Verwechslungsgefahr bei „Tagesumschau“ und „Tagesschau“?
Mit Urteil vom 02.03.2018, Az. 3 U 167/15 entschied das Oberlandesgericht Hamburg, dass die titelmäßige Bezeichnung „Tagesumschau“ für ein Nachrichten- und Informationsportal im Internet im Hinblick auf die Nachrichtensendung „Tagesschau“ unzulässig ist. Der Begriff „Tagesschau“ erweise sich als Werktitel, welcher über eine hinreichende Unterscheidungskraft verfüge und welchem ein Titelschutz zukomme. Aufgrund des großen Bekanntheitsgrades der „Tagesschau“ und der fast identischen Wortbestandteile des Titels „Tagesumschau“ bestehe eine Verwechslungsgefahr.
„Tagesumschau“ neben „Tagesschau“
Das Urteil basiert auf einem Rechtsstreit zwischen der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalt ARD (Klägerin) und der Anbieterin eines Nachrichtenüberblicks im Internet (Beklagte). Die Klägerin strahlt schon seit 1952 die Fernsehnachrichtensendung „Tagesschau“ aus. Die Beklagte hingegen begann erst im Jahr 2014 mit der Bereitstellung aktueller Nachrichten im Internet unter der Domain www.tagesumschau.de. Die Klägerin beanstandete die Betitelung dieses Nachrichtendienstes und sah hierin eine Verletzung ihrer geschäftlichen Bezeichnung. Es seien die Bestandteile „Tages“ und „schau“ 1:1 übernommen. Lediglich das dazwischengeschobene „um“ stelle einen Unterschied zu ihrer „Tagesschau“ dar. Dadurch werde allerdings kein ausreichender Abstand geschaffen. Durch die Ähnlichkeit der beiden Begriffe bestehe die Gefahr, dass die Leser das Portal der Beklagten mit der Klägerin in Verbindung bringen und dieses möglicherweise als Ableger der „Tagesschau“ einstufen. Eine solche Zuordnung zur ARD sowie das Ausnutzen des Prestigecharakters der „Tagesschau“ wolle man aber keinesfalls hinnehmen.
Klägerin beanspruchte Werktitel für sich
Die Klägerin machte geltend, dass sie den Schutz der bekannten Marke bzw. des bekannten Werktitels aufgrund der Eintragung der Wortmarke „Tagesschau“ beim Deutschen Patent- und Markenamt sowie beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum genießt. Die vorrangingen Ansprüche aus Werktitelschutz stünden ihr gemäß § 15 Abs. 2 und 3 MarkenG zu. Sie erwirkte vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung, welche der Beklagten auftrug, es zu unterlassen, für ein Nachrichtenportal im Internet die Bezeichnung „Tagesumschau“ (gleich in welcher Schreibweise) und/oder dafür die Domain „tagesumschau“ zu verwenden, insbesondere im Rahmen von www.tagesumschau.de.
Beklagte wies Behauptung von sich
Da die Beklagte die Verfügung nicht akzeptierte, kam es zu einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg. Hierbei trug diese vor, dass keine wettbewerbliche Situation zwischen ihr und der Klägerin besteht. Im Gegensatz zu dieser erfülle sie keinen grundsätzlich gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag im Bereich des Rundfunks. Eine Rundfunknachrichtensendung müsse aber zwingend von einem Informationsportal unterschieden werden. Ferner bestritt die Beklagte die Ermächtigung der Klägerin zur Rechtsverfolgung aus den Klagemarken und dem Werktitel. Die „Tagesschau“ werde im allgemeinen Internet nicht wahrgenommen, es handele sich bei ihr in der Online-Welt lediglich um eine Randerscheinung. Daran ändere auch die Tagesschau-App nichts, da diese lediglich als komplementäres Werkzeug zur Fernsehsendung fungiere. Überdies lehne die Beklagte sich in keiner Weise an typische Gestaltungselemente der Tagesschau an.
Landgericht gab Klage statt
Die angeführte Argumentation konnte allerdings nicht überzeugen. Vielmehr bestätigte das Gericht den Unterlassungsanspruch (Urteil vom 26.08.2015, Az. 408 HKO 143/14). Gegen das Urteil legten jedoch beide Parteien Berufung ein. Nach Ansicht der Klägerin hatte das Gericht ihren Antrag, welcher nur auf ein Verwendungsverbot der Betitelung „Tagesumschau“ in Alleinstellung bzw. als dominierende Hauptbezeichnung abgezielt habe, zu weit ausgelegt. Sie habe weder ein abstraktes noch ein Schlechthin-Verbot erreichen wollen. Vielmehr habe ihr Begehren das Verbot der konkreten Verletzungsform bezweckt. Die Beklagte rügte hingegen die Unbestimmtheit des Klageantrags. Hinzu komme, dass das Landgericht die Beurteilung einer Verwechslungsgefahr der beiden Angebote nicht richtig vorgenommen hat. Außerdem könnten Domainnamen keine Werktitel begründen. Ferner habe das Gericht ohne Benennung der zugrundeliegenden Tatsachen nicht davon ausgehen dürfen, dass es sich bei dem Begriff „Tagesschau“ um ein bekanntes Kennzeichen handelt. Ebenso hätte dieses den Umstand des andersartigen Layouts des Portals „Tagesumschau“ berücksichtigen müssen.
