Meinungsfreiheit auf Twitter: Account-Sperrung unzulässig
Das Landgericht Nürnberg-Fürth beschloss im einstweiligen Verfügungsverfahren, dass Twitter zwar ein „virtuelles Hausrecht“ hat und Nutzeraccounts sperren kann. Dieses Recht habe seine Grenze jedoch in der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit. Eine satirisch-politische Aussage stelle ein Werturteil und damit eine freie Meinungsäußerung dar. Twitter dürfe den Account dieses Nutzers nicht wegen Verstoßes gegen die Verhaltensrichtlinie sperren.
Twitter-Nutzer nahm in seinem Tweet AfD-Wähler auf die Schippe
Konkret ging es um folgenden Tweet: „Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-)“. Der Account des verfassenden Twitter-Nutzers wurde daraufhin am nächsten Tag von Twitter vorübergehend für zunächst 12 Stunden in einigen Funktionen eingeschränkt. Noch am selben Tag legte der Nutzer gegen die Account-Einschränkung Einspruch ein. Ohne Erfolg, denn am darauffolgenden Tag wurde sein Account wegen dieses Tweets von Twitter sogar komplett gesperrt. Der Nutzer legte sofort Einspruch dagegen ein, wieder ohne Erfolg. Zehn Tage später mahnte er Twitter förmlich ab und forderte die Betreiberin der Plattform auf, seinen Account sofort bzw. bis zum nächsten Tag um 14:00 Uhr wieder freizuschalten. Die Plattformbetreiberin prüfte weder das Einspruchsbegehren, noch reagierte sie auf die Abmahnung. So blieb die Sperrung des Accounts weiterhin bestehen, sodass sich der Nutzer zwar noch einloggen konnte, aber weder Tweets verfassen, lesen, liken, kommentieren oder retweeten konnte.
Zur internationalen Zuständigkeit bei Sperrung eines Twitter-Accounts
Kurz darauf leitete der Twitter-Nutzer beim Landgericht Nürnberg-Fürth das einstweilige Verfügungsverfahren ein und beantragte, die Betreiberin der Twitter-Plattform zur Aufhebung der Sperrung seines Accounts zu verpflichten. Das Landgericht gab dem Nutzer Recht und erließ die einstweilige Verfügung gegen Twitter. In der Begründung seines Beschlusses führte das Landgericht zunächst aus, dass die internationale und örtliche Zuständigkeit für einen vertraglichen Anspruch am Wohn-/Arbeitsort des Antragsstellers begründet werde. Denn es komme darauf an, wo die Bereitstellung der Twitter-Dienste erfolgt. Vorliegend sei das am Ort des jeweiligen Nutzers der Fall. Dies ergebe sich aus Art. 7 Nr. 1 a) EUGVVO. Entsprechend trete das schädigende Ereignis – hier die Sperrung des Accounts – auch am Wohn-/Arbeitsort des Antragsstellers auf. Dieser Ort erfasse sowohl den Handlungsort als auch den Erfolgsort der Schädigung. Demgemäß sei richtigerweise das Landgericht Nürnberg-Fürth zuständig.
Anwendbarkeit deutschen Rechts aufgrund AGB-Klausel
Umfangreicher gestaltete sich sodann die Begründung des bestehenden Verfügungsanspruchs des Twitter-Nutzers. Der Anspruch ergebe sich aufgrund des Anspruchs auf Unterlassung einer befristeten Sperre seines Twitter-Accounts gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Zunächst stellte das Landgericht noch fest, dass deutsches Recht anwendbar sei. Dies folge aus dem Punkt „Haftungsbeschränkung“ in den AGB von Twitter. Dort heiße es, dass Twitter einer begrenzten Haftung in Übereinstimmung mit den maximal zulässigen Einschränkungen gemäß den Gesetzen in jenem Land, in dem der Nutzer seinen Wohnsitz hat, unterliege. Zwischen Twitter und dem Antragsteller bestehe ein Vertrag über die Nutzung der Plattform. Es stehe Twitter als Plattform-Betreiberin frei, Verhaltensregeln zur Nutzung aufzustellen und bei Verstößen Accounts zu sperren, um die Einhaltung der Regeln durchzusetzen.
