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Zahlungsaufforderung bei Identitätsdiebstahl unzulässig

BGH, Urteil vom 06.06.2019, Az. I ZR 216/17


Zahlungsaufforderung bei Identitätsdiebstahl unzulässig

Immer wieder kommt es vorwiegend bei Online-Bestellungen zu „Identitätsdiebstahl“. Das Unternehmen hat in der Regel keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob eine „Fake-Bestellung“ vorliegt – die Leistung wird in Rechnung gestellt. In der Folge erhalten Verbraucher Rechnungen und Zahlungsaufforderungen für Dienste, die sich gar nicht bestellt haben.

Mit seinem Urteil vom 06.06.2019, Az. I ZR 2016/17 gab der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zu dieser Thematik auf: ein Unternehmen hafte immer dann, wenn es eine objektiv unberechtigte Forderung geltend mache – unabhängig von der Ursache des Irrtums und des Verschuldens. Wie Unternehmen ihre Haftung bei „Identitätsdiebstahl“ in der Praxis zukünftig vermeiden sollen, bleibt vorerst offen.

Beklagte behauptete Fake-Anmeldung durch Dritte
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall klagte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e. V. gegen eine Betreiberin von E-Mail-Dienstleistungen. Die Beklagte hatte einen Verbraucher mit einem Mahnschreiben unter Angabe einer Vertrags- und Rechnungsnummer zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 17,94 Euro zzgl. Mahngebühren aufgefordert. Im Anschluss erhielt der Verbraucher weitere Zahlungsaufforderungen durch ein beauftragtes Inkassounternehmen und durch einen Rechtsanwalt. Der Verbraucher wandte sich an die Verbraucherzentrale, die bei der Beklagten Nachforschungen anstellte. Die Beklagte teilte mit, dass jemand mit den persönlichen Daten des Verbrauchers einen kostenpflichtigen Vertrag abgeschlossen habe. Die Beklagte gehe davon aus, dass es sich um einen sog. „Identitätsdiebstahl“ handele. Die Forderungen seien deshalb storniert worden und dass Inkassoverfahren sei eingestellt. Die Beklagte fügte hinzu, dass sie derartige Fake-Anmeldungen durch Dritte auch durch Sicherheitsvorkehrungen nicht ausschließen könne.

Verbraucherzentrale konnte keinen Identitätsdiebstahl feststellen
Entgegen dieser Ansicht der Beklagten machte die Klägerin geltend, dass kein Identitätsdiebstahl vorliege. Vielmehr habe die Beklagte die Zahlungsaufforderungen an Verbraucher versandt, ohne dass irgendjemand diese Leistungen beauftragt habe. Daher beantragte die Klägerin, es der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, an Verbraucher Zahlungsaufforderungen für ihre Dienste zu senden, obwohl der Verbraucher die Beklagte nicht mit der Dienstleistung beauftragt habe. Das zuständige Landgericht hatte der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil blieb erfolglos. Die Beklagte verfolgte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter und wendete sich mit der Revision an den Bundesgerichtshof.

Zahlungsaufforderung als „geschäftliche Handlung“
Doch der BGH schloss sich der Ansicht des Berufungsgerichts an. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Unterlassung aus § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 UWG in Verbindung mit § 8 Abs. 1, 2 und 3 Nr. 3 UWG. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handele unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG unter anderem dann irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthalte. Der BGH stellte zunächst fest, dass es sich bei den Zahlungsaufforderungen der Beklagten und des beauftragten Inkassounternehmens und Rechtsanwalts um „geschäftliche Handlungen“ handele. Denn eine geschäftliche Handlung könne auch in einem Verhalten gesehen werden, das sich auf eine geschäftliche Entscheidung eines Verbrauchers im Rahmen eines schon bestehenden Vertragsverhältnisses auswirke.

Unwahre Angaben in der Zahlungsaufforderung
Mit den Zahlungsaufforderungen habe die Beklagte zudem „unwahre Angaben“ im Sinne des oben zitierten § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG gemacht. Eine Angabe sei unwahr, wenn das Verständnis, das sie bei dem Verkehrskreis weckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimme. Entsprechend sei die Angabe der Beklagten, der angeschriebene Verbraucher habe den E-Mail-Dienst bestellt, unwahr. Diese Angabe sei geeignet gewesen, den Verbraucher tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Denn der Verbraucher habe durch die Zahlungsaufforderung zur Zahlung des verlangten Entgelts und damit zur Erfüllung des behaupteten Vertrages veranlasst werden können.

