Beitragslöschung und Kontensperrung bei Facebook
Das Landgericht Frankfurt/Main urteilte am 03.09.2020, dass es Facebook zu unterlassen habe, einen Beitrag zu löschen und das entsprechende Konto zu sperren, wenn der zugrundliegende Beitrag eine Meinungsäußerung darstelle. Dies gelte, wenn die Äußerung weder als Schmähkritik noch als Hassrede einzustufen sei.
Was ist eine Hassrede?
Die Parteien stritten um die Löschung eines Beitrages und eine Kontensperrung. Beklagte war Facebook, Kläger ein Nutzer. Der Kläger war auch Administrator einer bestimmten Facebook-Seite. In ihren Gemeinschaftsstandards legte die Beklagte fest, dass Hassreden nicht gestattet seien. Zudem informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie ihre Bedingungen und Richtlinien aktualisiert habe. Der Kläger stimmte den aktualisierten Bedingungen im April 2018 ausdrücklich zu. Am 23.12.2018 wurde auf seiner Facebook-Seite „M“ folgender Artikel gepostet: „M“ wird auch dieses Jahr wieder Weihnachten boykottieren. Wir feiern keine deutsch-christlichen Kackscheiß-Traditionen, die muslimische Menschen bewusst ausgrenzen. Morgen Abend geht es erst mal schön ins „Al-Arabiyya“, unserem Lieblingsmarokkaner. Und die Feiertage kurbeln wir den Umsatz der umliegenden Dönerbuden an. Natürlich wird auch gesoffen, was das Zeug hält. Anders erträgt man dieses monokulturelle Fest der Ausgrenzung ja auch nicht. Birne wegballern gegen Deutschland! #BoycottChristmas #FCKAfD #wir sindmehr“. Der Kläger postete am 24.12.2018 folgenden Beitrag: „@W Danke für Deine schönen und sehr passenden Worte! Es ist auch für uns immer wieder erschreckend festzustellen, dass die meisten Deutschen Nazis sind – aber wir werden niemals aufgeben und hören erst auf, wenn alles, was an das deutsche Wesen erinnert, aus den Gedanken gelöscht wurde! Nie wieder soll irgendetwas an Deutschland oder die deutsche Kultur erinnern!“. Die Beklagte sperrte den Beitrag am folgenden Tag mit dem Hinweis, dass dessen Beitrag nicht den F-Gemeinschaftsstandards entspreche. Der Kläger legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein und versuchte, die Beklagte zur Aufhebung der Sperre zu bewegen. Am 27.12.2018 wurde der Beitrag von der Beklagten – nach einer Neubewertung des streitgegenständlichen Posts – wieder freigeschaltet mit folgenden Worten: „Es tut uns leid, dass wir das falsch verstanden haben. Wir haben deinen Beitrag noch einmal geprüft und bestätigt, dass er unseren Gemeinschaftsstandards entspricht …“. Die Sperre des Profils dauerte dagegen an. Aufgrund dessen forderte der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben u.a. auf, die Sperre aufzuheben.
Wirksam vereinbarte Vertragsbedingungen
Das Landgericht Frankfurt entschied, die Parteien haben wirksam einen Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks geschlossen. Grundlage seien die Vertragsbedingungen, die seit dem Frühjahr 2018 von der Beklagten gestellt wurden. Diese seien wirksam vereinbart worden. Die dem Kläger zugegangene Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, diese durch Anklicken anzunehmen, sei als Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages anzusehen. Ein durch Anklicken erfolgter Vertragsabschluss habe grundsätzlich individuellen Charakter, auch wenn die Willenserklärungen, aus denen er sich zusammensetzt, vorformulierte Bestandteile besitze. Die Neufassung der AGB werde in dem Fall aufgrund eines nach allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte zwischen den Parteien geschlossenen Änderungsvertrages einbezogen. Dieses individuelle Angebot habe der Kläger auch angenommen.
Meinungsfreiheit vs. Berufsfreiheit
Die Löschung des Kläger-Beitrages sei rechtswidrig erfolgt, befand das Landgericht. Den Grundrechten komme nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG insoweit eine mittelbare Drittwirkung zu, als sie auch das Privatrecht beeinflussen. Im vorliegenden Fall sei dem Recht auf freie Meinungsäußerung Rechnung zu tragen. Dieses Grundrecht finde seine Schranken (allein) in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Vorliegend sei bei der Beurteilung der mittelbaren Wirkung das durch die Eigentumsgarantie geschützte Interesse der Beklagten am Betrieb ihrer Plattform einzubeziehen. Im Ergebnis sei somit im Wege der praktischen Konkordanz ein möglichst schonender Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeizuführen.
Äußerung ist Meinungsäußerung
Das Landgericht urteilte, dass es sich bei der Äußerung des Klägers um eine Meinungsäußerung gehandelt habe. Denn der wertende und meinende Teil habe überwogen. Der Kläger habe die Ansicht geäußert, dass in Deutschland eine hohe Ausländerfeindlichkeit insbesondere gegenüber Flüchtlingen herrsche. Zudem habe er gemeint, dass die meisten Deutschen „Nazis“ seien. Dabei handele es sich um eine Wertung, die schon aufgrund des mangelnden Bezugs zu einer bestimmten Person oder einer zumindest abgrenzbaren Personengruppe keine Herabsetzung oder Schmähung einer Person oder gar Gruppe darstelle. Der Beitrag vermittele auch dem flüchtigen Durchschnittsleser, dass er eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verhalten und den Ansichten mancher Deutscher im Hinblick auf den Umgang mit Flüchtlingen bzw. der Flüchtlingsdebatte darstelle.
Keine Schmähkritik
Die Aussage sei auch nicht als Schmähkritik anzusehen. Schmähkritik liege vor, wenn die Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermissen lasse, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktrete und eine Diffamierung im Vordergrund stehe. Diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Der Kontext der Äußerung betreffe eine kritische Auseinandersetzung mit der Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit gegenüber Flüchtlingen, gerade in politisch rechten bzw. rechtsextremen Kreisen, die von dem Kläger als „Nazis“ bezeichnet werden.
Keine Hassrede
Das Landgericht erkannte in der Äußerung des Klägers auch keine „Hassrede“. Zwar habe der Kläger in seiner Äußerung an eine „nationale Herkunft“ bzw. „ethnische Zugehörigkeit“, nämlich den „Deutschen“ angeknüpft. Ein Angriff gemäß den Gemeinschaftsstandards der Beklagten liege jedoch nicht vor. Denn durch die Aussage werde niemand wegen seiner Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit oder anderen dort genannten Eigenschaften angegriffen. Der Text sei vielmehr im Gesamtkontext als Zustimmung zu verstehen, dass Deutschland bzw. dessen Bürger immer ausländerfeindlicher würden. Die dort genannten „Deutschen“ seien nicht wegen ihrer Herkunft, sondern wegen ihrer Verhaltensweisen und Einstellungen, angegriffen worden. Der Kläger impliziere mit seinem Beitrag nicht, dass alle Deutschen ausnahmslos „Nazis“ seien. Sich kritisch über die momentane Haltung vieler Deutscher gegenüber der Einwanderung zu äußern, sei als Auseinandersetzung in der Sache zulässig. Diese Einschätzung habe offenbar auch von die Beklagten geteilt, als sie den Beitrag am 27.12.2018 wieder freigeschaltet und schriftlich bestätigt habe, dass der Beitrag ihren Gemeinschaftsstandards entspreche.
Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 03.09.2020, Az. 2-03 O 48/19