„Virtuelles Hausrecht“ trotz Meinungsfreiheit auf Twitter?
Im April 2019 hatte die Plattformbetreiberin eine Richtlinie erlassen, um die Integrität von Wahlen zu wahren: Twitter dürfe nicht mit dem Ziel genutzt werden, Wahlen zu manipulieren oder zu beeinträchtigen. Dazu gehöre das Posten bzw. Teilen von Inhalten, die sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken ebenso wie die Falschangabe zum Termin, zum Ort oder zum Ablauf einer Wahl. Bei Verstoß gegen die Richtlinie drohte Twitter außerdem nicht nur mit der vorübergehenden Verwehrung des Zugriffs auf den betroffenen Nutzeraccount, sondern auch mit der dauerhaften Sperrung. Die Accountsperrung war ferner auch in einer AGB-Klausel vorgesehen. Nach ständiger Rechtsprechung stehe dem Betreiber einer Internetplattform zudem generell ein „virtuelles Hausrecht“ zu. Das Landgericht Nürnberg-Fürth schloss sich hier allerdings einschränkend dem Landgericht Mosbach an, demzufolge die Ausübung des „virtuellen Hausrechts“ Grenzen habe. Der Plattformbetreiber sei generell durch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes beschränkt. Vor allem die mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs.1 GG schränke das Hausrecht der Twitter-Betreiberin ein.
Keine Account-Sperrung bei bloßem Werturteil
Das Landgericht entschied, dass der Tweet des Antragstellers vorliegend vom Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst sei. Es sei erkennbar, dass es sich bei der Äußerung um ein bloßes Werturteil handele. Der betroffene Twitter-Nutzer behaupte keine unwahren Tatsachen. Bei satirischen Äußerungen sei immer zu ermitteln und zu bewerten, welcher Aussagegehalt hinter der wörtlichen Äußerung steht. Der „Zwinker-Smiley“ am Ende des Tweets zeige hier ganz klar, dass der Rat an die AfD-Wähler nicht wirklich ernst gemeint sei. Durch die satirische Formulierung habe der Verfasser vielmehr seine Ablehnung gegenüber der AfD ausgedrückt. Die Äußerung sei im Kern von dem Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. Da es sich dabei um ein bloßes Werturteil handele, das vom Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst sei, dürfe der Tweet nicht beanstandet werden. Die Sperrung des Accounts sei daher nicht gerechtfertigt und müsse untersagt werden. Entsprechend müsse die Twitter-Richtlinie zur Integrität von Wahlen so ausgelegt werden, dass das Grundrecht der Meinungsfreiheit gewahrt ist. Ob die Richtlinie wirksamer Bestandteil des Vertragsverhältnisses sei, könne hier allerdings dahinstehen. Dem Twitter-Nutzer stehe jedenfalls ein entsprechender Verfügungsanspruch zu.
Wegen zu langem Postweg keine mündliche Verhandlung
Auch der Verfügungsgrund sei vorliegend gegeben. Die Aufhebung bzw. Untersagung der Account-Sperrung sei besonders dringlich, da der Antragsteller seinen Twitter-Account auch für seine berufliche Tätigkeit benötige. Zwar liege zwischen der Account-Sperrung und dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung etwa ein Monat. Nichtsdestotrotz sei die Dringlichkeit der Angelegenheit hier gegeben, auch wenn bei Zeitablauf bzw. Zuwarten von mehr als einem Monat die Dringlichkeit in der Regel nicht mehr gegeben ist. Der Antragsteller habe umgehend nach der Sperrung seines Accounts Einspruch eingelegt und Twitter anschließend abgemahnt, ohne dass hierauf eine Reaktion erfolgte. Zuletzt wies das Landgericht darauf hin, dass die einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege erfolgen durfte, da die Untersagung der Account-Sperrung besonders dringlich sei. Grund dafür sei, dass die Twitter-Betreiberin ihren Sitz in Irland hat und die Antragsschrift auch ohne Übersetzung erst nach mehreren Wochen zugestellt werden könnte. Dadurch würde das Recht des Antragstellers auf effektiven einstweiligen Rechtsschutz beeinträchtigt.
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 07.06.2019, Az.: 11 O 3362/19
Von Jacqueline Dischler, LL.M.