Irrtum über Identität müsse nicht „vorwerfbar“ sein
Als zentrales Thema behandelte der BGH anschließend die Frage, ob es sich auch dann um eine unlautere geschäftliche Handlung handele, wenn die „unwahre Angabe“ auf einem sog. „Identitätsdiebstahl“ beruhe. Der BGH entschied, dass es nicht darauf ankomme, ob der Irrtum über den Umstand der Fake-Bestellung dem Unternehmer vorwerfbar sei. Es werde nicht vorausgesetzt, dass der Unternehmer vorsätzlich eine objektiv falsche Angabe mache. Eine Geschäftspraxis, die – wie im Streitfall – alle Voraussetzungen einer Verbraucher-irreführenden Praxis erfüllt, müsse nicht auch noch dahingehend geprüft werden, ob die Erfordernisse der beruflichen Sorgfalt eingehalten wurden, um sie als unlauter und verboten anzusehen.

Kein Wertungswiderspruch zu Spezialtatbeständen
Außerdem sei im Rahmen der systematischen Gesetzesauslegung auch das Gesamtsystem des Lauterkeitsrecht und die sich daraus ergebenden Wertungen zu betrachten. Der BGH ging davon aus, dass die Prüfung einer geschäftlichen Handlung nach den allgemeinen Bestimmungen über unlautere Geschäftspraktiken nicht zu einem Wertungswiderspruch zu den speziellen Tatbeständen (im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG) führen dürfe. Gemäß Nr. 29 des Anhangs stelle unter anderem die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter, aber erbrachter Dienstleistungen eine stets unzulässige geschäftliche Handlung dar. Die Beklagte hatte vorliegend den Verbraucher zur Zahlung einer von diesem nicht bestellten, von der Beklagten zuvor tatsächlich eingerichteten E-Mail-Dienstleistung aufgefordert. Damit haben die in Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG geregelten Voraussetzungen einer stets unzulässigen geschäftlichen Handlung vorgelegen.

BGH ändert seine bisherige Rechtsprechung zum „Identitätsdiebstahl“
Jedoch habe der BGH bisher entschieden, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt seien, wenn der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung ausgehe und die Ursache des Irrtums nicht in seinem Verantwortungsbereich liege, z. B. wenn die Ware von einem Dritten unter dem Namen des Belieferten bestellt worden war. An dieser Ansicht hielt der BGH nun nicht mehr fest. Er entschied, dass es für die Annahme einer unzulässigen geschäftlichen Handlung vielmehr unerheblich sei, ob der Unternehmer irrtümlich von einer Bestellung durch den Verbraucher ausgehe. Seine neue Ansicht begründete der BGH wie folgt: ein Lauterkeitsverstoß gemäß Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG sei dem Wortlaut entsprechend objektiv zu beurteilen. Es werde auf die objektive Handlung des Unternehmers und die Verbrauchersituation abgestellt, weshalb die Handlung per se verboten sei.

Belästigung des Verbrauchers sei unabhängig vom Verschulden des Unternehmers
Es sei ausgeschlossen, dass Abwägungen des Einzelfalls vorgenommen werden. Dazu gehören auch Abwägungen über Irrtum und Verschulden des Unternehmers. Denn all diese Gesichtspunkte ändern nichts an der unzumutbaren Belästigung des Verbrauchers. Derartige Abwägungen würden nur zu einer Motivforschung beim Unternehmer führen, die der Rechtssicherheit undienlich seien. Das Ziel der Richtlinie 2005/29/EG sei unter anderem die Schaffung größtmöglicher Rechtssicherheit durch absolute Verbote ohne Beurteilung der Umstände des Einzelfalls. Daher könne das Motiv eines Unternehmers unter Verschuldenskriterien für die Unzulässigkeit einer Geschäftspraxis keine Rolle spielen. Auch die Vorhersehbarkeit oder Vermeidbarkeit von missbräuchlichen Bestellungen Dritter im Namen des Verbrauchers sei davon umfasst. In der Folge wies der BGH die Revision der Beklagten zurück.

BGH, Urteil vom 06.06.2019, Az. I ZR 216/17


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