Keine Filtersysteme für soziale Netzwerke
Ein Hosting-Anbieter kann durch eine Unterlassungsanordnung nicht dazu verpflichtet werden, auf seine Kosten ein Filtersystem einzurichten, das die von den Nutzern auf dem Server gespeicherten Dateien nach möglichen Verstößen gegen urheberrechtliche Bestimmungen durchsucht und als unzulässig eingestufte Dateien für den Austausch blockiert.
Mit einem Vorabentscheidungsersuchen zu einem in Belgien anhängigen Rechtsstreit hatte sich der EuGH zu befassen. Die belgische Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Verleger hatte gegen den Betreiber einer Plattform für ein soziales Netzwerk im Internet ein Verfahren angestrengt. Die Gesellschaft war als Vertreter der Genannten unter anderem für die Genehmigung der Verwendung von geschützten Werken durch Dritte zuständig. Im sozialen Netzwerk im Internet wurde jeder Person nach Anmeldung ein Profil zur Verfügung gestellt, das sie selbst mit Inhalten füllen konnte und das weltweit zugänglich war. Die Plattform wurde täglich von über 10 Millionen Personen genutzt. Die Gesellschaft war der Ansicht, Nutzer könnten über die Plattform urheberrechtlich geschützte Werke ohne ihre Zustimmung und ohne Bezahlung einer Vergütung durch den Betreiber austauschen. Dem Betreiber sollte daher nach der Absicht der Gesellschaft durch eine entsprechende Unterlassungsanordnung die Einrichtung eines Filtersystems auferlegt werden, um eine urheberrechtsverletzende Zurverfügungstellung von Dateien zu verhindern: Der Hosting-Anbieter hätte ein für ihn kostspieliges Filtersystem einführen müssen, das zunächst unter sämtlichen Dateien, die von den Nutzern auf dem Server gespeichert werden, die Dateien ermittelt, die urheberrechtlich geschützte Werke enthalten könnten. In einem zweiten Schritt hätte ermittelt werden müssen, welche dieser Dateien in unzulässiger Weise gespeichert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Abschließend hätte das System die als unzulässig eingestuften Dateien für den Austausch blockieren müssen. Der Betreiber hätte dafür fast alle Daten sämtlicher Nutzer aktiv und zeitlich unbegrenzt überwachen müssen. Die Überwachung hätte sich nicht nur auf bestehende Werke, sondern auch auf jede künftige Beeinträchtigung und damit auch auf Werke bezogen, die im Zeitpunkt der Einrichtung des Systems noch gar nicht geschaffen waren. Das belgische Gericht wandte sich mit der Frage an den Europäischen Gerichtshof, ob die Erlassung einer derartigen Anordnung gegen einen Hosting-Anbieter durch ein nationales Gericht zulässig wäre. Der EuGH verneinte diese Frage. Er sah durch die begehrte Anordnung zunächst eine Verletzung des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr als gegeben an. Danach ist es unzulässig, einem Hosting-Anbieter im Rahmen einer Anordnung eine allgemeine Überwachung der Daten sämtlicher Nutzer seiner Dienste aufzuerlegen. Nach der Ansicht des EuGH ist überdies durch die nationalen Behörden und Gerichte ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, den Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der Wirtschaftsteilnehmern wie dem Hosting-Anbieter zukommt, sowie den Grundrechten der Nutzer auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen sicherzustellen. Die vom Betreiber zu tragenden Kosten für die Einrichtung des Systems würden nach der Einschätzung des EuGH zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Hosting-Anbieters führen. Durch das System könnten irrtümlich auch Dateien der Nutzer mit zulässigem Inhalt erfasst und gesperrt werden. Die begehrte Anordnung würde daher auch eine Missachtung des Erfordernisses des angemessenen Gleichgewichts darstellen.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 16.02.2012, Az. C-360/10