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Zur Sperrung eines Twitter-Accounts

Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 07.04.2020, Az.: 4 U 2805/19


Zur Sperrung eines Twitter-Accounts

Das Oberlandesgericht Dresden befasste sich am 07.04.2020 mit den Voraussetzungen einer Kontensperrung bei Twitter aufgrund eines wahlbezogenen Tweets. Die Twitter-Richtlinien zur Integrität von Wahlen seien von Twitter nicht wirksam in den Nutzervertrag einbezogen worden. Zudem greife für den Kläger die Meinungs-äußerungsfreiheit ein.

Welche Voraussetzungen sind für eine Twitter-Sperrung erforderlich?
Kläger war ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter, der gegen die Sperrung seines Kontos vorging. Der Kläger bewarb sich gleichzeitig auch um ein Mandat für den Sächsischen Landtag. Er hatte zwei Tweets mit dem Inhalt „Aber um ganz sicher zu gehen, sollen AfD-Wähler unbedingt!!! den Wahlzettel persönlich unterschreiben! Auf keinen Fall vergessen“ sowie „Ach ja, das gilt natürlich auch wieder bei der Kommunal- und Europawahl am 26.05. AfD-Wähler also zum Unterschreiben des Wahlzettels unbedingt!!! den blauen Kugelschreiber in der Wahlkabine verwenden“ abgesetzt. Der Kläger beantragte im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Zustellung des Verfügungsbeschlusses durch das erstinstanzliche Gericht an Twitter. Das wurde vom Gericht zunächst abgelehnt und nach erfolgreicher sofortiger Beschwerde nachgeholt. Beim ersten Zustellversuch unterließ es das Gericht aber, eine Belehrung über das bestehende Annahme-verweigerungsrecht beizufügen. Später zeigten sich Prozessvertreter der Beklagten gegenüber den Prozessvertretern des Klägers an, jedoch nicht gegenüber dem Gericht. Im weiteren Verlauf erklärten sie wiederum einige Zeit später, nicht mehr die Beklagte zu vertreten. Die Vertreter des Klägers fragten sodann mehrfach beim Gericht wegen der Zustellung nach. Aufgrund dessen bemerkte das Gericht die fehlerhafte Zustellung und verfügte eine nochmalige Zustellung. Die Beklagte selbst verweigerte nun die Annahme. Gleichzeitig sendete sie jedoch ein Schreiben an das Gericht und beantragte die Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Dies lehnte das Gericht ab, weswegen die Beklagte in Berufung ging.

Ausnahmsweise keine Parteienzustellung erforderlich
Das Oberlandesgericht Dresden befand, dass auch eine versäumte Vollzugsfrist und damit der fehlende Vollzug einer einstweiligen Verfügung im Wege der Berufung geltend gemacht werden könne. Grundsätzlich reiche die Zustellung einer einstweiligen Verfügung von Amts wegen nicht aus. Vielmehr sei sie regelmäßig im Parteienbetrieb zuzustellen. Allerdings sei dieser Grundsatz bei europaweiten Zustellungen zu modifizieren. Die Beklagte habe ihren Sitz in Irland. Erforderlich sei also, dass die Parteienzustellung in Irland überhaupt zulässig sei. So sei es aber gerade nicht. Daher könne der Kläger eine solche Zustellung nicht vornehmen und dem entsprechend auch nicht von ihm verlangt werden. Die Parteienzustellung sei daher wegen des Vorrangs des Europäischen Zustellungsrechts durch eine gerichtliche Zustellung zu ersetzen.

Kläger hat alles Erforderliche für die Zustellung getan
Es sei für die fristgerechte Vollziehung daher ausreichend gewesen, fristgemäß den Antrag auf Auslandszustellung einzureichen, so das Gericht weiter. Damit habe die tatsächliche Zustellung ohne jede vom Kläger zu vertretende Verzögerung bewirkt werden können. Denn der Kläger habe mit Antragstellung alles getan, was ihm möglich ist. Er solle keinen Nachteil wegen der Dauer des Verfahrens erleiden. Zudem habe der Kläger die Zustellung beantragt und auch Rechtsmittel gegen den abgelehnten Antrag eingelegt.

