Arzt muss anonyme Bewertung im Internet hinnehmen
Patienten bieten Ärztebewertungsportale nützliche Informationen. Für Ärzte stellen sie dagegen einen (je nach Bewertungslage ärgerlichen) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Gibt ihnen dies gegenüber den Portalbetreibern einen Anspruch auf Löschung der Daten? Grundsätzlich nein, findet das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. Es ist der Ansicht, Ärzte hätten kein schutzwürdiges Interesse nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Bei der Abwägung zwischen dem Recht des Arztes auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht des Plattformbetreibers auf Kommunikationsfreiheit überwiege Letzteres. Dabei spielt für die Richter eine wesentliche Rolle, dass niedergelassene Ärzte im freien Wettbewerb stehen und sich daher den Marktmechanismen, zu denen auch öffentliche Bewertungen gehören, zu stellen haben.
Sachverhalt
Eine Ärztin störte sich daran, dass anonyme Benutzer sie auf dem Internetportal Jameda bewerten konnten. Sie hegte gegen das Bewertungssystem überdies den Verdacht auf Manipulation. So glaubte sie, Kollegen könnten die Bewertungsfunktion zu standesrechtlich verbotener Eigenwerbung missbrauchen. Die Medizinerin klagte gegen die Portalbetreiberin vor dem Landgericht Wiesbaden erfolglos auf Löschung ihres Profils. Die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung der Klägerin wies das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. zurück.
Urteilsbegründung
Die Klägerin berief sich darauf, das Ärztebewertungsportal verwende ihre Daten zur Verfolgung eigener geschäftlicher Zwecke. Entgegen dem Urteil der Vorinstanz sei die Zulässigkeit der Datenverarbeitung nicht nach § 29 BDSG, sondern nach dem restriktiveren § 28 BDSG zu beurteilen. Dem widerspricht das Oberlandesgericht. Die Beklagte setze die Datenverarbeitung nicht als Hilfsmittel zur Verfolgung anderer eigener Geschäftszwecke ein. Insbesondere nutze sie die Daten nicht, um zu den betroffenen Ärzten eine Geschäftsbeziehung aufzubauen oder zu unterhalten. Vielmehr seien die Daten selbst Geschäftsgegenstand. Deshalb komme § 29 BDSG zur Anwendung.
Grundsätzlich lasse sich die Nutzung von Name, Anschrift und Fachbereich nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG nicht verbieten, da diese Informationen bereits in öffentlichen Quellen wie den Gelben Seiten abrufbar seien. Vorliegend seien diese Daten jedoch im Zusammenhang mit der Bewertungsmöglichkeit zu prüfen. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG erlaube die Datenverarbeitung, sofern kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen entgegenstehe. Dies erfordere eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der geschützten Grundrechtspositionen. Die Richter kommen zum Schluss, dass das Recht der Beklagten auf Kommunikationsfreiheit das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin überwiegt, zumal die Klägerin nur in ihrer Sozialsphäre betroffen ist.
Sie stützen sich in ihrer Abwägung auf die "Spickmich"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 23.06.2009, VI ZR 196/08). Darin ging es allerdings um ein geschlossenes Internetportal, dessen Inhalte nur registrierten Nutzern zugänglich waren. Die Informationen auf Jameda sind hingegen frei verfügbar. Die Bewertungen der Ärzte lassen sich über Suchmaschinen finden. Dennoch kommen die Frankfurter Richter zu keiner anderen Beurteilung. Sie sind der Auffassung, niedergelassene Ärzte hätten die öffentliche Bewertung zu akzeptieren, weil sie aufgrund der freien Arztwahl dem Wettbewerb ausgesetzt seien. Öffentliche Bewertungsmöglichkeiten seien heute Bestandteil der Marktmechanismen.
Auch die Anonymität der Beurteilenden mache die Verwendung der Daten nicht unzulässig. Zwar bestehe eine gewisse Missbrauchsgefahr. Die Meinungsfreiheit beschränke sich aber nicht auf Äußerungen, die sich einer bestimmten Person zuordnen ließen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich Einzelne aus Angst vor negativen Auswirkungen nicht getrauten, ihre Meinung zu äußern.
Außerdem wende die Beklagte Maßnahmen zur Qualitätssicherung an. So verifiziere sie die E-Mail-Adressen der Bewertenden und biete den betroffenen Ärzten die Möglichkeit zum Einspruch gegen eine Bewertung. Aus diesem Grund reiche der unbestimmte Manipulationsverdacht der Klägerin nicht, um ihr ein überwiegendes Interesse am Ausschluss ihrer Daten zuzugestehen. Davon abgesehen sei die Klägerin nicht direkt in ihren eigenen Rechten betroffen, falls es auf dem Portal der Beklagten tatsächlich zu Eigenwerbung von Kollegen komme.
Ebenso wenig lässt das Gericht das Argument der Klägerin gelten, Bewertungen von Laien seien aufgrund fehlender Fachkompetenz und Objektivität nicht werthaltig. Die Meinungsfreiheit garantiere nicht nur die Äußerung objektivierbarer, allgemeingültiger Werturteile, sondern auch subjektive Einschätzungen. Benutzer der Plattform seien sich bewusst, dass die Bewertungen nicht nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgten, sondern die subjektive Erfahrung von Patienten wiedergäben.
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 08.03.2012, Az. 16 U 125/11