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Kontext für Interpretation von Schlagzeilen maßgeblich

OLG Hamburg, Urteil vom 23.06.2015, Az. 7 U 73/12


Kontext für Interpretation von Schlagzeilen maßgeblich

Zur Beurteilung, ob eine Schlagzeile persönlichkeitsverletzend ist, genügt es nicht, deren Aussage aus sich selbst zu interpretieren. Vielmehr ist der Inhalt des Presseartikels – insbesondere ein allfälliger Untertitel – in die Auslegung mit einzubeziehen. Eine isolierte Betrachtung der Schlagzeile kommt nur infrage, wenn für den Leser kein unmittelbarer Zusammenhang zum Artikel erkennbar ist, etwa bei einer Titelblatt-Schlagzeile. Dies entschied das Hanseatische Oberlandesgericht in einem wegweisenden Urteil.

Sachverhalt
Am 14. Oktober 2011 führte die Steuerfahndung bei der VM Vermögens-Management GmbH, einem Unternehmen der August-von-Finck-Gruppe, eine Durchsuchung wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung durch. Daraufhin titelte das Handelsblatt in seiner Print-Ausgabe vom 17. Oktober 2011 "Razzia bei Baron von Finck". Am selben Tag erschien in der Online-Ausgabe der Zeitung ein Artikel unter der Schlagzeile "Razzia bei Baron von Finck wegen Steuer-Delikten". Beide Artikel enthielten eine Unterüberschrift, die präzisierte, dass die Durchsuchung bei einem Unternehmen von Fincks stattgefunden habe.

Dennoch fühlte sich August von Finck durch die Titel der beiden Beiträge in seinem Ruf geschädigt. Er klagte vor dem Landgericht Hamburg gegen das Handelsblatt und dessen damaligen Chefredakteur unter anderem auf Unterlassung, Schadensersatz und Schmerzensgeld. Dieses wies die Klage ab, wogegen von Finck Berufung erhob.

Er machte geltend, ein Durchschnittsbetrachter würde die Überschriften der beiden Artikel so verstehen, dass die Razzien bei ihm persönlich stattgefunden hätten. Wegen ihres eigenständigen Aussagegehaltes seien die Schlagzeilen unabhängig vom Rest der beiden Artikel zu würdigen. Dies umso mehr, als Leser angesichts des guten Rufs des Handelsblattes davon ausgingen, die Überschriften seien neutral und zutreffend verfasst. Die Online-Ausgabe werde ohnehin schnell überflogen, wodurch Nutzer bloß die Überschrift wahrnähmen und bei der Mobil-Ausgabe werde die Schlagzeile in der Artikelübersicht ohne Untertitel angezeigt.

Mit Urteil vom 23. Juni 2015 (Az. 7 U 73/12) wies das Hanseatische Oberlandesgericht die Berufung ab und ließ keine Revision zu. Von Finck erhob dagegen Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesgerichtshof.

Urteilsbegründung
Für den Hamburger Zivilsenat stellen die Titel der beiden Artikel weder eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts noch eine üble Nachrede dar.

Maßgeblich sei, wie ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerungen verstehe. Zwar sei zunächst von deren Wortlaut auszugehen. Der Sinn einer Äußerung würde aber auch vom sprachlichen Kontext und den Begleitumständen geprägt, insoweit diese für die Adressaten wahrnehmbar seien. Daher sehen die Richter in den Überschriften keine aus sich selbst verständlichen Tatsachenbehauptungen. Ihre Funktion sei vielmehr, das Leserinteresse auf den folgenden Artikeltext zu lenken. Etwas anderes gälte nur bei isolierten Titelblatt-Schlagzeilen, wenn Überschriften im Widerspruch zum Artikelinhalt stünden oder gar keinen Bezug dazu hätten.

Der Wortlaut der Überschriften enthalte keine Aussage, wo die Razzia stattgefunden habe. Diese Information ergebe sich erst aus den Untertiteln, aus denen klar hervorginge, dass die Durchsuchung in einer Gesellschaft stattgefunden habe, die Teil des klägerischen Wirtschaftsimperiums sei.

Auch die in der Print-Ausgabe publizierte Porträtaufnahme von Fincks und das Bild seines Schlosses implizierten nicht, die Durchsuchung habe in seinen Privaträumen stattgefunden. Die Bilder stünden im Zusammenhang mit der Prominenz des Klägers und illustrierten die im Artikeltext enthaltenen persönlichen Informationen.

Die Richter halten ein vom Kläger beantragtes Gutachten zur Klärung der Frage, wie Leser die beanstandeten Titel wahrnehmen, für unnötig. Sie zählten selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen und könnten die Frage daher aus eigener Sachkunde entscheiden. Einem vom Kläger eingereichten Privatgutachten wirft das Gericht methodische Mängel vor.

Der Behauptung des Klägers, Online-Leser neigten zum schnellen "Durchscrollen" und würden daher nur den Titel wahrnehmen, widerspricht der Senat. Das bloße Überfliegen des Online-Angebotes entspreche dem flüchtigen Lesen der Print-Ausgabe. Der Interpretationsmaßstab des flüchtigen Lesers sei jedoch der Art und Aufmachung der Artikel nicht angemessen.

Mit der Mobil-Ausgabe des Handelsblattes, die auf Artikelübersichten Schlagzeilen ohne Untertitel anzeigt, beschäftigt sich das Gericht nicht. Der Kläger hatte es versäumt, die Mobil-Ausgabe in seine Unterlassungsanträge aufzunehmen.

OLG Hamburg, Urteil vom 23.06.2015, Az. 7 U 73/12


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