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Facebook-Beitrag mit Flüchtlingskritik ist zulässig

Oberlandesgericht München, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 18 W 858/18


Facebook-Beitrag mit Flüchtlingskritik ist zulässig

Mit Beschluss vom 17.07.2018, Az. 18 W 858/18 entschied das Oberlandesgericht München, dass das Entfernen eines Facebook-Beitrages durch das soziale Netzwerk rechtswidrig ist, wenn es sich dabei um eine zulässige Meinungsäußerung des Nutzers handelt. Hingegen könne der Social-Media-Plattform aber nicht bereits die Löschung eines künftigen, dem gegenständlichen Beitrag sinngemäß entsprechenden Posts untersagt werden. Ein derartiges Verbot gehe grundsätzlich zu weit.

Facebook-Post mit Zitat von Viktor Orban
Der Antragsteller verfasste auf Facebook einen Beitrag mit folgendem Wortlaut: „Wir betrachten diese Menschen nicht als muslimische Flüchtlinge. Wir betrachten sie als muslimische Invasoren. Um aus Syrien in Ungarn einzutreffen, muss man vier Länder durchqueren. Die Menschen rennen nicht um ihr Leben, sondern suchen ein besseres Leben. Die Flüchtlinge hätten vorher um ihre Aufnahme bitten sollen, stattdessen aber haben sie die Grenze illegal durchbrochen. Das war keine Flüchtlingswelle, das war eine Invasion. Ich habe nie verstanden, wie in einem Land wie Deutschland das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte. Orbán Viktor - Wer gibt dem Mann ein LIKE?“ Allerdings blieb den Nutzern nicht lange Zeit, um diesen zu liken oder zu kommentieren, da die Verantwortlichen des sozialen Netzwerks die Äußerung zeitnah nach deren Veröffentlichung löschten. Darüber hinaus wurde der Beitragsverfasser hinsichtlich seiner Aktivität auf Facebook gesperrt.

Landgericht lehnte einstweilige Verfügung ab
Hiergegen ging jener vor dem Landgericht München I vor. Er verfolgte die Absicht, der Antragsgegnerin im Rahmen einer einstweiligen Verfügung zu untersagen, ihn wegen des Einstellens des besagten Textbeitrages oder eines Textbeitrages mit gleichem Sinngehalt zu sperren, insbesondere ihm die Nutzung der Funktionen der Social-Media-Plattform wie das Posten von Beiträgen, das Kommentieren von fremden Beiträgen und die Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten. Ebenso verlangte er, dass keine von ihm wiedergegebenen bzw. inhaltsgleich verfassten Textbeiträge entfernt werden. Diesem Antrag entsprach das Gericht jedoch nicht. Mit Beschluss vom 30.05.2018, Az. 41 O 7430/18 wies sie diesen vielmehr zurück.

Löschung des Kommentars nach Oberlandesgericht unzulässig
Da der Antragsteller diese Entscheidung nicht hinnahm und sofortige Beschwerde gegen den Beschluss einlegte, hatte sich anschließend das Oberlandesgericht München mit der Sache zu befassen. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass die sofortige Beschwerde teilweise Erfolg hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei der Verfügungsantrag hinreichend bestimmt. Ob der Antrag im Hinblick auf die Sperrung bzw. Löschung sinngemäß identischer Textbeiträge inhaltlich zu weit gehe, sei zudem erst in der Begründetheit zu klären. Laut dem Oberlandesgericht sei die Löschung des Kommentars rechtswidrig, im Übrigen müsse das Vorbringen aber zurückgewiesen werden.

Nutzungsvertrag als Verfügungsanspruch
Nach den Ausführungen des Gerichts stelle der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag, durch den sich die Antragsgegnerin verpflichtet hat, dem Antragsteller die Nutzung der von ihr angebotenen „Facebook-Dienste“ zu ermöglichen in Kombination mit § 241 Abs. 2 BGB die Rechtsgrundlage für das Vorgehen gegen den gelöschten Kommentar dar (Verfügungsanspruch). Dieser Nutzungsvertrag sei zwar aufgrund seiner Entgeltlosigkeit nicht als Dienstvertrag anzusehen, könne aber infolge seines Rechtsbindungswillens als Vertrag sui generis eingeordnet werden.

Löschung nicht durch AGBs gerechtfertigt
Das Löschen des Beitrags rechtfertige sich gerade nicht durch die von der Antragsgegnerin angeführte Klausel Nr. 5.2., welche Bestandteil der von ihr in den Vertrag eingebrachten „Erklärung der Rechte und Pflichten“ sei. Zwar lasse sich jenes Regelwerk als Allgemeine Geschäftsbedingungen qualifizieren. Allerdings sei die Formulierung „Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen die Erklärung oder unsere Richtlinien verstoßen (...)“ unwirksam. Grund hierfür sei, dass sich die Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die besagten Richtlinien verstoße und deshalb gelöscht werden dürfe, allein nach der Einschätzung der Antragsgegnerin richtet. Dieser Umstand stehe jedoch nicht mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag im Einklang. Hiernach haben sich nämlich beide Seiten dazu verpflichtet, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Teils Rücksicht zu nehmen (vgl. LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018, Az. 2-03 O 182/18).

