Sperrung von Twitter-Tweets
Das Oberlandesgericht Nürnberg befasste sich am 06.04.2020 mit den rechtlichen Voraussetzungen zur Sperrung einer Twitter-Nachricht. Es bestünden schon erhebliche Bedenken dahingehend, ob die Twitter-Richtlinien zur Integrität von Wahlen wirksam in den Nutzervertrag einbezogen worden seien. Zudem sei der betreffende Tweet eindeutig als Satire erkennbar gewesen.
Welche Voraussetzungen sind für eine Twitter-Sperrung erforderlich?
Kläger war ein Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter, der gegen die Sperrung seines Kontos vorging. Der Kläger hatte wenige Wochen vor der Europawahl den Tweet „Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“ abgesetzt. Darin sah die Beklagte eine Verletzung ihrer Regeln und sperrte das Konto. Die Twitter-Regeln verbieten, den Dienst für rechtswidrige Zwecke oder zur Begünstigung rechtswidriger Aktivitäten zu nutzen und insbesondere Wahlen zu manipulieren oder falsche bzw. irreführende Informationen zu verbreiteten. Gegen die erfolgte Sperrung ging der Kläger gerichtlich vor und beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dem folgte das Gericht. Die ergangene Beschlussverfügung sollte der Beklagten auch zugestellt werden. Allerdings fehlte ein entsprechender Zustellungsnachweis. Daher beantragte der Kläger die erneute Zustellung, was das Gericht jedoch ablehnte. Später legte die Beklagte Wiederspruch gegen die einstweilige Verfügung ein und rügte die Versäumung der Vollziehungsfrist. Per Endurteil bestätigte das Gericht die vorangegangene Beschluss-verfügung. Der Kläger habe alles Zumutbare unternommen, um eine fristgemäße Zustellung zu bewirken. Somit sei die Vollziehungsfrist gewahrt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Denn eine fristgemäße Zustellung sei gerade nicht erfolgt.
Fehlender Zustellungsnachweis ist nicht dem Kläger zuzurechnen
Das Oberlandesgericht Nürnberg befand, dass sich der Kläger rechtzeitig mit seinem Zustellantrag an das zuständige Gericht gewandt habe. Dieses habe die Zustellung auch per Einschreiben mit Rückschein vorgenommen. Allerdings habe der Kläger das weitere Geschehen nicht mehr in der Hand gehabt, insbesondere das Verhalten der Post. Gleiches gelte dafür, ob und wann das Gericht weitere Nachforschungen unternehme. Das Fehlen eines Zustellungsnachweise liege also nicht in der Sphäre des Klägers und sei ihm daher nicht zuzurechnen.
Kläger hat alles Notwendige veranlasst
Zwar habe die Möglichkeit bestanden, den Beschluss an die Rechtsanwälte der Beklagten zuzustellen, so das Gericht weiter. Allerdings sei dies keine Verpflichtung. Denn es habe sich nicht ergeben, ob die Zustellung noch nicht erfolgreich gewesen sei. Grundsätzlich sei es für die Wahrung der Frist ausreichend, wenn sich der Kläger ordnungsgemäß um eine Zustellung bemüht. Welche Art der Zustellung und welcher Adressat gewählt werde, hänge von der jeweiligen Sach- und Rechtslage ab. Da zum Zustellungszeitpunkt noch kein Prozessbevollmächtigter für die Beklagte bestellt gewesen sei, war die Zustellung an die Partei selbst geboten. Auch die spätere Bestellung eines Bevollmächtigten habe daran nichts mehr geändert.
Ausschließlich das Gericht entscheidet über neuerlichen Zustellversuch
Zwar sei aufgrund der Vorgänge und des fehlenden Rückscheins davon auszugehen, dass der Zustellungsversuch der Verfügung gescheitert sei. Es habe daher durchaus Anlass für eine neue Zustellung vorgelegen. Allerdings sei dies eine Entscheidung des Gerichts und nicht des Klägers. Ursache des Scheiterns sei offenbar der Verlust auf dem Postweg gewesen. Damit sei der Grund des Scheiterns zu einem Zeitpunkt eingetreten, der nicht mehr vom Kläger beherrscht sei. Daher hätte das Gericht auch ohne Aufforderung die nochmalige Versendung entsprechender Schriftstücke unternehmen müssen, um doch noch eine Zustellung zu erreichen.
Fehlende Einbeziehung der geänderten Nutzerrichtlinien
Das OLG urteilte, dass die Beklagte nicht zur Sperrung des Accounts berechtigt gewesen sei. Denn es bestehen bereits erhebliche Bedenken dahingehend, ob die allgemeinen Geschäftsbedingungen und Nutzerrichtlinien wirksam einbezogen seien. Zwar sei der Abschluss eines Änderungsvertrages wohl auch dadurch zulässig, dass die Gegenseite das Vertragsverhältnis widerspruchslos fortsetze. Dafür sei aber Bedingung, dass die Gegenseite überhaupt auf eine (bevorstehende) Änderung aufmerksam gemacht und über deren Inhalt unterrichtet worden sei. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt sie den Kläger auf die Einführung der (neuen) Richtlinien zur Integrität von Wahlen hingewiesen haben will. Eine Pflicht des Nutzers, Nachforschungen anzustellen, ob sich Bedingungen und Richtlinien verändern, gebe es nicht. Denn Vertragsänderungen benötigen einen eindeutigen und aktiv erklärten Konsens.
Tweet eindeutig ironisch
Das Gericht entschied außerdem, dass der Tweet weder gegen die Richtlinien noch gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen habe. Grundsätzlich sei beides im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen. Somit sei zunächst Inhalt und Aussagehalt des Tweets zu ermitteln. Ein Verbot komme nur in Betracht, wenn die Gefahr bestehe, das Wahlergebnis durch Fehlinformationen zu verfälschen. Hieran fehle es aber. Es sei nicht erklärbar, warum der Kläger seinen Aufruf nur an AfD-Wähler richte, wenn er es tatsächlich ernst gemeint hätte. Außerdem sei der ironische Charakter deutlich durch den Zwinker-Smiley ;-) erkennbar. Zudem erscheine es ausgeschlossen, dass ein Wähler allein aufgrund einer derartigen Kurznachricht seinen Stimmzettel unterschreibe. Dies gelte umso mehr, als sich auf einem Wahlzettel überhaupt kein Hinweis auf eine Unterschrift oder gar Platz dafür befindet.
Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 06.04.2020, Az. 3 U 4566/19