"Super Nanny" verletzt Menschenwürde
Das Verwaltungsgericht (VG) Hannover hat mit seinem Urteil vom 08.07.2014 unter dem Az. 7 A 4679/12 entschieden, dass es die Menschenwürde eines Kindes verletzt, wenn dieses im Fernsehen im Rahmen der Sendung "Die Super-Nanny" gezeigt wird. Das gelte jedenfalls dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine Darbietung von Beschimpfungen, Schlägen und Bedrohungen gezeigt wird. Da die Gewalt sehr häufig vorkam, sei den Kindern das Recht auf gewaltfreie Erziehung verwehrt, da erst nach neun Gewalthandlungen eingegriffen worden sei. Die Kinder seien den Gewalttaten bis dahin ausgeliefert gewesen.
Die Klägerin ist der Fernsehsender RTL, der in seinem Programm ab 20:15 Uhr eine einstündige Folge seiner Serie „Die Super Nanny“ ausstrahlte, deren Netto-Sendezeit 48 Minuten betrug. Bei diesem Sendeformat, das inzwischen eingestellt wurde, besucht eine Diplom-Pädagogin im Rahmen eines echten Geschehens problematische Familien und nimmt auf sie Einfluss.
In der streitbefangenen Folge besuchte die Pädagogin eine alleinerziehende Mutter von drei minderjährigen Kindern (S, 3 Jahre alt, D, 4 Jahre und B, 7 Jahre). Die Sendung bestand aus einem so genannten Teaser, einem Vorspann, der Beobachtung der Familie mit und ohne Hinzutreten der Pädagogin. Gezeigt wurde die erziehungspädagogische Einflussnahme der Pädagogin, die Einschaltung des Jugendamts, der Rechtsmedizin und eine Therapie für die Mutter.
Schon im Teaser wurden Beschimpfungen und Bedrohungen der Kinder durch die Mutter dargestellt, welche von dieser in einem rüdem Tonfall geäußert wurden („Ich klatsch Dir eine!“). Diese Anreden führten zu einer Einschüchterung und Verängstigung der Kinder. Des Weiteren wurden 10 Gewalthandlungen in Form von Schlägen ausgeübt, die sich zumeist gegen den Vierjährigen richteten. Die Kinder beklagten sich vor laufender Kamera über die Schläge und weinten.
Die Folge wurde von der Klägerin der FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.) vorgelegt. Deren Prüfausschuss sah keinen Grund zur Verweigerung der Ausstrahlung im Abendprogramm ab 20 Uhr.
Zur Begründung hieß es, es liege keine Verletzung der Menschenwürde vor. Die Personen würden nicht sterbend oder mit schweren seelischen und körperlichen Leiden dargestellt. Die persönlichen Missgeschicke würden zwar eindringlich geschildert, doch stehe die pädagogische Einflussnahme im Vordergrund.
Zudem werde die Erziehungsweise der Mutter deutlich kritisiert. Eine Stigmatisierung der gesamten Familie sei gleichwohl nicht gänzlich auszuschließen.
Nach Zuschauerbeschwerden und negativer Presse legte RTL die Folge der KJM (Kommission für Jugendmedienschutz) vor. Diese empfahl, einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1, Satz 1, Nr. 8 JMStV zu konstatieren und die Folge zu beanstanden, da die Menschenwürde der Kinder verletzt wurde. Ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Sender wurde nicht empfohlen, weil dieser die Sendung zuvor freiwillig habe prüfen lassen und die FSF keine Bedenken geäußert hatte.
Gegen diese Einschätzung wendet sich die Klägerin und verlangt die Aufhebung des Bescheids. Doch die Klage bleibt ohne Erfolg.
Das VG Hannover beurteilt den Bescheid als rechtmäßig. Die Sendung sei zu Recht beanstandet worden.
Wenn eine Sendung gegen die Bestimmungen des JMStV verstoße, so beanstande
die Beklagte diesen. Sie entscheide durch Beschluss der KJM. Diese seien gegenüber den Sendern bindend.
Auch Verfahrensfehler seien nicht festzustellen.
Die Menschenwürde sei betroffen, wenn ein Mensch zum Objekt, zu einer austauschbaren Figur herabgewürdigt werde. Dies gelte insbesondere dann, wenn Menschen nicht als willensbestimmte Wesen, sondern als Instrumente für einen Zweck wahrgenommen würden, etwa um hohe Zuschauerquoten und Einnahmen zu erreichen. Eine Kommerzialisierung von Menschen setze voraus, dass sie einer Macht ausgeliefert seien und diese ihn in seinem Achtungsanspruch beeinträchtige. Es müsse ein entwürdigender Zusammenhang hinzukommen und sichtbar werden. Dies sei der Fall, wenn der Mensch von einem Akteur aus wirtschaftlichen Gründen in eine für ihn ausweglose Situation gebracht werde, die nicht vollständig durchschauen oder beherrschen kann.
Die Berichterstattungs- und Informationsfreiheit müsse hinter der Menschenwürde zurücktreten.
Aus der Sendung folge, dass neun Gewalthandlungen seitens der Mutter vom Aufnahmeleiter akzeptiert wurden und erst eine zehnte verhindert worden sei.
Somit müssen sich die Kinder auch gegenüber dem Sendeteam ausgeliefert gefühlt haben. Das erziehungspädagogische Ziel der Folge, diese Erziehungspraktiken künftig zu verhindern, begründe kein „berechtigtes Interesse“ an einer solchen Form der Darstellung.
VG Hannover, Urteil vom 08.07.2014, Az. 7 A 4679/12