktbeherrschende Monopolstellung nach dem Ausbeutungsprinzip für sich beansprucht.
Der Senat sieht keinen Grund, warum die Beklagte vor dem Hintergrund eines prosperierenden Wettbewerbs auf einen Teil ihrer vertraglichen Gegenleistung verzichten sollte. Eine unbillige Begrenzung der Klägerin liegt nicht vor, daher ist ein Unwerturteil nicht heranzuziehen. Die Klägerin ist nicht in der Lage, eine Vertragsanpassung zu ihren Gunsten zu fordern. Die Gründe für eine Revision liegen nicht vor, da eine Marktabgrenzung für diese Entscheidung keine Bedeutung hat.
OLG Frankfurt a.M, Urteil vom 09.12.2014, Az. 1 U 95/13