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Auch bei 51 Abmahnungen und hohen Gegenstandswerten kein Rechtsmissbrauch

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 12.5.2021, Az. 6 W 23/21


Auch bei 51 Abmahnungen und hohen Gegenstandswerten kein Rechtsmissbrauch

Nach § 8c Abs. 2 UWG ist die Geltendmachung von Abmahnungen, sofern bestimmte Indizien vorliegen, Rechtsmissbräuchlich. Nun hat das OLG Frankfurt entschieden, dass auch bei 51 in kurzer Zeit nacheinander ausgesprochener Abmahnungen und hohen, aber nicht überhöhten Gegenstandswerten der Abmahnung und Vertragsstrafe-Versprechen nicht per se von einem Rechtsmissbrauch auszugehen ist.

Hintergrund
Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Werbeartikeln an gewerbliche Abnehmer. Die Antragsgegnerin bietet zwar verschiedene Bio-Lebensmittel an, verfügte jedoch über keine erforderliche Öko-Zertifizierung. Aus diesem Grund ließ die Antragstellerin die Antragsgegnerin am 18.12.2020 abmahnen und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. In der Folgezeit versendete die Antragstellerin insgesamt 50 weitere Abmahnungen. Diese waren an Wettbewerber gerichtet, die überwiegend die gleichen Produkte vertrieben haben wie die Antragsgegnerin. Sie hat die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben, holte die Öko-Zertifizierung nach der Abmahnung allerdings nach.

In erster Instanz hatte das LG den Verfügungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin habe mittlerweile die notwendige Zertifizierung erlangt, sodass die Wiederholungsgefahr entfalle, so die Richter. Die hiergegen gerichtet sofortige Beschwerde der Antragstellerin hatte beim OLG Frankfurt Erfolg. Dieses hat nun entschieden, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bestehe.

Verstoß gegen die Öko-VO, die auch für Online-Händler gilt
Die Antragsgegnerin hatte gegen die Vorgaben nach Art. 28 Öko-VO (VO [EG] 834/2007) verstoßen. Nach dieser muss sich jeder Unternehmer, der ökologische Erzeugnisse produziert, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, vor dem Inverkehrbringen einem Kontrollsystem unterwerfen. Insbesondere muss er sich entsprechend zertifizieren lassen. Diese Zertifizierungspflicht gilt auch für Online-Händler.

Wann liegt Rechtsmissbrauch beim Abmahnen vor?
Die Antragsgegnerin war der Auffassung, die Antragstellerin handele rechtsmissbräuchlich. Ein Missbrauch liege allerdings erst dann vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolge und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen, so die Richter. Hierfür sei Ausreichend, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG sei im Zweifel von einem Rechtsmissbrauch auszugehen, wenn ein Mitbewerber eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen geltend macht, wenn die Anzahl der geltend gemachten Verstöße außer Verhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit steht oder wenn anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko seines außergerichtlichen oder gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt. Allerdings entbinde auch diese Zweifelsregelung das Gericht nicht von der für die Feststellung des Rechtsmissbrauchs erforderlichen Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände. Bei § 8c Abs. 2 UWG handele es sich nicht um eine Vermutung iSv § 299 ZPO, sondern lediglich um die Anordnung einer Indizwirkung.

Mitbewerber muss ein Vorgehen gegen mehrere Verletzer möglich sein
Vorliegend konnte ein Rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht festgestellt werden.
Denn auch wenn sich viele Wettbewerber wettbewerbswidrig verhalten, müsse es grundsätzlich möglich sein, gegen alle vorzugehen, sofern die Verstöße die Marktposition des Abmahnenden in relevanter Weise beeinträchtigen können, so der Senat. Vorliegend handelte es sich um die Verletzung einer Kennzeichnungspflicht, die den Wettbewerber unmittelbar betroffen habe. Es sei ein unmittelbarer Nachteil für die Antragstellerin zu erkennen, die sich der Mühen und Kosten der Akkreditierung gestellt habe. Diese habe die Antragsgegnerin hingegen nicht aufgewendet. Die Zahl der Abmahnungen (51) könne daher als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung nicht in Betracht kommen.

Hohe Gegenstandswerte und Vertragsstrafe-Forderungen waren angemessen
Nach § 8c Abs. 2 Nr. 3, 4 UWG sind ein unangemessen hoher Gegenstandswert der Abmahnung und überhöhte Vertragsstrafe-Forderungen ebenfalls Indizien für einen Rechtsmissbrauch. Auf diese Punkte hatte die Antragsgegnerin verwiesen, indem die Antragstellerin den Abmahnungen Gegenstandswerte zwischen 50.000 bis 100.000 € zugrunde legte und Vertragsstrafen zwischen 6.500 und 7.500 € forderte. Die Richter stellten klar, dass die Indiz Wirkung jedoch erst dann eintrete, wenn diese Werte „offensichtlich“ überhöht seien. An einer solchen Offensichtlichkeit fehle es hier. Die Gegenstandswerte bewegen sich angesichts der Tatsache, dass es sich nicht bloß um formale, den Wettbewerb nicht beeinträchtigende Verstöße handele, jedenfalls nicht in einem derart hohen Bereich, dass man eine offensichtliche Überhöhung annehmen müsste. Gleiches gelte für die geforderten Vertragsstrafen. Wenn auch in der Regel Vertragsstrafen im Bereich von 5.000 € üblich sind, so können insbesondere bei wirtschaftlich potenten Verletzern durchaus höhere Vertragsstrafen angemessen sein, da die Wirkung einer drohenden Vertragsstrafe naturgemäß von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verletzers abhänge.


Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 12.5.2021, Az. 6 W 23/21


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