Reichweite einer Unterlassungserklärung
Unterlassungsvereinbarungen umfassen nach herrschender Rechtsprechung regelmäßig eine Kontroll- und Beseitigungspflicht gegenüber Dritten, wenn der Unterlassungsschuldner damit rechnen muss, dass diese seine Inhalte übernehmen. Das betrifft beispielsweise Suchmaschinenverweise, den Google-Cache, das Internet-Archiv Wayback Maschine oder Branchenverzeichnisse. Doch was gilt bei einer auf den Internetauftritt des Unterlassungsschuldners beschränkten Unterwerfung – vorausgesetzt der Abmahner akzeptiert diese? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass der Unterlassungsschuldner in diesem Fall den rechtsverletzenden Content löschen und die darauf verweisenden Sucheinträge beseitigen lassen muss. Gegenüber Dritten, die den Inhalt ohne seine Mitverantwortung übernommen haben, trifft ihn hingegen keine Beseitigungspflicht (OLG Stuttgart, Urteil vom 08.10.2015, Az. 2 U 40/15).
Sachverhalt
Die Beklagte behauptete auf ihrer Webseite, das Amtsblatt "F…-Journal" zu verlegen. Da dies nicht mehr zutraf, erkannte die Klägerin darin einen Wettbewerbsverstoß und mahnte sie ab. Die Klägerin forderte von der Beklagten eine Unterlassungserklärung, die die Beseitigung und Unterlassung dieser Behauptung und kerngleicher Verstöße im ganzen Internet umfasste. Die Beklagte gab eine modifizierte Unterlassungserklärung ab, deren Reichweite sich auf ihren eigenen Internetauftritt beschränkte. Die Klägerin akzeptierte sie ohne Vorbehalt.
Danach fand sie die Behauptung, die Beklagte verlege das "F…-Journal", auf drei weiteren Webseiten, die nicht der Beklagten gehörten. Der Eintrag auf der einen Seite bestand schon vor der Unterlassungsvereinbarung. Die anderen Seiten übernahmen diesen Inhalt via Deep-Linking.
Dennoch sah die Klägerin darin einen neuen Verstoß der Beklagten und erhob Unterlassungsklage. Das Landgericht Stuttgart wies die Klage zurück. Auf Berufung der Klägerin bestätigte das Oberlandesgericht Stuttgart die erstinstanzliche Entscheidung.
Urteilsbegründung
Das Oberlandesgericht hält das Unterlassungsbegehren der Klägerin für unbegründet. Mit der Unterlassungsvereinbarung sei der gesetzliche Unterlassungsanspruch erloschen, da die Wiederholungsgefahr innerhalb der Reichweite des Unterlassungsvertrages weggefallen sei. Auf weitergehende Ansprüche habe die Klägerin verzichtet. Auch liege kein erneuter Verstoß vor, der einen neuen Unterlassungsanspruch rechtfertigen würde.
Die Auslegung von Unterlassungsvereinbarungen folge den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung. Maßgeblich sei der tatsächliche Wille der Vertragsparteien. Der übereinstimmende Parteiwille werde anhand des Erklärungswortlauts, der Umstände des Zustandekommens, des Vertragszwecks und der Interessenlage der Parteien ermittelt. Ausgangspunkt der Vertragsauslegung sei der Wortlaut. Dieser sei ausschlaggebend, sofern er eindeutig sei. Der Parteiwille könne dem Wortlaut zwar entgegenstehen. Allerdings bedürfe es gewichtiger Tatsachen, um dies festzustellen.
Eine nachträgliche Inhaltszumessung durch das Gericht verstoße gegen die Vertragsfreiheit. Es sei der Wille der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu ermitteln. Das schließe ein, dass eine Vertragspartei bei rückblickender Betrachtung in unkluger Weise auf ein Recht verzichtet habe.
Vorliegend sei der Wortlaut der Unterlassungsvereinbarung eindeutig. Nichts anderes ergebe sich aus den Umständen der Vertragsschließung. So könne die Klägerin aus ihrer Forderung nach einer Unterlassungserklärung, die auch kerngleiche Verstöße erfasst, nicht herleiten, die vereinbarte Beseitigungspflicht gelte für kerngleiche Verstöße im gesamten Internet. Die Einbeziehung kerngleicher Handlungen sei von der Reichweite der Beseitigungspflicht zu trennen.
Das Oberlandesgericht versteht die Unterlassungsvereinbarung so, dass sie eine Beseitigungspflicht nur in Bezug auf die Webseite der Beklagten und die darauf verweisenden Suchmaschineneinträge umfasst. Eine Beseitigungspflicht für Inhaltsübernahmen auf Drittseiten sei hingegen nicht vereinbart. Die Beklagte sei deshalb nicht verpflichtet, das Internet nach eigenständigen Veröffentlichungen Dritter zu durchsuchen und die prominent gefundenen Seiten löschen zu lassen.
Diese Auslegung der Unterlassungsvereinbarung werde dadurch gestützt, dass die Beklagte durch eine internetweite Unterlassungspflicht gegen ihre Interessen mehr versprochen hätte als gesetzlich geschuldet. Ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch zwinge den Unterlassungsschuldner zwar organisatorische Maßnahmen im eigenen Unternehmen und im Verhältnis zu Dritten zu treffen, um deren Einhaltung zu gewährleisten. Die Einwirkungspflicht auf Dritte bestehe indes nur so weit, als sich deren Verhalten dem Unterlassungsschuldner zurechnen lasse. Dies sei insbesondere der Fall, wenn er eine Veröffentlichung in Auftrag gegeben oder veranlasst habe. Als Beispiele nennt das Gericht Telefonbucheinträge und zur Weiterverbreitung gestreute Äußerungen.
Die Darlegungs- und Beweislast, dass Drittinhalte in den Verantwortungsbereich des Unterlassungsschuldners fallen, trage, wer einen Beseitigungsanspruch geltend mache. Vorliegend konnte die Klägerin keinen Bezug der Beklagten zu den streitgegenständlichen Drittinhalten darlegen.
OLG Stuttgart, Urteil vom 08.10.2015, Az. 2 U 40/15