• Anwaltskanzlei Weiß & Partner

    Katharinenstraße 16
    73728 Esslingen

    0711 - 88 241 006
    0711 - 88 241 009
    Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Twitter darf nicht wegen scherzhaftem „Tweet“ sperren

LG Dresden, Urteil v. 12.11.2019, Az. 1a O 1056/19 EV


Twitter darf nicht wegen scherzhaftem „Tweet“ sperren

Das Landgericht Dresden entschied mit Urteil vom 12.11.2019, Az. 1a O 1056/19 EV, dass Twitter einen Nutzer-Account nicht sperren dürfe, wenn der Nutzer das soziale Medium rechtmäßig verwende. Twitter war der Ansicht, der Tweet eines Politikers verstoße gegen die Twitter-Richlinien zur Integrität von Wahlen. Das Landgericht stellte klar, dass der Tweet erkennbar scherzhaft gemeint war. Er enthalte keine Handlungsaufforderung, sondern sei darauf gerichtet gewesen, die „Dummheit der AfD-Wähler vorzuführen“. Das dürfe kein Grund für Twitter sein, den Nutzer zu sperren.

Hintergrund: Landtagswahl in Sachsen im September 2019
Der Kläger war ein Twitter-Nutzer, der sich um ein Mandat für den Sächsischen Landtag bei der Landtagswahl am 01.09.2019 beworben hatte. Er hatte auf Twitter etwa 1.500 Follower. Wegen des Inhalts eines seiner Tweets sperrte Twitter seinen Account und weigerte sich anschließend, den Account wieder zu eröffnen. Der Kläger beantragte im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens das Unterlassen der Sperrung seines Accounts seitens Twitter. Mit Beschluss vom 21.06.2019 wurde dem Antrag des Klägers stattgegeben. Aufgrund formeller Fehler des zuständigen Gerichts erfolgte die Zustellung des Beschlusses an Twitter erst am 29.08.2019. Inzwischen hatte der Kläger am 10.07.2019 einen alten Zweit-Account mit etwa 400 Followern reaktiviert, denn er vertrat die Ansicht, er sei als Kandidat für die Sächsischen Landtagwahlen auf die Nutzung von Twitter angewiesen gewesen.

Sperrung wegen vermeintlichem Aufruf „ungültige Stimmzettel zu produzieren“
Aufgrund der verspäteten Zustellung des Beschlusses beantragte Twitter erst am 04.09.2019 die Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Als Begründung gab Twitter an, der Kläger habe über einen Zweit-Account verfügt, weshalb die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht gegeben seien. Außerdem hätte er die beanstandeten Tweets nur löschen müssen, um seine Sperrung aufzuheben. Er hätte es daher selbst in der Hand gehabt, gegen die Sperrung vorzugehen. Der Kläger sei gesperrt worden, weil sein Verhalten gegen die Twitter-Richtlinien zur Integrität von Wahlen verstoßen habe. Denn er habe dazu aufgerufen, ungültige Stimmzettel zu produzieren.

Grundrechte von Twitter durch einstweilige Verfügung verletzt?
Zur Untermauerung ihres Standpunkts verwies Twitter auf einen Vorfall in Bad Karlshafen. In einer scherzhaften Erklärung und mit einem Lachen hatte dort ein Wahlhelfer einem Wähler gesagt, er müsse seinen Wahlzettel unterschreiben. Der Wähler tat dies und seine Stimme wurde in der Folge für ungültig erklärt. Die Wahl, bei der ein Kandidat mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde, musste daraufhin wiederholt werden. Dieser Vorfall zeige, dass auch scherzhafte Erklärungen Einfluss auf eine Wahl nehmen können. Unabhängig davon war Twitter der Ansicht, der Erlass der Verfügung nehme die Hauptsache vorweg, wodurch die Grundrechte von Twitter verletzt worden seien. Außerdem müsse der Beschluss schon deshalb aufgehoben werden, weil er nicht fristgerecht zugestellt worden sei und der Kläger diesbezüglich nicht rechtzeitig bei Gericht nachgefragt habe.

Keine verfristete Auslandszustellung wegen Fehler des Gerichts
Das Landgericht war von der Widerspruchsbegründung von Twitter nicht überzeugt. Die vorgebrachten Argumente seien nicht stichhaltig. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei daher weiterhin begründet. Die Zustellung sei innerhalb der Vollziehungsfrist erfolgt, da der Antrag auf Auslandszustellung fristgerecht bei Gericht eingereicht wurde und die tatsächliche Zustellung „demnächst“ erfolgt sei. Vorliegend habe das Gericht einen Fehler gemacht und nicht der Kläger. Es genüge daher, dass er innerhalb eines Monats nach Ablauf der Vollziehungsfrist beim Gericht wegen der Zustellung nachgefragt habe.

