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Zum Begriff der Schmähkritik

BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 2646/15


Zum Begriff der Schmähkritik

Wann ist eine Beleidigung (§§ 185, 1004 BGB, § 193 StGB) als unzulässige Schmähkritik (§ 193 BGB) einzuordnen? Eine beleidigende Äußerung darf nicht vorschnell als Schmähkritik eingeordnet werden, da die verfassungsrechtlich garantierte freie Meinungsäußerung durch diese Einordnung eingeschränkt wird.

Die Tragweite und Bedeutung der Meinungsfreiheit werden laut dem BGH-Urteil verkannt, wenn die angegriffene Äußerung vorschnell als Formalbeleidigung, unwahre Tatsachenbehauptung oder Schmähkritik eingeordnet wird. Die Folge ist, dass eine derartige Äußerung mit Werturteil nicht im gleichen Maße an der freien Meinungsäußerung und damit am Grundgesetz teilnehmen kann wie eine Äußerung ohne Werturteil, wenn ihr umgehend ein schmähender Charakter attestiert wird.

Der Beklagte ist der Vorsitzende eines gemeinnützigen Vereins, dem die Veruntreuung von Spendengeldern vorgeworfen wird. Der Beschwerdeführer verteidigte den Beklagten vor Gericht. Die Staatsanwältin beantragte einen Haftbefehl gegen den Beklagten. Der Beschwerdeführer sah diese Maßnahme als unangemessen hart an und ließ sich vor Gericht im Eifer des Gefechts zu verbalen Angriffen auf die Staatsanwältin hinreißen. Diese Verbalattacken bildeten jedoch noch nicht den Stein des Anstoßes. Das Schicksal nahm erst seinen Lauf, als der Beschwerdeführer von einem Journalisten um eine Stellungnahme zu dem angeblichen Spendenskandal gebeten wurde. Der Strafverteidiger ließ sich dazu hinreißen, die Staatsanwältin in seiner Wut als „dahergelaufen“, „durchgeknallt“, „geisteskrank“ sowie als „widerwärtig, boshaft und dümmlich“ zu bezeichnen. Der Wutausbruch des Verteidigers machte die Runde und schließlich fand er sich selbst als Beklagter vor Gericht wider.

Das zuständige Landgericht hatte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu 70 Tagessätzen a 120 Euro verurteilt. Die streitgegenständlichen Äußerungen stuft das Landgericht als ehrverletzend ein. Der beklagte Beschwerdeführer attestiert der angegriffenen Staatsanwältin mit seinen Äußerungen negative Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften, die mit ihrer beruflichen Ausübung nichts zu tun haben. Er stellt alleine die Person der Staatsanwältin in den Vordergrund, nicht jedoch ihr Wirken vor Gericht als Vertreterin der Anklage. Die Richter sehen nicht den verhandelten Rechtsstreit im Vordergrund, sondern eine persönliche Fehde, die der Beklagte mit der Staatsanwältin führt. Die Revisionsinstanz folgt dem Urteil des Landgerichts und stuft die Gesamtheit der streitgegenständlichen Äußerungen als objektiven Tatbestand der Beleidigung ein. Sie beträfen nicht mehr den „Kern des Kampfes um das Recht“ und lieferten auch keinen konstruktiven Bezug zu den einzelnen Ermittlungshandlungen der angegriffenen Staatsanwältin. Revisionsrechtlich einwandfrei sei auch die Feststellung des Landgerichts, dass es sich bei den Äußerungen des Beklagten nicht um die sprichwörtlich „durchgebrannte Sicherung“ handelt, die lediglich zum Ausdruck bringen sollten, der Staatsanwaltschaft seien bei den Ermittlungen Fehler unterlaufen.

Die BGH-Richter stufen die Rechtsprechung der Vorinstanzen als Schnellschuss ein, die fehlerhaft zu dem Schluss kommt, die Äußerungen des Beklagten als verbotene Schmähkritik einzuordnen. Werturteile und Tatsachenbehauptungen sind durch Art. 5 GG geschützt und fallen damit unter das Recht der freien Meinungsäußerung, solange sie zur Bildung von Meinungen beitragen. Ob lediglich eine freie Meinungsäußerung, eine Beleidigung oder eine Schmähkritik vorliegt bedarf der Interpretation und ist Sache der Fachgerichte. Im Einzelfall ist die Abwägung zwischen der Persönlichkeitsbeeinträchtigung auf der einen Seite und dem Recht auf der freien Meinungsäußerung im Interesse der Allgemeinheit auf der anderen Seite vorzunehmen. Das Endergebnis ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Das Grundgesetz schützt nicht nur sachlich und objektiv fundierte Äußerungen, sondern erlaubt ausdrücklich auch polemische, satirische und überspitzte Äußerungen. Wie problematisch diese Konstellation jedoch ist, zeigt der Sonderfall der herabwürdigenden Äußerungen, die die Ehre des Angegriffenen herabsetzen und damit als Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft werden. Hier werden jedoch besonders strenge Maßstäbe angesetzt.

Die BGH-Richter kommen zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall die Bedeutung der freien Meinungsäußerung verkannt wurde und die Äußerungen des Beklagten vorschnell und unzutreffend als Formalbeleidigung und Schmähkritik eingestuft wurden. Obwohl das Landgericht den Begriff der Schmähkritik nicht explizit verwendet, hat es nach Meinung der BGH-Richter keine ausreichende Differenzierung vorgenommen, indem es lediglich von einer persönlichen Fehde zwischen den Parteien ausgeht und die inkriminierenden Äußerungen des Beklagten in den Vordergrund stellt. Das Gericht unterlässt die verfassungsrechtliche Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Eine überzogene und scharfe Kritik an sich begründet noch nicht den Tatbestand der Schmähkritik. Die Kritik des Beklagten an der Staatsanwältin ist zwar ausfallend, scharf und ehrverletzend, jedoch im Zusammenhang eines Gesprächs mit einem mit dem Verfahrensstand vertrauten Journalisten gefallen. Daher ist davon auszugehen, dass der Beklagte nicht die Person der Staatsanwältin als solches in den Vordergrund stellen wollte, sondern ihre Vorgehensweise im Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten.

Als „obiter dictum“ (nebenbei gesagt) betont der BGH jedoch, dass ein Rechtsanwalt selbstverständlich nicht dazu berechtigt ist, einen Vertreter der Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse aus Wut über die vorgenommenen Maßnahmen mit ehrverletzenden Beleidigungen zu überziehen.

BVerfG, Beschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 2646/15


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