Hersteller darf Händler Produktverkauf auf Amazon untersagen
Zur Verhandlung stehen zwei Gerichtsverfahren, in der Vertriebsvereinbarungen und mögliche Verstöße gegen das Kartellrecht beziehungsweise das Wettbewerbsrecht verhandelt werden. Im ersten Fall handelt es sich um Marken-Rucksäcke, im zweiten um Luxusparfüms (Depotkosmetika).
In beiden Fällen sind die Vertragshändler gegen ihre Lieferanten, den Herstellern von Markenartikeln, Rucksäcke (Az. 2-3 O 158/13) und Luxusparfüms (Az. 2-03 O 128/13) gerichtlich vorgegangen, weil sie die in den Vertriebsverträgen enthaltenen Klauseln zur Vertriebsbeschränkung der Markenware über Internetplattformen wie Amazon als ungerechtfertigte Wettbewerbsbeschränkung empfinden. Im Fall der Markenrucksäcke gaben die Richter der Klägerin (Vertriebshändlerin) Recht. Sie sahen in der Vertriebseinschränkung einen Verstoß gegen das Kartellrecht. Die Richter in Sachen Luxusparfüm entschieden ähnlich und verkündeten, Markenhersteller könnten kein Luxusumfeld für den Vertrieb ihrer Markenwaren für sich beanspruchen.
Gegen das erstinstanzliche Urteil ist die Herstellerin der Markenrucksäcke (Beklagte) beim Oberlandesgericht in Berufung (11 U 84/14 (Kart)) gegangen. Die OLG-Richter halten eine Vertriebsbeschränkung hinsichtlich des Verkaufs der Rucksäcke über Internetplattformen wie Amazon für gerechtfertigt. Sie räumen dem Interesse der Lieferantin (Beklagte) an dem Schutz ihrer Markenartikel eine größere Bedeutung bei, wie dem Interesse der Klägerin an dem Vertrieb der von ihr erworbenen Markenrucksäcke. Hersteller von Markenwaren können sich regelmäßig auf ein selektives Vertriebssystem berufen, mit dem sie entscheiden, unter welchen Bedingungen ihre Markenartikel durch die Vertragshändler vertrieben werden. Im Vordergrund stehen das mit den Markenartikeln verbundene besondere Image des Herstellers, eine hohe Produktqualität, Sicherheitsaspekte und eine umfassende Beratung. Bei einem Internethändler wie Amazon sind diese Anforderungen nicht gegeben. Ferner erscheinen die Artikel, die die Vertragshändler in ihrem Amazon-Shop vertreiben, als Produktangebot von Amazon und nicht als Angebot des Markenherstellers. Auf diese Weise wird den Markenherstellern ein Vertragshändler untergeschoben, mit dem jedoch keine vertraglichen Vereinbarungen bestehen und auf dessen Geschäftspraktiken sie keinen Einfluss haben. Die OLG-Richter sehen keinen Grund, diese Vertriebseinschränkung aufzuheben, weil kleine und mittelständische Vertragshändler durch „Amazon- Marketplace“ Vertriebschancen bekommen, die ihnen sonst wahrscheinlich verwehrt bleiben. Die Markenhersteller sind nicht verpflichtet, diese Klein- und Mittelstandshändler zu fördern, die Auffindbarkeit ihres Angebotes für die angesprochenen Verkehrskreise obliegt alleine ihnen persönlich.
Allerdings missbrauchen Markenhersteller ihre marktbeherrschende Position, wenn sie ihren Vertragspartnern die Bewerbung der Produkte über Preisvergleichsportale verbieten. Die angesprochenen Verbraucher nehmen diese Vergleichsportale nicht als Verkaufsportale wahr, sondern suchen diese alleine zu Informationszwecken auf. Ziel ist, die Händler mit dem besten Angebot zu finden, was dem Markenimage der angebotenen Produkte nicht entgegensteht. Der Eindruck eines Massenangebots entsteht nicht.
Die Entscheidung in Sachen Luxusparfüm (Az.: 11 U 96/14 (Kart)) steht noch aus.
