Vater muss WhatsApp von den Handys seiner Kinder entfernen
Das AG Hersfeld hat dem Vater zweier Mädchen auferlegt, die Messenger-App WhatsApp von deren Smartphones zu löschen und regelmäßig zu kontrollieren, dass die App nicht wieder installiert wird, nachdem die Töchter von einem ehemaligen Freund des Vaters sogenannte „Sexting“-Nachrichten über diesen Messenger erhalten hatten.
Anzeige wegen Verdachts der sexuellen Belästigung durch „Sexting“-Nachrichten
Zwei Schwestern, fünfzehn und zehn Jahre alt, wurden von einem Freund ihres Vaters, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht innehat, durch stark sexuell geprägte, digitale Textnachrichten – sogenanntes „Sexting“ – belästigt. Beide Töchter besaßen Smartphones, die ältere Tochter sogar zwei. Beide Kinder nutzten unter anderem die Messenger-App WhatsApp, über die der Beschuldigte seine „Sexting“-Nachrichten übermittelte. Die ältere Tochter erstattete gegen den Beschuldigten Anzeige wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung. Das sodann verständigte Jugendamt informierte den Vater der Mädchen über die Vorfälle. Dieser versicherte glaubhaft, er habe keine Kenntnis von den „Sexting“-Vorfällen gehabt und werde den Kontakt zu dem Beschuldigten sofort abbrechen.
Unkenntnis der Zwangsvernetzungstechnik hinter WhatsApp als Gefahr für minderjährige Kinder
Der Vater habe zwar bei seinen Töchtern nachgefragt, über welche Themen sie sich mit dem Beschuldigten per WhatsApp austauschten. Diese spiegelten ihm gegenüber jedoch vor, dass es sich nur um Smalltalk handele. Weder die Eltern, noch die Töchter konnten sich erklären, wie der Freund des Vaters überhaupt an die WhatsApp-Kontakte der Töchter gelangt war. Das Gericht kam daher zu der Erkenntnis, dass durch die Familiensituation generell und den „Sexting“-Vorfall speziell eine eventuelle Gefährdung für das Kindeswohl gegeben sein könnte. Das Gericht legte dem Kindesvater darum Auflagen zur Abwehr der aktuell gegebenen Gefahr für das Wohl beider Kinder auf. Grund dafür war die deutliche Unkenntnis der Eltern zu den technischen Abläufen, die den „Sexting“-Vorfällen Zugrunde lagen, sowie zu den Möglichkeiten des Schutzes der Kinder in der „digitalen Welt“. Auch die Kinder selbst seien sich der Zwangsvernetzungstechnik des Messenger-Dienstes WhatsApp und den daraus resultierenden Risiken nicht bewusst, da diese sich nicht erklären konnten, wie der WhatsApp-Kontakt mit dem Beschuldigten überhaupt entstand. Dadurch bestand die Gefahr, dass sich die Vorfälle wiederholen.
Die Nutzung von WhatsApp für Personen unter 16 Jahren ist wenig sinnvoll
Um die Wiederholungsgefahr zu vermeiden, sah das Gericht es in Anbetracht der technischen Unkenntnis der Eltern als auch der Töchter als Auflage geboten, dass die App WhatsApp auf den Smartphones der beiden Mädchen deinstalliert werden muss. Dies müsse der Vater durchsetzen. Diese Auflage sei insbesondere angemessen, da WhatsApp selbst in seinen AGB darauf hinweise, dass eine Nutzung für Personen unter 16 Jahren nicht vorgesehen sei. Das Familiengericht war daher der Auffassung, dass Personen unter 16 Jahren vor den Auswirkungen von WhatsApp grundsätzlich in Schutz genommen werden müssen. Der Vater der beiden Kinder habe außerdem sicherzustellen, dass die Kinder die App nicht wieder installieren. Jedenfalls alle drei Monate habe der Vater die Smartphones daher zu kontrollieren. Er habe zudem einmal pro Monat mit den Kindern über die tatsächliche Nutzung ihrer Smart-Geräte zu sprechen, um aufkommende Fragen oder Probleme zu erörtern und etwaigen erneuten Kontaktversuchen des Beschuldigten gegebenenfalls entgegenzuwirken. Um die Akzeptanz bei den Kindern zu erhöhen, sollen die Kontrollmaßnahmen bei den Mädchen getrennt voneinander vorgenommen werden.
Eine Inhaltskontrolle ist geboten, auch wenn das Smartphone einem „digitales Tagebuch“ ähnlich ist
Hintergrund dieser Auflagen sei, dass generell vernünftige Eltern sicherzustellen haben, dass sich die Kinder mit Risiken und Gefahren ihrer Smart-Geräte auskennen. Dabei sei auch an unerlaubte Handlungen der Kinder selbst zu denken, etwa die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte. Ein Smartphone sei kein elektronisches Tagebuch für Minderjährige, der einen Schutz der Privatsphäre der Kinder erfordere und eine Kontrolle durch die Eltern verbiete. Im Gegensatz zu analogen Tagebüchern können alle digital gesammelten und von den Kindern eingegebenen Daten einfach elektronisch weitergeleitet („geteilt“ oder „gepostet“) und vielfältig veröffentlicht werden. Daher sei es angemessen, auch den Eltern Einsicht in diese Daten zu gewähren, um die Kinder vor Gefahren und Risiken zu bewahren.
Kinder sollen an der digitalen Kommunikationskultur der Jugend teilhaben
Als weitere Auflage sah es das Gericht als dienlich an, wenn jedes Mädchen nur ein Smart-Gerät besitze, da bereits die Konzentration auf den verantwortungsbewussten Umgang mit einem Gerät eine Herausforderung sei. Generell sei den Kindern die Nutzung von Smart-Geräten und Messenger-Diensten zu erlauben, da die digitale Kommunikationskultur unter Jugendliche stark gewachsen sei. Jedoch sei die Nutzung von Messenger-Diensten mit Zwangsvernetzungstechnik – so etwa WhatsApp – aufgrund der davon ausgehenden Gefahren auszuschließen. Der Schutz der Kinder müsse hinter deren Wunsch, mit ihren Freunden nur über WhatsApp kommunizieren zu wollen, überwiegen. Die Töchter könnten ohne Probleme eine Messenger-App ohne Zwangsvernetzungstechnik nutzen, da hier die Hürde eines Fremden, den Kontakt zu den Kindern herzustellen, sehr viel größer sei. Dagegen sei es keine sinnvolle Auflage, die Mobilfunk-Nummern der Kinder zu wechseln, es sei denn, die Kinder und die Eltern würden dies als zusätzlichen Schutz wünschen.
AG Hersfeld, Beschluss vom 22.07.2016, Az. F 361/16 EASO