Keine Entfernung zulässiger Meinungsäußerungen
Diese Verpflichtung verletze die Antragsgegnerin aber, wenn sie infolge der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte die Meinungsfreiheit des Nutzers aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht respektiere. Das Gericht betonte, dass sich die bereitgestellte Social-Media-Plattform gerade als eine Art öffentlicher Marktplatz auszeichne, auf welchem Informationen und Meinungen ausgetauscht werden (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 10.08.2017, Az. 16 U 255/16). Eine Äußerung wie die vorliegende, welche die Grenzen der Meinungsfreiheit nicht überschreitet, dürfe daher nicht durch die Verantwortlichen unter Berufung auf deren „virtuelles Hausrecht“ entfernt werden (vgl. LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018, Az. 2-03 O 182/18; LG Bonn, Urteil vom 16.11.1999, Az. 10 O 547/99).

Beitrag war keine Hassbotschaft
Darüber sei Beitrag laut Oberlandesgericht auch nicht als sogenannte „Hassbotschaft“ einzuordnen ist. Die Löschung sei mithin auch unter Berufung auf diesen Aspekt unzulässig. Hassbotschaften seien generell Inhalte, die Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, geschlechtlichen Identität oder aufgrund von Behinderungen oder Krankheiten direkt angreifen. Im Gegensatz zu der Bestimmung Nr. 5.2. komme es für die Qualifizierung eines Beitrags als „Hassbotschaft“ nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Antragsgegnerin an. Vielmehr werde diesbezüglich auf den objektiven Sinn aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums abgestellt. Die Aussage dürfe nicht isoliert von ihrem jeweiligen Kontext interpretiert werden, vielmehr sei der Gesamtzusammenhang maßgeblich (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14).

Flüchtlingskritik ist Meinungsäußerung
Ein verständiger und unvoreingenommener Leser erkenne anhand der Darstellung, dass es sich bei dem Kommentar um ein Zitat des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán handelte. Der Verfasser mache sich dessen Ansicht zu eigen und fordere mit seiner eigenen, den Beitrag abschließenden Frage dazu auf, sich der Meinung anzuschließen. Im Weiteren werde laut Gericht für den Leser deutlich, dass Orbán die von ihm erwähnten Menschen, wobei er von Flüchtlingen muslimischen Glaubens, die von Syrien nach Ungarn gelangt sind und dort Aufnahme ersucht haben, spricht, aufgrund ihrer langen Flucht nicht als in ihrer Heimat mit dem Tode bedroht ansieht. Seiner Meinung nach komme es diesen lediglich auf die besseren wirtschaftlichen Verhältnissen in Ungarn an. Spätestens durch die Verwendung des militärischen Sprachgebrauchs („Invasoren“, „Invasion“) nehme der Leser wahr, dass Orbán die illegale Überschreitung der ungarischen Grenze durch eine große Anzahl von syrischen Flüchtlingen beschreibt. Zwar handele es sich bei der Äußerung um eine scharf formulierte Kritik, nichtsdestotrotz sei diese von der Meinungsfreiheit gedeckt, zumal die Flüchtlingskrise öffentlich sehr stark polarisiert. Die Erwähnung des Landes „Syrien“ sowie die des muslimischen Glaubens bedeuteten keinen direkten Angriff auf die Herkunft oder die Religion, da zum einen nicht typisch alle Syrer bzw. Menschen syrischer Herkunft gemeint seien und zum anderen die muslimischen Invasoren von den muslimischen Flüchtlingen abgegrenzt werden.

Dringlichkeit war nicht entfallen
Weiterhin sei entgegen der Ansicht des Landgerichts ein Verfügungsgrund nicht zu verneinen. Das Zuwarten von zwei Monaten nach Kenntnis der Löschung beseitige nicht die Dringlichkeit des Begehrens des Antragstellers. Es müsse diesem nämlich ein angemessener Zeitraum zugebilligt werden, um Rechtsrat einholen zu können und um eine denkbare Reaktion auf eine außergerichtliche Aufforderung abzuwarten.

Künftige Löschung und Entsperrung unbegründet
Hingegen machte das Oberlandesgericht deutlich, dass die begehrte Untersagung mit Blick auf eine künftige Löschung eines dem in Rede stehenden Beitrages „sinngemäß“ entsprechenden Posts nicht möglich ist. Ein solches Verbot ohne Bezugnahme auf den jeweiligen Kontext gehe unter der Beachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu weit (BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10). Die Begleitumstände eines solchen Textes würden schließlich erst bei einer Veröffentlichung bekannt werden. Ebenso sei der Antrag mit Blick auf die Sperrung des Antragstellers auf Facebook unbegründet. Bei dieser erstrebten Leistungsverfügung handele es sich mangels einer nachvollziehbaren Darlegung um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Überdies sei jener auch nur kurzzeitig gesperrt gewesen, sodass er derzeit nicht mehr auf die begehrte Eilmaßnahme angewiesen sei.
Das Oberlandesgericht München hat einen ähnlich gelagerten Sachverhalt mit Urteil vom 27.08.2018, Az. 18 W 1294/18 entschieden.

Oberlandesgericht München, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 18 W 858/18

von Sabrina Schmidbaur


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