Die Frage, ob Markenhersteller ihren Vertragshändlern derartige Vertriebseinschränkungen auferlegen dürfen oder nicht, beschäftigt die Gerichte immer häufiger. Manche Richter vertreten die Meinung, Markenhersteller seien grundsätzlich nicht in der Lage, ein Luxusumfeld für den Vertrieb ihrer Markenware anzustreben. Die Markenhersteller haben ein großes Interesse daran, das qualitativ hochwertige Markenimage ihrer Produkte und die damit verbundenen hohen Preise aufrecht zu erhalten. Diese Preise bewegen sich auf einem weit höheren Niveau wie die vergleichbarer Nicht-Marken-Artikel. Die Vertragshändler sind jedoch darauf angewiesen, einen möglichst großen Kundenkreis zu erreichen und befinden sich in einem harten Wettbewerb mit vielen weiteren Anbietern. Aufgrund ihrer nachteiligen Wettbewerbssituation sind sie gezwungen, auch Marken- und Luxusartikel zu möglichst günstigen Preisen anzubieten. Diese Strategie des intensiven Preiswettbewerbs und Preisvergleichs kann die Gewinn- und Vertriebskalkulation der Markenhersteller jedoch schnell torpedieren und auf Dauer zu einem unerwünschten Preisverfall führen. Auch wird nach Ansicht der Markenhersteller das besondere Image mit dem Vertrieb über vorhandene Infrastrukturen und häufig in der Kritik stehenden Webshops beeinträchtigt. Dem steht das Interesse der Vertragshändler gegenüber, ihre Existenz, die oft nur auf diesem Vertriebsmodell basiert, zu sichern.
Vor der OLG-Entscheidung ergingen bereits mehrere Urteile, die zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Möglich ist ein Verbot gegen wettbewerbsbeschränkende Vertikalvereinbarungen. Diese Klausel betrifft Händler, die dieselbe Marke vertreiben. Es handelt sich immer um einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, da eine Einschränkung des Vertriebs im Intraband-Wettbewerb vorliegt (§ 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV). Ferner stellen manche Richter auf die Leitlinien der Vertikal-GVO ab. Diese beinhaltet bestimmte Qualitätsanforderungen an den Vertrieb der Markenprodukte. Allerdings müssen Markenhersteller eindeutig nachweisen, dass die Logovereinbarung bei dem Vertrieb ihrer Produkte gerechtfertigt ist, denn sonst bekämen sie einen Freifahrtschein selbst dann, wenn sie selbst die geforderten Qualitätsanforderungen dieser Leitlinie nicht erfüllen. Ein weiteres Argument ist die Kernbeschränkung nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO. Allerdings wenden viele Richter diese Beschränkung leider ohne nachvollziehbare Begründung an. Diese wird als spezielle Klausel für selektive Vertriebssysteme angesehen. Auch kann der Grundsatz der markenrechtlichen Erschöpfung eine Rolle spielen. Ähnlich wie der Grundsatz der Erschöpfung des Urheberrechts dürfen die entsprechenden Markenprodukte ohne Einschränkung weiter verbreitet werden, wenn diese einmal in den Verkehr gebracht wurden. Allerdings besteht nach § 24 Abs. 2 MarkenG die Einschränkung dahingehend, dass der Markeninhaber das Inverkehrbringen der entsprechenden Produkte untersagen kann, wenn er die Schädigung des Markenprestiges nachweist. Bleibt noch die Einzelfreistellung nach § 2 GWB, Art. 101 Abs. 3 AEUV. In diesem Fall sind Unternehmensvereinbarungen und Beschlüsse dann von dem Verbot der Wettbewerbsbeschränkung freigestellt, wenn diese den in der Vorschrift niedergelegten hohen Anforderungen wie abgestimmtes Verhalten zwischen Unternehmen, Verbraucherschutz sowie des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts genügen.
Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung nach Ausgang dieser Verfahren sichere Präzedenzfälle schafft. Die Entscheidung in Sachen Luxus-Parfüm geht auf eine Entscheidung des EuGH zurück, nachdem alleine das Aufrechterhalten eines prestigeträchtigen Markenimages die Berufung auf ein selektives Vertriebssystem nicht rechtfertigt. Diese Entscheidung ist in Rechtskreisen umstritten, manche halten sie gar für ein Versehen. Das Image eines Markenartikels bezieht sich auf das „Wie“ der Vertriebswege und ist nicht durch das Kartellrecht, sondern durch das Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht geschützt. Die rechtlichen Voraussetzungen des selektiven Vertriebssystems fragen jedoch danach, ob Markenartikel überhaupt unter bestimmten Voraussetzungen vertrieben werden dürfen. Allein die Wettbewerbsaussichten zählen. Das hat auch der EuGH wiederholt festgestellt. Allerdings tendieren die Richter immer mehr zu der Einsicht, dass nicht alle Internetplattformen gleich sind und Verbraucher hier genauso einkaufen können wie in jedem anderen Geschäft auch. Die Realität scheint die Rechtsprechung auch in diesem Punkt allmählich einzuholen.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 22.12.2015, Az. 11 U 84/14 (Kart)
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.12.2015 Az. 11 U 96/14 (Kart)