Oberlandesgericht änderte Urteil nur teilweise ab
Das Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung nur in geringem Umfang ab. Es bestätigte grundsätzlich die Unterlassungsansprüche aus Werktitelschutz. Allerdings erkannte das Oberlandesgericht derartige – im Gegensatz zum Landgericht – nicht nur hinsichtlich eines reinen Internet-Nachrichtenportals an. Es erweiterte diese ebenso auf ein Informations- und Nachrichtenportal im Internet aus. Richtigerweise seien die Verbote von der vorherigen Instanz jeweils auf die konkrete Verletzungsform begrenzt worden. Die Bedenken der Beklagten bezüglich der Bestimmtheit des Klageantrags teilte das Gericht nicht. Eine Herleitung der Ansprüche aus mehreren Schutzrechten sei durchaus möglich. Aus dem Antrag ergebe sich ebenfalls, dass die Klägerin kein Verbot jedweder Benutzung des Begriffs „Tagesumschau“ anstrebt. Dieses solle sich lediglich auf die titelmäßige Verwendung für ein Nachrichten- und Informationsportal erstrecken.
Bezeichnung einer Nachrichtensendung ist Werktitel
Den Unterlassungsanspruch leitete das Gericht aus § 15 Abs. 2 und 4 MarkenG her. Zunächst komme der Bezeichnung „Tagesschau“ für eine Nachrichtensendung die Eigenschaft eines schutzfähigen Werktitels im Sinne von § 5 Abs. 3 MarkenG zu. Unter solche Titel, welche sich als geschäftliche Bezeichnung erweisen, fallen nach der Vorschrift die Namen oder besonderen Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken.
Unterscheidungskraft, Titelschutz und titelmäßige Verwendung
Im Weiteren verfüge der Name „Tagesschau“ nach Ansicht des Gerichts über eine hinreichende Unterscheidungskraft. Unter einer solchen verstehe die Rechtsprechung die Eignung eines Titels, ein Werk als solches zu individualisieren und von einem anderen zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2012, I ZR 102/10 – Stimmt´s?). Daneben ergebe sich für die „Tagesschau“ auch ein Titelschutz. Ein derartiger entstehe durch die Benutzung der Werkbezeichnung im geschäftlichen Verkehr. Das Gericht führte an, dass die ARD mit dem an die Allgemeinheit gerichteten Angebot der Nachrichtensendung nicht hoheitlich bzw. öffentlich-rechtlich handelt. Vielmehr stünde die Klägerin mit den privaten Anbietern von Nachrichten- und Informationsdienstleistungen in einem Wettbewerbsverhältnis. Außerdem trage der Begriff „Tagesumschau“ zur Unterscheidung hinsichtlich anderer Werke bei, weshalb die Beklagte diesen auch titelmäßig verwende. Entgegen deren Auffassung könne dies nämlich auch durch die Benutzung eines Domainnamens erfolgen.
Besteht zwischen den Werktiteln eine Verwechslungsgefahr?
Zuletzt war fraglich, ob zwischen den Werktiteln „Tagesschau“ und „Tagesumschau“ auch eine Verwechslungsgefahr bestehe. Hierbei seien laut Gericht drei Faktoren mit Wechselwirkung zu berücksichtigen gewesen: Zunächst die Kennzeichnungskraft des Titels, sodann die Identität oder Ähnlichkeit der Werke und als letztes die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Werktitel. Bezüglich des ersten Aspekts wurde festgestellt, dass dem Werktitel „Tagesschau“ eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft beizumessen ist. Grund hierfür sei zum einen, dass der Titel naturgemäß nicht zwingend eine Nachrichtensendung beschreibt und ihm daher ein Mindestmaß an Individualität zukommt, wodurch die Unterscheidung zu anderen Nachrichtensendungen erfolgt. Zum anderen müsse auch die stetige Entwicklung des Formats zu einer überaus bekannten Sendung mit hohen Einschaltquoten angeführt werden (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2011, Az. I ZR 211/98; Urteil vom 16.07.1998, Az. 3 U 76/95). Darüber hinaus seien sich die Werkkategorien „Nachrichtensendung“ und „Internetnachrichtenportal“ ähnlich, da sich das Publikum durch beide Angebote über aktuelle Ereignisse informieren könne. Hinzu komme, dass das Anfangselement („Tages-„) beider Titel identisch ist. Zwar gelte dies nicht für den zweiten Wortteil, allerdings würden die Worte („-schau“ und „-umschau“) nur geringfügig divergieren. Eine Ähnlichkeit der Werktitel sei daher anzunehmen und eine Verwechslungsgefahr zu bejahen. Nach Auffassung des Gerichts entstehe beim Publikum der Eindruck, dass beide Nachrichtendienste miteinander verbunden sind. Gestützt werde eine solche Annahme auch durch den Aufbau des Internetauftritts der Beklagten. Dieser gliedere sich für derartige Seiten typisch in verschiedene Rubriken wie „Politik“, „Unterhaltung“ und „Sport“. Ebenso sei auch das vorrangig in Schwarz, Blau, Rot und Weiß gewählte Farbschema weitgehend gleich.
Keine weiteren Unterlassungsansprüche
Weitergehende Ansprüche aus § 15 Abs. 3 und 4 sowie gemäß § 14 Abs. 2 und 3 MarkenG sprach das Oberlandesgericht nicht aus. Insbesondere liege keine markenmäßige Verwendung der Bezeichnung „Tagesumschau“ durch die Beklagte vor.
Revision nicht zugelassen
Die Revision wurde nicht zugelassen. Zu berücksichtigen ist aber ein derzeit anhängiges Verfahren vor dem Bundesgerichtshof (Az. I ZR 56/18).
Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 02.03.2018, Az. 3 U 167/15
von Sabrina Schmidbaur