Anwendbares Recht im Wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren
Was gilt, wenn im wettbewerbsrechtlichen Eilverfahren nicht hinreichend sicher das anzuwendende Recht ermittelt werden kann? Mit dieser Frage setzte sich das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. auseinander und kam am 30.01.2020 zum folgenden Beschluss.
Was war geschehen?
Im vorliegenden Fall stritten die Parteien im Eilverfahren um einen wettbewerblichen Unterlassungsanspruch. Sie hatten am 28.06.2016 einen Franchise Vertrag hinsichtlich des sogenannten „MBST“ Therapiesystems für das Gebiet Italien miteinander abgeschlossen. Mit Kündigungsschreiben vom 02.11.2018 erklärte die Antragstellerin die fristlose Kündigung, hilfsweise die Kündigung zum 31.01.2019. Die Antragsgegnerin betreibt eine Webseite, auf der sowohl in englischer als auch in italienischer Sprache unter anderem eine Magnetresonanztherapie beworben wurde. Dies geschah unter Benutzung verschiedener Lichtbilder der Antragstellerin. Auf den Bildern hatte man die Markenbezeichnungen entfernt, obwohl die Magnetresonanztherapie technisch derjenigen der Antragstellerin glich. Die Antragstellerin versuchte in Folge dessen im Wege der einstweiligen Verfügung eine entsprechende Unterlassung zu erwirken, da sie auf den beworbenen Bildern nicht erwähnt worden war.
Vorinstanz hat Antrag zurückgewiesen
Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 27.12.2019 zurückgewiesen. Mit diesem sollte der Antragsgegnerin die Beschreibung der Therapie und die Verwendung der Fotos ohne konkreten Hinweis auf die Antragstellerin untersagt werden. Zur Begründung führte das Gericht aus, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot sei vor Eingang des Eilantrages abgelaufen. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche scheiterten daran, dass nach Art. 6 I Rom II-VO italienisches Recht anwendbar sei. Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat des OLG zur Entscheidung vorgelegt.
OLG: Keine Anwendung italienischen Wettbewerbsrechts
In ihrer Beschwerde habe die Antragstellerin zwar die §§ 2598 und 2599 des italienischen Zivilgesetzbuches vorgelegt, hinsichtlich Systematik und Auslegung der Normen wurde jedoch nichts vorgetragen. Lediglich die Generalklausel in § 2598 III des italienischen Zivilgesetzbuches hätte Ansatzpunkt sein können. Die Norm könne jedoch aufgrund ihrer Unbestimmtheit und Weite ohne Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung für den Senat keine Grundlage für eine Entscheidung sein. Demzufolge sah man sich nicht in der Lage, italienisches Wettbewerbsrecht im vorliegenden Fall anzuwenden. Darüber hinaus handele es sich bei § 4 Nr. 4 UWG um nicht harmonisiertes Recht, sodass in keiner Weise Gewährleistung dafür gegeben werden könne, dass eine Rechtsanwendung auch nur in ihren Grundzügen in Italien erfolgt. Im Rahmen von § 293 ZPO wäre der Senat dazu gehalten, Beweis zu erheben. Da eine solche Beweiserhebung eine Verzögerungswirkung im Verfahren mit sich brächte, wäre diese jedoch mit dem Charakter des vorliegenden Eilverfahrens unvereinbar (Sommerlad, NJW 1991, 1377). Letztendlich verfüge der Senat auch nicht über weitere Erkenntnisquellen. Eine Anwendung italienischen Wettbewerbsrechts sei demzufolge nicht möglich.
Frage des Umgangs mit der Situation im Eilverfahren umstritten
Teilweise wird die Ansicht vertreten, in allen Fällen, in denen das ausländische Recht nicht sofort ermittelt werden kann, generell auf das deutsche Recht zurückzugreifen (MüKoBGB/Sonnenberger Einl. zum IPR Rnr. 449; MüKoUWG-Mankowski, Teil II.5, Rnr. 131; BeckOK-Bacher, ZPO, 35. Edition, § 293, Rnr. 24). Diese Lösung ist jedoch problematisch, da sie die kollisionsrechtlichen Regelungen ohne rechtliche Grundlage außer Kraft setzt und somit zur Anwendung eines eigentlich nicht anwendbaren Rechts führt. Eine zweite Ansicht vertritt, dass in derartigen Fällen die Antragstellerin als „beweisfällig“ anzusehen ist (Nagel/Gottwald, S. 376; Schütze, S. 186; Geimer, Rnr. 2593), was der Senat indes ablehnt. Für den Inhalt ausländischen Rechts gebe es keine Beweislast im eigentlichen Sinn.
Lösung: lediglich summarische Prüfung des Anspruchs
Eine zielführendere Lösung sah der Senat darin, die Rechtsprüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer summarischen Schlüssigkeitsprüfung durchzuführen, welche die wahre materielle Rechtslage weitgehend offenlässt (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 293, Rnr. 57; Schack IPRax 1995, 158, 161; OLG Hamburg, IPrax 1990, 400 ff.). Da in einem solchen Fall die Richtigkeitsgewähr der Entscheidung erheblich reduziert ist, soll eine Abwägung der Interessen von Antragstellerin und Antragsgegnerin hinzutreten. Nach Ansicht des Gerichts überwiegen die Interessen der Antragsgegnerin aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls. Hierbei sei zum einen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin selbst im Hinblick auf die weitere Nutzung des Zeichens „MBST“ abgemahnt hatte, so das Gericht. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin die Therapie weiter unter Nennung der Marke und Therapieform der Antragstellerin auf der Website beworben wird, obwohl man hierzu nach Ende des Vertrages nicht mehr verpflichtet wäre. Dies relativiere den Vorwurf der Behinderung des Markteintritts in Italien für die Antragstellerin. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sich der Kern des Angriffs der Antragstellerin dagegen richte, dass die Antragsgegnerin die Technik der Magnetresonanztherapie bewerbe, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass die Antragstellerin die Technologie „erfunden habe“. Somit lies das OLG letzten Endes die Entscheidung des anzuwendenden Rechts im Verfahren komplett außen vor, indem es den Sachverhalt lediglich im Rahmen allgemeiner Ermessenserwägungen beurteilt hat.
Fazit
Das Urteil zeigt, dass bei der Anwendbarkeit ausländischen Rechts in nicht europarechtlich harmonisierten Bereichen im Eilverfahren so ausführlich wie möglich zu den konkret anwendbaren ausländischen Normen, inklusive Systematik, Auslegung und aktueller Rechtsprechung vorzutragen ist. Darüber hinaus spielt in diesen Sonderfällen die allgemeine Interessenlage eine wichtige Rolle.
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Beschluss vom 30.01.2020, Az. 6 W 9/20