Politiker wollte mit seinem Tweet die „Dummheit der AfD-Wähler“ vorführen
Zu den beanstandeten Tweets des Klägers stellte das Landgericht Folgendes klar: die Äußerungen seien erkennbar scherzhaft gemeint gewesen. Dies konnte unter Zugrundelegung des objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums auch nicht anders ausgelegt werden. Es sei hier zu bedenken, dass die Twitter-Follower des Klägers in der Regel Anhänger seiner politischen Linie sein dürften. Die Äußerungen des Klägers hätten seine politischen Gegner, also die AfD-Wähler, im Zweifel weder erreichen sollen noch tatsächlich erreicht. Der Tweet des Klägers habe erkennbar darauf abgezielt, den eigenen Followern und Anhängern die Dummheit der AfD-Wähler zu verdeutlichen. Es sollte wohl keine Handlungsanweisung an Personen sein, die seine Nachricht ohnehin nicht lesen.

Vergleich mit Wahl-Panne in Bad Karlshafen sei „mehr als bemüht“
Auch der Hinweis auf den Vorfall in Bad Karlshafen könne zu keinem anderen Ergebnis führen. Dort hatte eine für ungültig erklärte Stimme Einfluss auf das Wahlergebnis, weil ein Kandidat mit nur einer Stimme Mehrheit gewählt worden war. Dabei ergebe sich dann zwingend, dass die Wahl aufgehoben werden müsse. Die Äußerung eines Wahlhelfers sei jedoch nicht im Ansatz mit der Äußerung eines politischen Kandidaten im Vorfeld einer Wahl zu vergleichen. Daher sei der Vergleich, den Twitter hier mit seinem Verweis auf die Wahl-Panne in Bad Karlshafen anstrebe „mehr als bemüht“. Das Landgericht machte zudem deutlich, dass unabhängig davon eine Entscheidung eines Gemeinderates in Hessen das Gericht nicht in seiner Interpretation eines Tweets binde.

Account entsperren – müssen Nutzer beanstandete Tweets löschen?
Das Landgericht war auch nicht von der Argumentation überzeugt, der Kläger habe es selbst in den Händen gehabt, die beanstandeten Tweets zu löschen und dadurch die Sperrung aufzuheben. Denn ein Nutzer, der das soziale Medium Twitter rechtmäßig benutzt und entsprechend zu Recht einen Tweet postet, kann nicht gezwungen werden, diese Tweets dann zu löschen. Im Gegenteil: da ein pflichtwidriges Verhalten des Klägers gar nicht vorliege, sei Twitter in der Pflicht, die Sperrung wieder zu beenden. Insofern sei der Anspruch des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begründet gewesen, da Twitter die Sperrung eben nicht von sich aus aufgehoben hatte.

Verweisung auf eine Hauptsacheklage käme einer Rechtsverweigerung gleich
Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung werde auch nicht die Hauptsache vorweggenommen. Aufgrund der Schnelllebigkeit der Informationen in den sozialen Medien und der im September 2019 bevorstehenden Landtagswahl wäre die Verweisung auf ein Hauptsacheverfahren im Ergebnis einer Rechtsverweigerung gleichgekommen. Hierzu verwies das Landgericht auf die Entscheidung des OLG München vom 24.08.2018, Az. 18 W 1294/18 zur Löschung eines Facebook-Kommentars. Darin führte der Senat des OLG München aus, dass das Instrument der einstweiligen Verfügung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei Bestehen einer dringenden Not- bzw. Zwangslage sowie im Falle einer Existenzgefährdung entwickelt wurde. Eine Verfügung sei auch dann zulässig, wenn die vom Schuldner zu erbringende Handlung so kurzfristig zu erbringen sei, dass die Erwirkung eines Vollstreckungstitels im ordentlichen Verfahren quasi unmöglich sei.

Zweit-Account erreiche vergleichsweise wenig Follower
Abschließend fügte das Landgericht noch hinzu, dass Twitter auch nicht argumentieren könnte, dass der Kläger über einen Zwei-Account verfüge. Twitter war der Ansicht, der Kläger können über diesen, zwar vertraglich unzulässigen, zweiten Account weiterhin „twittern“. Das Landgericht wendete dazu jedoch ein, dass dieser Alternativ-Account bei weitem nicht so viele Follower erreiche, wie sein gesperrter Haupt-Account.

LG Dresden, Urteil v. 12.11.2019, Az. 1a O 1056/19 EV

von Jacqueline Dischler, LL.M.


Ihr Ansprechpartner

Bitte Kommentar schreiben

Sie kommentieren als Gast.

E-Mail: kanzlei@ratgeberrecht.eu, Telefon: 004971188241006
Katharinenstraße 16, 73728, Esslingen, Baden-Württemberg, Deutschland