Fristgerechte Zustellung
Das OLG befand auch die Zustellung als fristgemäß. Hierbei dürfe keine rein zeitliche Betrachtungsweise angewendet werden. Vielmehr sollen die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes bewahrt werden. Denn sie können die Verzögerungen nicht beeinflussen. Der Kläger habe keinen Einfluss auf die ordnungsgemäße Zustellung durch das Gericht gehabt. Fehler seien ihm nicht zuzurechnen. Auch sei er nicht gehalten gewesen, auf eine weitere Beschleunigung der Zustellung hinzuwirken.

Keine Zustellung an Prozessbevollmächtigten notwendig
Auch sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, die Verfügung den Prozessbevollmächtigten zuzustellen. Deren Bestellung erfolgte erst nach Ausführung der Zustellung, allerdings noch vor tatsächlichem Zugang bei der Partei. In einem solchen Fall bedürfe es keiner weiteren Zustellung an die Prozessbevollmächtigten.

Fehlende Einbeziehung der geänderten Nutzerrichtlinien
Das OLG urteilte, dass die Tweets nicht gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, namentlich die Richtlinie zur Integrität der Wahlen, verstoßen haben. Bei der Richtlinie und den Nutzungsbedingungen handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese seien nicht wirksam in den Nutzervertrag einbezogen. Der Kläger habe bestritten, der Einbeziehung etwa durch Anklicken eines Links ausdrücklich zugestimmt zu haben. Auf die Klausel "wir sind berechtigt, diese Bedingungen ggf. von Zeit zu Zeit zu überarbeiten", könne sich die Beklagte nicht berufen. Denn sie verstoße gegen die Klauselverbote aus 308 Nr. 4 und 5 BGB. Die Beklagte wäre damit zu jedweder Änderung ihrer Rechte und Pflichten einschließlich der Essentialia des Vertrages ermächtigt, wie z.B. der Unentgeltlichkeit und der Pflicht zur Bereitstellung ihres Dienstes. Somit erhalte die Beklagte die Möglichkeit, den Vertrag insgesamt umzugestalten, insbesondere das Äquivalenzverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und die Position der Nutzer zu entwerten.

Tweets sind von Meinungsfreiheit gedeckt
Das Gericht entschied zudem, dass die klägerseitigen Tweets von der Meinungsfreiheit geschützt seien. Es müsse gewährleistet werden, dass zulässige Meinungsäußerungen nicht von der Plattform entfernt werden. Hierbei kollidieren zwar die Grundrechtspositionen von Kläger und Beklagte. Denn für Twitter spreche deren „virtuelles Hausrecht“. Die Beklagte könne nach eigenen Präferenzen darüber bestimmen, mit wem sie unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen wolle. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger-Aufruf nur an AfD-Wähler richtet. Es sei auch für einen flüchtigen Leser erkennbar, dass die Empfehlungen nicht ernst gemeint gewesen seien. Denn wenn eine Pflicht zur Unterschrift des Wahlzettels bestünde, würde sie für jeden Wähler gelten. Auch die Äußerung, dass AfD-Wähler zum Unterschreiben unbedingt den "blauen Kugelschreiber" in der Wahlkabine verwenden sollen, sei erkennbar satirischen Inhalts. Denn diese Empfehlung spiele auf die Parteifarbe der AfD an. Irgendein sinnvoller Grund bei Unterschriftsleistung nur eine bestimmte Farbe zu verwenden, sei auch für einen unbedarften Leser nicht erkennbar. Hinzu komme, dass die Äußerung von einem Parteimitglied abgegeben wurde, die zu den bekennenden Gegnern der AfD gehören und die Tweets mit dem Hashtag "#AfDsperre" versehen haben.

Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 07.04.2020, Az.: 4 U 2805/19


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